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REZENSION/386: Walter Brasch - America's Unpatriotic Acts (SB)


Walter Brasch


America's Unpatriotic Acts

The Federal Government's Violation of Constitutional and Civil Rights



Am 26. Oktober 2001, sechs Wochen nach den verheerenden Flugzeuganschlägen auf die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon in Arlington und vor dem Hintergrund einer mysteriösen, bis heute nicht geklärten Serie todbringender, anthrax-haltiger Briefe an Büros der oppositionellen Demokraten in Washington und Zeitungsredaktionen an der amerikanischen Ostküste, verabschiedeten im Eilverfahren und mit großer Mehrheit das Repräsentantenhaus (435 zu 66) und der Senat (99 zu 1) der USA das pathetisch klingende Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act der Regierung des republikanischen Präsidenten George W. Bush, das seitdem unter seinem Akronym USA-PATRIOT-Gesetz bekannt ist. Inzwischen geben nicht wenige Kongreßabgeordnete und Senatoren zu, die für den Entwurf gestimmt hatten, vor der Abstimmung das 342seitige Gesetz nicht gelesen zu haben, und bereuen ihr damaliges Ja-Votum. Schließlich hat die Bush-Regierung das USA-PATRIOT-Gesetz weit weniger benutzt, um die Vereinigten Staaten vor "Terroristen" zu schützen, als vielmehr um einen weitgehenden Angriff auf die in den Zusatzartikeln zur US-Verfassung verbrieften Rechte des einzelnen Bürgers zu starten.

Seit mehr als fünf Jahren laufen nun diverse Bürgerrechtsgruppen wie die American Bar Associaton (ABA), die American Civil Liberties Union (ACLU), das Center for Constitutional Rights (CCR) und das Electronic Privacy Information Center (EPIC) sowie zahlreiche namhafte Akademiker, Journalisten und Rechtsanwälte gegen das drakonische "Antiterrorgesetz" Sturm. Zur letzterer Gruppe gehört Walter E. Brasch, der als Professor der Journalismusschule an der Bloomburg Universität in Pennsylvania arbeitet, mehr als 14 Bücher hauptsächlich zu kulturell-sozialen Themen veröffentlicht hat und regelmäßig für diverse Publikationen, darunter für die angesehene linke US-Zeitschrift Counterpunch, schreibt. In seinem jüngsten Buch "America's Unpatriotic Acts - The Federal Government's Violation of Constitutional and Civil Rights" legt Brasch, der früher selbst Zeitungsreporter und -kolumnist war und über die Jahre mehr als 100 Journalismuspreise gewonnen hat, dezidiert dar, in welch ungeheuerlichem Ausmaß es das USA-PATRIOT-Gesetz der Bush-Regierung ermöglicht hat, die Grundrechte der US-Bürger auszuhöhlen und die Verfassung Amerikas, das wichtigste Gut des Landes überhaupt, mit Füßen zu treten.

Mit seiner Kritik an dem "unpatriotischen" Handeln von Weißem Haus, Justizministerium, Verteidigungsministerium, CIA und FBI möchte Brasch nach eigenen Angaben dem Leser einen umfassenden "Überblick" über die aus bürgerrechtlicher Sicht gefährlichsten Teile des USA-PATRIOT-Gesetzes, und wie sich diese auf die Macht und die Befugnisse der staatlichen Behörden in Amerika zu Lasten des einfachen Bürgers ausgewirkt haben, verschaffen. Unter dieser höchst bedrohlichen Entwicklung haben in besonderem Ausmaß in den letzten Jahren in den USA lebende Migranten - speziell aus der muslimischen Welt - und diejenigen Personen, die im Verlauf des Global War on Terror (GWoT) als mutmaßliche "Terroristen" den US-Streitkräften oder -Strafverfolgungsbehörden in die Hände gefallen sind und nach Anweisung des Weißen Hauses nicht als Kriegsgefangene behandelt werden, sondern als völlig rechtlose "illegale Kombattanten" jahrelang ohne Anklage und ohne Prozeß gefangen und gefoltert werden können, zu leiden gehabt.

Für Brasch stellt das USA-PATRIOT-Gesetz und der von der Bush-Regierung favorisierte Polizeistaat einen geschichtlich beispiellosen Angriff auf die Zusatzartikel I (Recht auf Religions-, Rede- und Pressefreiheit, Recht auf friedliche Versammlung sowie auf Beschwerde über Mißstände), IV (Recht auf Sicherheit der Person und Wohnung, von Urkunden und Eigentum gegen willkürliche Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahmung), V (Verbot der erzwungenen Selbstbelastung sowie der Freiheitsberaubung ohne ordentliches Strafverfahren), VI (Recht auf einen unverzüglichen und öffentlichen Prozeß einschließlich Rechtsbeistand vor einem unparteiischen Geschworenengericht, dazu Freilegung aller Vorwürfe und die Gewährung der Möglichkeit, entlastende Beweise vorzubringen), und VIII (Verbot der Verhängung grausamer oder ungewöhnlicher Strafen). Darüber hinaus hat die Bush-Administration das USA-PATRIOT-Gesetz - siehe das berüchtigte Gefangenenlager in Guantánamo Bay und die hochgeheimen "black sites" der CIA im Ausland - dazu benutzt, um die im Artikel I Abschnitt 9 der US-Verfassung verankerte Habeas-Corpus-Garantie auszuhebeln. Dieser Passus, der auf das Habeas-Korpus-Gesetz des englischen Parlamentes von 1679 zurückgeht, schützt den Bürger vor Verhaftung ohne gerichtliche Überprüfung und bildet seither das grundlegende Freiheitsrecht des amerikanischen und britischen Verfassungslebens.

Seit der Verabschiedung des USA PATRIOT Act bemüht sich die Bush-Regierung um seine Durchsetzung, während die Bürgerrechtler und ihre Verbündeten in Politik und Medien energisch um die Abmilderung, Revidierung oder vollständige Rücknahme des umstrittenen Gesetzes kämpfen. Anhand der wichtigsten Gerichtsfälle sowie zahlreicher Beispiele staatlicher Bespitzelung und Repression zeichnet Brasch ein detailliertes, höchst beunruhigendes Bild dieses erbitterten Kampfes. Nicht nur für die Verteidiger der Verfassung, sondern auch für die neokonservative Bush-Regierung und ihre Vorstellung der Unanfechtbarkeit präsidialer Machtbefugnisse ("unitary executive" powers) in Kriegszeiten steht sehr viel auf dem Spiel, wenn man bedenkt, daß den Verlautbarungen des Weißen Hauses zufolge der "globale Antiterrorkrieg" gegen die Feinde Amerikas, ob nun islamistische "Übeltäter" oder Massenvernichtungswaffen besitzende "Schurkenstaaten" sei dahingestellt, entweder Generationen dauern oder niemals zu Ende gehen soll.

Obwohl das Buch Braschs bereits 2005 in den USA erschienen ist, hat es nicht viel an Aktualität verloren. Trotz der überwältigenden Niederlage bei den Zwischenwahlen im November 2006 haben wenige Wochen danach, und damit vor Ablauf der letzten Legislaturperiode, die Republikaner im Repräsentantenhaus und Senat auf massives Drängen Bushs 14 der 16 umstrittensten, weil einschneidendsten Abschnitte des USA-PATRIOT-Gesetzes, die ansonsten ausgelaufen wären, dauerhaft, die übrigen zwei für weitere zwei Jahre, erneuert. Am 9. März dieses Jahres gab der Generalinspekteur des US-Justizministeriums bekannt, daß allein zwischen 2003 und 2005 das FBI ohne richterliche Genehmigung 140.000 sogenannte "national security letters", das heißt Durchsuchungs- beziehungsweise Überwachungsbefehle, der größte Teil weniger gegen irgendwelche "Terrorverdächtigen", als vielmehr gegen völlig legitime oppositionelle Kräfte, erwirkt hat. Darüber hinaus haben sich neokonservative Hardliner der Bush-Regierung bei ihrem jüngsten Versuch, eine friedliche Beilegung des Atomstreits mit Nordkorea zu torpedieren, des Abschnittes 311 des USA-PATRIOT-Gesetzes, der sich eigentlich gegen die "Terrorfinanzierung" richtet, zunutze gemacht, um die Banco Delta Asia (BDA) im chinesischen Makau mit Sanktionen zu belegen und die dortigen Konten Pjöngjangs fast zwei Jahre lang zu blockieren. Dieser Fall, ähnlich wie der anhaltende Streit zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union um die Speicherung von Flugpassagierdaten, zeigt, daß das USA-PATRIOT-Gesetz nicht nur die Bürger Amerikas tangiert.

Wie Brasch im vorliegenden Buch zeigt und selber eindrucksvoll demonstriert, gibt es in den USA eine ganze Menge Menschen, die die republikanische Verfassung ihres Landes und die darin verbrieften Freiheiten für eine große zivilisatorische Leistung halten und deshalb nicht einsehen, warum man sie auf dem Altar eines abenteuerlichen Imperialismus à la Dick Cheney und den neokonservativen Befürwortern eines "Neuen Amerikanischen Jahrhunderts" opfern sollte. Bei Bush jun., dem bereits jetzt der Platz in den Geschichtsbüchern als bisher ignorantester, schlechtester und verhaßtester US-Präsident sicher ist, sehen die Dinge anders aus. Obwohl der verwöhnte Präsidentensohn und ehemalige Gouverneur von Texas im Januar 2001 und 2004 wie seine Vorgänger im Weißen Haus feierlich lobte, die Verfassung der USA "aufrechtzuerhalten und zu verteidigen", hat er bei einem Treffen Ende 2005 zum Thema Erneuerung des USA-PATRIOT-Gesetzes eine Gruppe republikanischer Kongreßabgeordneter und Senatoren angeschrieen, sie sollten ihm nicht ständig mit der Verfassung kommen, da diese letztlich "nur ein verdammtes Stück Papier" sei. [1] Daß dem nicht so ist, braucht man bei Walter Brasch nur nachzulesen.

16. Mai 2007

1. Doug Thompson, "Bush - Constitution 'Just A Goddamn Piece of Paper", Capitol Hill Blue, 9. Dezember 2005


Walter M. Brasch
America's Unpatriotic Acts
The Federal Government's Violation of Constitutional and Civil Rights
Peter Lang Verlag, New York, 2005
233 Seiten
ISBN: 0-8204-7608-0