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REZENSION/443: Armand Mattelart - Kultur und Globalisierung (SB)


Armand Mattelart


Kultur und Globalisierung

Marktmacht gegen Vielfalt



Die dominante Gebrauchskultur, die in ihrer Ortlosigkeit überall und nirgends zu Hause ist, am Reißbrett der Marketingstrategen Gestalt annimmt und inhaltlich auf den denkbar größten gemeinsamen Nenner ihres globalen Publikums heruntergebrochen wird, verfügt durchaus über einen identifizierbaren Absender. Die Produkte der globalen Unterhaltungsindustrie weisen meist eine Adresse im angloamerikanischen Raum auf und sind insbesondere dann, wenn es um Kino und Fernsehen geht, in den USA beheimatet. Der Einfluß der dort ihren Ausgang nehmenden Wertschöpfungsketten auf das Bewußtsein und die Lebenswelt der Menschen steht dem der Feldzüge der US-Streitkräfte, die in ihrer finanziellen und waffentechnischen Bemittelung jeden Herausforderer dominieren, in nichts nach.

Das Duopol aus sinnlicher Animation und materieller Zerstörungskraft läuft in Erfüllung des Auftrags, den Expansionsräumen der Neuen Weltordnung den Stempel ihres Werteuniversalismus aufzudrücken, in der spezifischen Inszenierung des Krieges nach Machart Hollywoods zu ästhetischer wie operativer Hochform auf. Die ideologische Befrachtung der Produkte US-amerikanischer Medienkonzerne ist perfekt in die Inszenierung und Dramaturgie aufregender und spektakulärer Plots integriert, so daß der auf diese Welt- und Filmsicht konditionierte Konsument kaum darauf verfällt, die Voraussetzungen seiner Bedingtheit aus der Homogenität der animativen Oberfläche herauszuarbeiten. Desto wirksamer verfängt das Unterhaltungsangebot, infiltrieren die kommunikativen und sozialen Codes der audiovisuellen Performanz doch die Alltagskultur in aller Welt und bieten der imperialen Expansion wie von selbst entstandene Brückenköpfe und Schnittstellen.

Bezeichnenderweise verfügt die US-Gesellschaft etwa im Bereich der Musik durchaus über Traditionen, die über die Grenzen des eigenen Landes hinaus kaum massenkompatibel sind. Die Verbreitung von Produktionen aus den Bereichen Country, Folk, Blues und Jazz bleibt außerhalb der USA meist auf ein Nischenpublikum beschränkt, gerade weil es sich um künstlerische Erzeugnisse handelt, die eine in ihrer sozialen und kulturellen Genese unverwechselbare Eigenständigkeit erlangt haben. Obwohl Country-Musiker in den USA vergleichbare Verkaufszahlen erreichen wie die Weltstars der Popmusik oder die Festivals sogenannter Jam-Bands, deren Namen außerhalb der USA so gut wie unbekannt sind, von Hunderttausenden besucht werden, haben diese Genres niemals eine vergleichbare Verbreitung auf anderen Kontinenten erlangt.

Das Verhältnis von lokaler und globaler Kultur ist eines der Themen, denen sich der Pariser Professor für Kommunikations- und Informationswissenschaften Armand Mattelart im vorliegenden Buch widmet. Ihn beschäftigen insbesondere die Antagonismen der Kulturproduktion, die er auf durchaus parteiliche Weise als Ergebnisse einer von marktwirtschaftlichen Mechanismen getriebenen Massenkultur analysiert. Mattelart tritt für den Erhalt kultureller Vielfalt ein und macht im Rahmen eines Aufrisses kulturtheoretischer Entwicklungen der letzten 200 Jahre in erster Linie kolonialistische und imperialistische Politik für die erfolgte Nivellierung künstlerischer Formen und Inhalte verantwortlich.

Dies tut er auf eher zurückhaltende Weise, indem er zahlreiche Vordenker und Theoretiker für sich sprechen läßt, die die Okkupation ihrer Lebensweise und Sprache durch äußere Einflüsse oder fremde Eroberer als wichtigen Grund für bis heute anhaltende Fortschrittsblockaden veranwortlich machen. In diesem Rahmen verweist der Autor darauf, daß der Begriff der "Entwicklung" das Produkt einer "Modernisierungssoziologie" war, der es erklärtermaßen um "die Verwestlichung des Anderen, der angeblich geschichtslosen Völker, deren Kultur bestenfalls für Folklore tauge," (S. 70) ging. Mattelart weiß allerdings auch, daß die Eroberer dazulernen und, wie etwa im Vietnamkrieg geschehen, die Bedeutung sozialer und kultureller Faktoren für ihre Kriegführung entdecken. Wenn das Pentagon heute Anthropologen beschäftigt, die die Befriedung des Iraks und Afghanistans planen, dann wird damit nicht bezweckt, die Menschen in ihrer kulturellen Eigenständigkeit zu fördern, sondern man sinnt nach Mitteln und Wegen, Kontrolle über ihre Lebensformen zu erlangen, um diese letztendlich dem eigenen Gesellschafts- und Verwertungsmodell zu unterwerfen.

Ausgehend von einer bereits in den 1920er Jahren etablierten gouvernementalen Technologie der Konsensbildung, die sich der damals aufkommenden Ideologie des "Managements" als eines "Grundschemas einer allgemeinen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse" und der "Organisation des Massenkonsums durch Marketing und Werbung" (S. 40) bediente, erarbeitete man eine paternalistische Konzeption der Zurichtung aller Lebensbereiche auf die Belange des fordistischen Kapitalismus, für die das "Medium als Vermittler von Modernisierungsmodellen, die den Weg in die Konsumgesellschaft weisen" (S. 70), von zentraler Bedeutung war. Damals nahm die im Zeitalter der sogenannten Informationsgesellschaft vollends hegemonial gewordene Dominanz eines Kommunikationsbegriffs, dessen Vereinnahmungsanspruch sich sogar des Strebens nach kultureller Vielfalt bedient, um es auf einen global verwertbaren Nenner zu bringen, über den der Kultur ihren Ausgangspunkt.

Der zum zentralen Mittel der Durchsetzung herrschender Interessen verabsolutierte Prozeß der Kommunikation, in dem nicht mehr unter Gleichen gefragt und zugehört, sondern von oben nach unten propagiert und indoktriniert wird, und die Beliebigkeit der Information, die sich, in ihrem Warencharakter jeder Subjektivität entledigt, jedem Herrn andient, der für sie bezahlt, münden in eine Gesellschaft, in der die Errungenschaften humanistischer Kultur der Ratio totaler Verwertung weichen. Der globalen Vergesellschaftung durch den liberalen marktwirtschaftlichen Demokratismus des "American way of life" wird eine Finalität des Geschichtsprozesses unterstellt, die, wie Mattelart anhand eines Zitats des französischen Philosophen Alexandre Kojève ausführt, schon 1947 ihren Schatten vorauswarf:

"Der Homo sapiens verlasse die Geschichte, der menschliche Logos im eigentlichen Sinne verschwinde. 'Die Tiere der Gattung Homo sapiens würden mit konditionierten Reflexen auf akustische und mimische Signale reagieren und ihr so genannter 'Diskurs' würde wohl der angeblichen 'Sprache' der Bienen ähnlich sein. Verschwinden würde nicht nur die Philosophie oder die Suche nach einer diskursiven Weisheit, sondern diese Weisheit selbst. Denn diese posthistorischen Tiere hätten kein (diskursives) Wissen von der Welt und von sich selbst mehr.'"
(S. 63)

Wer dies als übertriebenen Kulturpessimismus verwirft, macht sich keinen Begriff von den Folgen, die etwa die Generalisierung des Englischen zur globalen Wissenschaftssprache zeitigt. Schon heute nehmen muttersprachlich nicht zur Anglosphere gehörige Akademiker schwerwiegende Nachteile in Kauf, da sie, um überhaupt Beachtung zu finden, auf englisch publizieren müssen. Zudem bringt jede Sprache genuin eigene Anschauungs- und Reflektionsformen hervor, die sich nicht ohne Verluste in andere Sprachen übertragen lassen. Ein weiterer Punkt der von Mattelart verlangten "Strukturkritik an einer als unüberschreitbarer Horizont gesellschaftlicher Entwicklung sich präsentierenden Lebensweise und Gestalt der Modernität" (S. 63) betrifft die Ablösung der textgebundenen Auseinandersetzung und Reflektion durch audiovisuelle Formen der Unterhaltung und Wissensvermittlung. Die immensen Wachstumsraten, die ausschließlich bildgestützte Inhalte im Internet aufweisen, führen nicht nur dazu, daß die informationstechnische Infrastruktur auf diese Formate ausgerichtet wird und dabei Verluste ökologischer wie kultureller Art erzeugt, sondern sie lassen das Vermögen der Menschen, auf eine Weise zu sprechen und zu schreiben, die den andern erreicht, weil sie die Distanz des Kommunikationsmodells negiert, verkümmern.

Um die diese Entwicklung bedingenden Kräfte auf angemessene Weise kritisieren zu können, läßt Mattelart den vermeintlich überholten Begriff des "Kulturimperialismus" zu neuen Ehren kommen:

"Kulturimperialismus ist in erster Linie ein System von Machtverhältnissen und ungleichen Beziehungen, aus dem die Hegemonie einer bestimmten Weltsicht resultiert. Daher ist es wichtig, noch einmal auf den materiellen und systemischen Aspekt von Kultur als einem strukturierenden symbolischen Medium zurückzukommen. Bestimmten Vorstellungen von Weltordnung, bestimmte Bezugssysteme und organisatorische Grundschemata verallgemeinern sich und erscheinen als die einzig möglichen, rationalen und vernünftigen. Sie binden die einzelnen Gesellschaften unmittelbar an ein bestimmtes Modell der Moderne an, das sich in sämtlichen gesellschaftlichen Sphären wiederfindet, in Technologie, Sprache, Wirtschaft, Politik, Recht, Bildung und Religion. Kulturimperialismus beschränkt sich also nicht auf Erscheinungen im Bereich von Medien und Massenkultur, auch wenn diese in den neokolonialen Beziehungen zu den 'anderen' Völkern einen strategisch immer wichtigeren Platz einnehmen. Von Bedeutung sind aber auch die Modelle der Institutionalisierung von Kommunikationstechnologien, die Raumplanungsmodelle, die wissenschaftlichen Paradigmen, die Konsum- und Statusvorgaben, die unternehmerischen Managementmodelle und die militärischen Bündnissysteme. Man denke auch an das Recht, an die Einführung des Vertragsrechts nach amerikanischem Vorbild, das sich als eine Art Lingua franca der internationalen Geschäftsbeziehungen etabliert hat. Die ungleiche Beziehung erscheint vielfältig in sich gegliedert, sie tritt asynchron und asymmetrisch auf, je nachdem, wie durchlässig sich die einzelnen Zonen und Funktionsträger des sozialen Lebens gegenüber den als allgemein gültig sich präsentierenden Referenzsystemen erweisen."
(S. 74 f.)

Diese allgemein gehaltene Definition mündet im weiteren Verlauf des Buchs in eine Darstellung und Kritik globaler Kulturpolitik, die insbesondere um die Auseinandersetzung zwischen europäischer und amerikanischer Filmindustrie aus spezifisch französischer Sicht kreist, aber auch die Bedeutung supranationaler Institutionen wie der UNESCO und internationaler Abkommen im Rahmen der WTO als Austragungsort der Kämpfe zwischen Globalisierungsagenten und Verfechtern kultureller Autonomie bewertet. Die Frage danach, "welche Art von Subjekt und Subjektivität die neue Phase des integrierten Kapitalismus erfordert," (S. 106) hat Mattelart eigentlich schon an einer früheren Stelle des Buchs beantwortet, als er mit Frantz Fanon und Aimé Césaire "für einen wirklichen menschlichen Universalismus auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts der Völker und Kulturen" (S. 72) plädierte.

Demgegenüber erweist sich die These Samuel P. Huntingtons vom "Kampf der Kulturen", die der Autor in einem kurzen Exkurs vorstellt, als programmatischer Ausdruck einer Kriegsplanung, die sich der Unterstellung einer reziproken Feindseligkeit der Kulturen bedient, um Vorwände für aggressive Interessendurchsetzung zu schaffen. Blendet man von Mattelarts Tour d'horizon kulturkritischer Theorien auf die angeblich zivilisatorische Mission des Globalen Kriegs gegen den Terrorismus, die sich gerne der Thesen Huntingtons bedient, über, erweist sich Huntingtons Ideologie als Angriff auf all das, was den Menschen im Innersten zusammenhält, seine Herkunft, Geschichte und Lebensform.

Um so mehr gilt es, sich eines Respekts zu befleißigen, der jede Suprematie und Subordination zugunsten der Existenz des Fremden in der ihm eigenen Art ausschließt. Solange der andere nicht expansiv agiert, gibt es keinerlei Grund, ihn mit noch so wohlgesonnenen Maßnahmen zu überziehen und damit einen Eingriff von unauslotbaren Folgen zu initiieren. Dem Kulturbegriff selbst ist eine okkupatorische Qualität immanent, wird diese Kategorie doch wie jeder Ordnungsbegriff erst durch Vergleich und Unterscheidung operabel und macht damit eine übergeordnete Deutungshoheit geltend, die gerade im "kognitiven Kapitalismus, der gegen alles Denken und Handeln jenseits der ausgetretenen Wege konspiriert" (S. 147), mit dem Streben nach Aneignung in eins fällt.

Abschließend verwirft Mattelart die "Hoffnung, die 'Arbeit der Selbstproduktion' durch Entwicklung kreativ-kognitiver Fähigkeiten werde als Grundlage einer von den Zwängen des Produktivismus befreiten Gesellschaft Anerkennung finden" (S. 147), da sie sich ausschließlich den Zwecken der Profitproduktion andient, die abzuschaffen "Aufgabe der neuen kulturellen und sozialen Kämpfe" (S. 148) sei. Zwar bleibt der Autor mit seinen Vorschlägen, wie dies zu erfolgen habe, hinter der dazu gebotenen Radikalität zurück, hätte dies doch einer fundamentalen Kritik wissenschaftlicher Kulturproduktion und -reflektion bedurft. Er verwahrt sich jedoch unter Verweis auf die Bedeutung kultureller Fragen für die Zukunft des Planeten gegen die Zuständigkeit der "so genannten Sachverständigen" (S. 149) und mahnt eine breite gesellschaftliche Diskussion der Fragen an, die öffentliche Gemeingüter betreffen und die Rückführung dieser in die Hände aller Bürger bewirken sollen.

18. Juni 2008


Armand Mattelart
Kultur und Globalisierung
Rotpunktverlag, Zürich, 2006
161 Seiten, 19,50 Euro
ISBN: 978-3-85869-328-0