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REZENSION/269: Denton & Morris - Las Vegas · Geld Macht Politik (SB)


Sally Denton & Roger Morris


Las Vegas

Geld Macht Politik



Als vor wenigen Wochen Las Vegas seine Gründung vor 100 Jahren feierte, gingen die Bilder vom Bürgermeister und berüchtigten Mafia- Anwalt Oscar Goodman, der grell geschminkten und sparsam bekleideten Revue-Mädchen und der größten Geburtstagstorte der Geschichte rund um die Welt. So kennt man das El Dorado von Nevada, als schrille Glitzerstadt der Superlative. Doch so farbenprächtig und einladend sich das Spielerparadies präsentiert, so düster und unappetitlich ist die hinter den Kulissen liegende Wirklichkeit, die Sally Denton und Roger Morris in ihrem grandiosen Buch "Las Vegas - Geld Macht Politik" freilegen. Was auf den ersten Blick als harmloser, vielbesuchter Touristenmagnet à la Ratpack, Liberace, Elvis sowie Siegfried und Roy erscheint, entlarven die beiden preisgekrönten Enthüllungsjournalisten und Buchautoren Denton und Morris als wichtigste Geldwaschanlage der international operierenden Drogenmafia und alles zersetzendes Krebsgeschwür der amerikanischen Politik und Wirtschaft.

Sally Denton hat für das Fernsehen sowie die Zeitungen New York Times, Washington Post und Chicago Tribune gearbeitet, einst die Rechercheabteilung der US-Nachrichtenagentur United Press International geleitet und ist Autorin des Buchs "The Bluegrass Conspiracy: An Inside Story of Power, Greed, Drugs and Murder". Ihr früherer Ehemann Roger Morris diente unter den Präsidenten Lyndon Johnson und Richard Nixon im Nationalen Sicherheitsrat, bis er aus Protest gegen die illegale Bombardierung Kambodschas von seinem Posten zurücktrat. In den letzten Jahren hat Morris mehrere vielbeachtete, kritische Bücher zur Politik der USA nach 1945, darunter "Richard Milhous Nixon: The Rise of an American Politician", "Haig: The General's Progress" und "Partners in Power: The Clintons and Their America", verfaßt. Wenige Tage vor dem Einmarsch angloamerikanischer Truppen in den Irak sorgte Morris mit dem am 14. März 2003 bei der New York Times erschienenen Artikel "A Tyrant 40 Years in the Making" über die langjährigen Verbindungen zwischen Saddam Hussein und der CIA international für Aufsehen.

Als Denton und Morris 1995 der Washington Post einen gut recherchierten Artikel über die Drogenschmuggelaktivitäten der CIA auf dem Flugplatz Mena im US-Bundesstaat Arkansas sowie die Verwicklung des früheren Gouverneurs und damals amtierenden Präsidenten Bill Clinton darin anbot, wollte das Renommeeblatt aus Rücksicht sowohl auf die "Firma" als auch auf das Weiße Haus nichts von dieser Geschichte wissen. Der brisante Mena-Artikel erschien später im selbem Jahr bei der US-Männerzeitschrift Penthouse und bildete den Grundstein für das Buch von Denton und Morris über das Ehepaar Clinton und ihre dubiosen Freunde und Gönner in Arkansas, das hierzulande unter dem Titel "Die Clintons - Eine amerikanische Karriere" erschienen ist.

Gestützt auf die Forschungsergebnisse bekannter Wissenschaftler wie Alfred W. McCoy und Peter Dale Scott - deren wichtigste Bücher "Die CIA und das Heroin" respektive "Die Drogen, das Öl und der Krieg" ebenfalls bei Zweitausendeins erschienen sind -, wenden sich Denton und Morris in ihrem jüngsten Buch der bewegten Geschichte von Las Vegas zu, das sich über mehrere Jahrzehnte von einer reinen Glückspieloase zum vielleicht wichtigsten Zentrum der US-Tourismus- und Unterhaltungsindustrie entwickelt hat. Inzwischen verfügt Las Vegas, das von rund 50 Millionen Menschen im Jahr besucht wird, über "mehr Hotelzimmer als jede andere amerikanische Stadt, doppelt soviel wie New York oder Chicago oder Los Angeles".

Wer Spaß an Filmen wie Francis Ford Coppolas "Der Pate" oder Martin Scorceses "Casino" hat oder mehr über die zahlreichen Verbindungen zwischen der organisierten Kriminalität und der US- Unterhaltungsbranche erfahren will, kommt mit "Las Vegas" voll auf seine Kosten. Hier wird ausgiebig die anderweitig viel zu wenig beachtete Karriere von Meyer Lansky, dem eigentlich größten amerikanischen Mafiaboß des 20. Jahrhunderts, behandelt. Lansky, den man in den entsprechenden Kreisen aus Angst und Respekt den "Vorstandsvorsitzenden" nannte, galt nach Angaben des FBI bereits 1946 als weltweit größter Drogendealer und hat es dennoch geschafft, mehr als jeder andere Las Vegas seinen Stempel aufzudrücken. Er war es, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Bugsy Siegel damit beauftragte, mitten in der Wüste von Nevada das Kasino Flamingo hochzuziehen, und der später den Befehl zur Hinrichtung seines früheren Komplizen gab. Laut Denton und Morris blieb Lansky zeitlebens von den US-Strafverfolgungsbehörden verschont, weil er einerseits mit der CIA und dem israelischen Mossad zusammenarbeitete und andererseits auch belastendes Material über den langjährigen FBI- Chef J. Edgar Hoover in der Hinterhand hatte.

Andere zwielichtige Größen des politischen und wirtschaftlichen Lebens Amerikas des 20. Jahrhunderts, deren dubiose Geschäfte eng mit Las Vegas zusammenhingen und die deshalb im vorliegenden Buch beleuchtet werden, sind Jimmy Hoffa, Joseph Kennedy und Howard Hughes. Als Chef der mächtigen Teamsters-Gewerkschaft arbeitete Hoffa jahrelang eng mit Wirtschaftsbossen, Politikern und Gangstern zusammen. Nicht zuletzt mit der dickgefüllten Pensionskasse der Teamsters wurde der Bauboom der sechziger Jahren am Strip von Las Vegas finanziert. Im Juli 1975 ist Hoffa auf Nimmerwiedersehen verschwunden - vermutlich einem perfekten Auftragsmord zum Opfer gefallen.

Joe Kennedy, dessen Söhne, der US-Präsident John F. Kennedy und der Ex-Justizminister Robert F. Kennedy, 1963 respektive 1968 mysteriösen Attentaten zum Opfer fielen, hatte sein Vermögen mit dem Alkoholschmuggel während der Prohibitionszeit gemacht. Vater Kennedys eigene Kontakte zur Glückspielindustrie - bei dem Kasino Cal-Neva soll für ihn Ol' Blue Eyes Frank Sinatra persönlich als Strohmann gedient haben - sind es vermutlich gewesen, die unter anderem durch die Manipulationen in Chicago dem Demokraten JFK den Sieg bei der Präsidentschaftswahl 1960 über den republikanischen Herausforderer und Vizepräsidenten Richard Nixon brachten. Die anschließende Hetzjagd RFKs auf einige Unterweltbekannte des Vaters - speziell Sam Giancana - stellen laut Denton und Morris ein wichtiges Motiv für die Ermordung beider Kennedy-Brüder dar.

Howard Hughes, der mit Leonardo di Caprio in der Hauptrolle in dem jüngsten Scorcese-Film "The Aviator" zu spätem cineastischen Ruhm gekommen ist, gilt als eine der schillerndsten Figuren der jüngeren US-Geschichte überhaupt. Aktiv in der Film-, Luftfahrt-, Öl- und Rüstungsindustrie, arbeitete Hughes seit den fünfziger Jahren eng mit der CIA zusammen. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ließ sich der vom Filmmogul zum unter Mikrobenphobie leidenden Eremiten mutierte Milliardär in Las Vegas nieder und kaufte unter anderem die berühmten Casinos Desert Inn und Sands auf - was damals als Befreiung der Stadt vom Gangsterstigma gefeiert wurde. Interessanterweise haben nach Angaben von Denton und Morris die Verbindungen zwischen Hughes und Nixon eine nicht unwesentliche Rolle bei der Watergate-Affäre, auf die hier ebenfalls ausführlich eingegangen wird, gespielt.

Unter Ronald Reagan, George Bush sen. und Bill Clinton haben die Großkonzerne und die Wall-Street-Banken Las Vegas zur Touristenattraktion für die ganze Familie ausgebaut. An der Spitze dieser Entwicklung stand der langjährige, smarte Betreiber des Mirage- Kasinos, Steve Wynn, dessen Siegeszug am Strip nicht zuletzt vom berüchtigten Junk-Bond-König Michael Milken, dem größten Finanzbetrüger in der Geschichte der USA, ermöglicht wurde. Mit großer Betroffenheit zeichnen Denton und Morris nach, wie in den achtziger und neunziger Jahren in "heimlicher Komplizenschaft" die Verantwortlichen in Las Vegas und Washington einen "Legalisierungsboom" der Glückspielindustrie in den USA durchgesetzt haben. Für die von Denton und Morris angeprangerte Korruption Washingtons durch die großzügigen Spenden des "Syndikats" spricht der aktuelle Skandal um die anrüchigen, finanziellen Zuwendungen des Glückspielmagnaten Jack Abramoff an Tom DeLay, den aus Texas stammenden, republikanischen Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus und engen politischen Kampfgefährten George W. Bushs.

Wie der DeLay-Biograph Lou Dubose in einem am 6. Juni bei der Zeitschrift Texas Observer erschienenen Artikel berichtet, ist der republikanische Lobbyist Abramoff dermaßen eng mit der Parteiführung in Washington liiert gewesen, daß er zwei potentiellen Großspendern - Häuptlinge derjenigen Indianerreservate, wo er selbst Kasinos betreibt - im Mai 2001 einen Mittagstisch mit Bush jun. im Weißen Haus vermitteln und den beiden Lunchgästen des Präsidenten nachher für diese persönliche Dienstleistung 25.000 Dollar pro Nase in Rechnung stellen konnte. Später hat Abramoff die Anführer von sechs Indianerstämmen zu politischen Spenden in Höhe von 10 Millionen Dollar, die fast alle an die Republikaner gingen, bewegt. Wenn das kein zwingender Beweis für die "Las Vegasierung Amerikas" ist, dessen inzwischen erschreckendes Ausmaß Sally Denton und Roger Morris am Ende ihres aufschlußreichen und spannenden Buchs zu folgendem traurigen Fazit verleitet:

Die Stadt war schon immer ein Mikrokosmos des übrigen Amerika. Sie verkörpert nicht nur die Kultur und das Wertesystem Amerikas, sondern auch die Macht des Geldes. Seit dem Bau des Flamingo 1947 spiegelt Las Vegas die wirtschaftliche und politische Korruption wieder, die in ganz Amerika existierte, dort aber weniger deutlich in Erscheinung trat. Was Las Vegas seit dem Zweiten Weltkrieg in aller Öffentlichkeit und mit großer Selbstverständlichkeit praktiziert - angefangen beim Glückspiel bis zur Kooperation mit dem Syndikat -, war auch in anderen Städten der USA seit Jahrzehnten gang und gäbe; auch ihre Wirtschaft und ihre politischen Organe wurden von einem 'Staat im Staat' geknebelt. Las Vegas' illegale Machenschaften - von der Geldwäsche und dem Drogenhandel bis hin zu Auftragsmorden - waren in ein weit gespanntes kriminelles Netzwerk eingebunden. Die aus dem ganzen Land stammenden Besitzer und Manager der Kasinos des Strip bereicherten sich durch illegale Abschöpfungen und legale Gewinne, bedienten sich der Möglichkeit der Stadt auf jede redliche und unredliche Weise. Amerika bot einen fruchtbaren Nährboden für diese Entwicklung.
Las Vegas verdankte seinen wirtschaftlichen Erfolg vor allem dem Kapital des übrigen Amerika und den Gästen aus dem ganzen Land. Es konnte sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nur deshalb zur heimlichen Hauptstadt der USA entwickeln, zum Mekka für Politiker und Touristen, einer Glückspielmetropole, deren Einfluß bald bis in den hintersten Winkel des Landes reichte, weil das übrige Amerika Habgier und Ausbeutung zu nationalen Werten erhoben hatte.
Um die Jahrtausendwende hatte das demokratische System der Vereinigten Staaten längst kapituliert und war von einer Oligarchie abgelöst worden. Las Vegas hatte als Vorreiter für diese Entwicklung fungiert. (S. 512f.)

8. Juni 2005


Sally Denton & Roger Morris
Las Vegas
Geld Macht Politik
Aus dem Englischen von Petra Post und Andrea von Struve
Originaltitel: "The Money and the Power -
The Making of Las Vegas and Its Hold on America"
Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main 2005
595 Seiten
ISBN 3-86150-726-9