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REZENSION/389: D. Prokop - Der kulturindustrielle Machtkomplex (SB)


Dieter Prokop


Der kulturindustrielle Machtkomplex

Neue kritische Kommunikationsforschung über Medien, Werbung und Politik



Verspricht schon der Titel des Buches "Der kulturindustrielle Machtkomplex" einen erfreulich interessenbezogenen Ansatz der Kommunikationsforschung über Medien, Werbung und Politik, so läßt Dieter Prokop bereits in seinen einleitenden Worten keinen Zweifel daran, daß er das Gestrüpp gängiger Irrtümer und Verschleierungsversuche gründlich auszuforsten gedenkt. Wie der emeritierte Professor für Soziologie und Medien am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt schreibt, wolle er einige Einsichten darüber, wie der Gesamtzusammenhang der drei im Untertitel genannten Komplexe wirklich funktioniere, ohne alle Beschönigungen und so klar und knapp wie möglich darstellen. So erwartet den Leser eine anregende Lektüre, die bei profunder Sachkenntnis nie den Schwung der Aufklärung verliert und das Gefüge der Kulturindustrie nach seinen Strukturen, Verlaufsformen, Agenten und Zielsetzungen entschlüsselt.

Der Autor verwirft insbesondere das konservative politische Programm der Trennung in den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Bereich einerseits und die gewissermaßen höhere Sphäre der Wertorientierung andererseits, die den Trugschluß propagiert und kultiviert, es handle es sich dabei um zwei voneinander unabhängige und gegeneinander ins Feld zu führende Größen. Nur durch diesen unzulässigen Kunstgriff lasse sich die falsche Frage aufwerfen, ob es die ökonomischen und sozialen Interessen der Bevölkerung oder vielmehr deren allgemeine Wertorientierungen seien, die Konsumentscheidungen und Wählerverhalten bestimmten.

Und Prokop geht noch weiter, indem er postuliert, daß die Frage nach der Effektivität von Wahlkämpfen, Werbung, Marketing und PR an der Wirklichkeit vorbeigehe. Zwar liege auf der Hand, daß eine derartige Wirkung von Politikern, Konzernführungen, Werbeagenturen, Kommerzjournalisten und Heerscharen von Beratern zutiefst gewünscht wird, doch finde dieses Bestreben keineswegs seine Erfüllung in entsprechenden Resultaten. Während alle Beteiligten vorhielten, daß es effektiv sei, ausschließlich die Gefühle der Menschen anzusprechen und ihren Verstand zu ignorieren, produzierten doch Werbeagenturen und Politikberater in der Realität weit mehr Flops als Erfolge. Solange man sich von dem Geschrei, es gehe dabei um erzielte Wirkungen, täuschen lasse, könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß fortgesetzt Milliardenbeträge in den Sand gesetzt werden. In Wirklichkeit würden diese Unsummen jedoch für etwas ganz anderes ausgegeben, gehe es doch um die Repräsentanz der Reichen und Mächtigen in einer refeudalisierten Öffentlichkeit.

So verstanden wirft die kritische Kommunikationsforschung Fragen auf, die nicht nur im soziologischen, sondern darüber hinaus im gesellschaftspolitischen Diskurs weithin unterbelichtet bleiben. Die Wissenschaften gelten zumeist als heilige Kühe, die hinsichtlich ihrer Inhalte mehr oder minder unhinterfragt für bare Münze genommen werden, während man allenfalls ihre Verwendung in falschen Händen für bedenklich hält.

Dabei rechnet es sich der aufgeklärte Mensch der Moderne gleichsam als Grunderkenntnis hoch an, das allein dem Glauben verpflichtete, theologisch gestützte und kirchlich institutionalisierte Weltbild früherer Epochen hinsichtlich seiner Dogmen zu verwerfen und als Herrschaftsinstrument zu definieren. Unwissend wähnt man die damaligen Zeitläufe und belächelt oder geißelt je nach Bedarf das Konglomerat vorgeblich göttlich inspirierter Pseudoerklärungen und Verhaltensvorschriften. Wie dabei unschwer zu erkennen ist, stand der Apparat der Kirche nicht nur in einem innigen Verhältnis zu weltlicher Macht, sondern schuf ein vielfach verwobenes Muster der Gesellschaftsordnung und Denkweisen, ohne das die Untertanen nicht beherrschbar gewesen wären. Während man also aus heutiger Sicht der Spitze damaligen Wissens den von ihm selbst reklamierten Erkenntniswert abspricht, gesteht man ihm sehr wohl eine tiefgreifende Funktionalität im Sinne der Herrschaftssicherung zu, indem es jegliche Plätze im Vorgriff besetzt hielt, die andernfalls dem sich befreienden Geist Raum zur Entfaltung geboten hätten.

Mit dem Zeitalter der Aufklärung kam der letztendlich noch fatalere Irrtum in die Welt, das Verhängnis von Unwissenheit und Glaubensdogma sei überwunden. Während die alte Ordnung mit dem Heiden, Ketzer und Sünder die Möglichkeit der Abweichung als konstituierendes Moment benötigte, beanspruchte die neuzeitliche Wissenschaft eine umfassende und von Partialinteressen unberührte Allgemeingültigkeit. Dabei trug die Möglichkeit ihrer immanenten Revision im Zuge des Fortschritts maßgeblich zu dem Trugschluß bei, es handle sich von Grund auf um eine adäquate Repräsentanz der Wirklichkeit, die freilich noch unvollkommen, doch in einem unablässigen Reifeprozeß begriffen sei.

Wer dies zu bezweifeln wagt, wird mit den gewaltigen Leistungen industrieller Okkupation konfrontiert, als sei die Fähigkeit des Menschen, auf Grundlage des Raubes und der Zerstörung gigantische Monumente zu errichten, den Konsum Weniger zu Lasten der Vielen zu forcieren und insbesondere die Verfügungsgewalt innovativ voranzutreiben, ein unabweislicher Beleg der Richtigkeit nicht mehr zu hinterfragender Erklärungsmuster.

So selbstverständlich man einräumen wird, daß einzelne Forschungsergebnisse und selbst ganze Lehrgebäude morgen schon Schall und Rauch sein können, weil sich ein anderes Interpretationsmuster durchgesetzt hat, so wenig läßt man Zweifel am Fundament der Wissenschaft als solcher zu. Das gilt auch auf dem Feld der Gesellschaftswissenschaften, wobei es beileibe nicht nur Experten sind, die deren Schlüsse unbesehen übernehmen. Wer teilte nicht die tiefe Überzeugung, daß auf dem Feld der Werbung die geheimen Verführer am Werk seien und mit intriganter Raffinesse Saiten in uns zum Klingen brächten, die sich der Ratio des Bedarfs und Geldbeutels entzögen! Was ist so attraktiv an der Vorstellung, auf unmerkliche Weise an der Nase herumgeführt zu werden? Zum einen natürlich die Option, die eigene Affinität zu leugnen und zu kaschieren, vor allem aber doch die Aussicht, andere der Dummheit bezichtigen zu können. Wenn allgemein bekannt ist, daß Werbung falsche Versprechen macht, kann demzufolge nur darauf hereinfallen, wer von begrenztem geistigen Horizont ist.

Man muß daher durchaus kein Sozialwissenschaftler sein, um sich vom Glauben an die Gültigkeit der Kommunikationsforschung so viel zu versprechen, daß man sie bedenkenlos als ein Werkzeug von analytischer Schärfe und prognostischer Sicherheit anerkennt. Dieter Prokop rüttelt gewissermaßen von innen kräftig am Gerüst solcher Überzeugungen, indem er herausarbeitet, daß die Manipulation weit weniger auf die Konsumenten oder Wähler gerichtet ist, als man sich das gemeinhin vorstellt, da dies eine Wirksamkeit und Treffsicherheit voraussetzte, die gar nicht vorhanden ist. Vielmehr handle es sich um verselbständigte Interessenlagen, die zum größten Teil in der kapitalintensiven Repräsentanz gesellschaftlich dominanter Kräfte bestünden. Erst danach komme das zweite gemeinsame Interesse aller, nämlich Gefühle als Stimmungen anzusprechen, auszubeuten und sodann wegzuwerfen, wie auch die empirischen Gefühle der Menschen von dem ebenso empirisch vorhandenen Verstand abzutrennen und letzteren zu ignorieren.

So mahnt Prokop eine kritische Kommunikationsforschung an, die sich nicht länger als bloßer Dienstleister für Werbetreibende und Politberater definiert und den bestehenden Verhältnissen andient. Wo Erfahrungs- und Erkenntnishorizonte, wie sie freie Menschen und mündige Bürger brauchten, beschränkt würden, seien es nicht die Medien oder deren Logik an sich, die zwangsläufig und unausweichlich derartige Einschränkungen auferlegten, sondern konkrete Fraktionen von Interessen, weshalb es geboten sei, die Analyse dieser Interessenlagen innerhalb des kulturindustriellen Machtkomplexes vorzunehmen.

Prokop illustriert dies unter anderem anhand eines Beispiels aus dem Alltag, das er als eine Metapher verstanden wissen will. So sei die leidige Musikberieselung in Restaurants, Hotels, Kaufhäusern und Bahnhöfen nicht da, weil irgend jemand sie möge, sondern weil sie zum Styling des Hauses gehöre. Daß dies den Kunden gefalle oder doch freiwillig akzeptiert werde, sei falsch. Ihnen werde vielmehr schlichtweg die Möglichkeit genommen, anders als unter Inkaufnahme dieser Einschränkung ihrem eigentlichen Vorhaben nachzugehen. Beschwerden würden mit dem Hinweis abgeschmettert, daß die Kunden es so wollten oder man wie etwa im Hotel das Frühstück auch auf dem Zimmer einnehmen könne. Auch sei es falsch, daß diese Musik tatsächlich den Konsum beflügle und den Durchlauf der Kundschaft beschleunige.

Dabei könnten die Chefs durchaus der Überzeugung sein, daß die für teures Geld eingekauften Anregungen, die ihnen Marketing-Berater aufgeschwatzt haben, den Verstand der Kundschaft derart eintrüben, daß diese über mangelnde Qualität und hohe Preise hinwegsieht. Das sei jedoch keineswegs der Fall, und wo die Kunden trotz der nervtötenden Beschallung wiederkämen, habe dies pragmatische Gründe und sei zumeist aus einem Mangel an Alternativen geboren. Dem widerspreche auch nicht, daß längst eine jüngere Generation herangewachsen sei, die unablässige Beschallung für das Selbstverständlichste der Welt halte. Nicht ohne Grund habe Horkheimer das Wort vom "gigantischen Lautsprecher der Kulturindustrie" geprägt, da vor allem laute Beschallung zu Ehren von Konzernen, Managern, Politikern und deren Profilierungsstrategien sowie des überteuerten Schrotts, den sie anbieten, produziert werde, während sie Alternativen hierzu systematisch zerstörten.

Aus verschiedenen Blickwinkeln und unter Bezugnahme auf eine Fülle relevanter Ansätze der Theoriebildung arbeitet der Autor seine zentrale These heraus, daß es in Wahrheit nicht um Wirksamkeit, sondern Repräsentanz gehe:

Es geht nicht um die "Massen", nicht um "Massenwirksamkeit" - auch nicht um die Stimmungen von Zielgruppen und Milieus -, sondern um Machtrepräsentanz. Die am kulturindustriellen Machtkomplex Beteiligten feiern sich selbst. Sie tun das aber nicht um des Zwecks der "Selbstreferenz" willen, wie Systemtheoretiker sagen würden, sondern wegen des Kapitals, das sie hierbei demonstrativ ausgeben bzw. an Land ziehen.

Wenn wir uns die eitle Illusion machen, alles diene nur dazu, bei uns zu wirken, sind wir wohl etwas verblendet. Das Zeitalter des kulturindustriellen Machtkomplexes ist nicht so demokratisch, wie jene es sich vorstellen, die glauben, die Reichen und Mächtigen seien so nett, nicht mehr zu wollen, als bei uns, den Konsumentinnen und Konsumenten, Wählerinnen und Wählern, ein wenig Aufmerksamkeit zu erregen.
(S. 182 f)

Prokop bestreitet in diesem Zusammenhang keineswegs, daß es fatale Auswirkungen haben kann, wenn einflußreiche Personen oder Gruppierungen in manipulativer Absicht zu Werke gehen. Er stellt jedoch die direkten Wirkungen in Frage, welche die Manipulateure sich wünschen, und widerspricht nicht zuletzt Ansätzen, die eine geradezu gesetzmäßige Zwangsläufigkeit und unabwendbare Ausschließlichkeit der Verfügung postulieren. Wie er mit Horkheimer und Adorno argumentiert, müsse sich Herrschaft, die alle erfassen will, ihrerseits von allen erfassen lassen. Das gelte auch in Bezug auf den kulturindustriellen Machtkomplex, in dem sich gegenüber dem Bewußtsein der Herren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft noch immer der Eigensinn der Bevölkerung in Gestalt des Verstandes behaupte, der durchaus in der Lage sei, die Angemessenheit und Vernünftigkeit des Umgangs mit eigenen und fremden Ressourcen zu beurteilen. Inmitten der Kulturindustrie existiere auch das Nichtidentische dieser kulturindustriellen Macht. Mehr zu sagen, hielte Prokop an dieser Stelle für zu viel, denn das immanent Kreative zu idealisieren sei seine Sache nicht, und schöne Idealmodelle von "konkreten Alternativen" wolle er erst recht nicht konstruieren.

6. Juni 2007


Dieter Prokop
Der kulturindustrielle Machtkomplex
Neue kritische Kommunikationsforschung über Medien, Werbung und
Politik
Herbert von Halem Verlag, Köln 2005
222 Seiten
ISBN 3-938256-12-8