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REZENSION/466: Schetsche, Engelbrecht - Von Menschen und Ausserirdischen (SB)


Michael Schetsche, Martin Engelbrecht (Hg.)


Von Menschen und Ausserirdischen

Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft



Im bunten Strauß der kulturwissenschaftlichen Forschungsgegenstände ist schon vor langer Zeit eine Nische für das Außerirdischen-Thema entstanden. Wo die harten Naturwissenschaften ihren Wahrheitsanspruch allzu gern wie eine Monstranz vor sich hertragen und sich von vornherein jeglichem Zugang zu Phänomenen verschließen, die ihren kausalen Konzepten und der experimentellen Wiederholbarkeit entzogen bleiben, treten die in dem Sammelband "Von Menschen und Ausserirdischen. Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft" zu Wort kommenden Autorinnen und Autoren aus dem breiten Spektrum der Kulturwissenschaften mit vergleichsweise unverstelltem Blick, wachen Sinnen und mitunter aufgeschlossenem Herzen an das Thema heran.

Gleichzeitig unterliegen sie nicht jener typischen, intellektuelle Verrenkungen abfordernden und Widersprüche ignorierenden Behauptungsnot, wie sie bei Vertretern der Ufologie, die sämtliche Ufo-Phänomene als Einwirkung Außerirdischer interpretieren, anzutreffen ist. Indem sich die Ufologen häufig als bloße Antagonisten zu den Naturwissenschaftlern positionieren, wetteifern sie um die gleiche Deutungshoheit.

Trotz der fortgeschrittenen Vergesellschaftung und Atomisierung des Menschen und seiner Überantwortung an nach kalkulierbaren Nützlichkeitskriterien vorangetriebenen Produktionsverhältnissen konnte die simple Vorstellung, daß das, was die Existenz zwischen Geburt und Tod zu bieten hat, unmöglich alles gewesen sein kann, nicht aus der Welt geschafft werden. Der Wunsch nach Dingen jenseits des Augenscheinlichen findet auf vielfältige Weise seinen Ausdruck, sei es in den Religionen, in medialen Fantasywelten oder auch als Warenfetisch. Das Buch "Von Menschen und Ausserirdischen" behandelt in dreizehn Kapiteln mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten einen Komplex an Themen rund um die zentrale Frage, was es bedeutete, sollte der Mensch nicht die einzige zivilisatorische Spezies im Universum sein.

Die Herausgeber Martin Engelbrecht und Michael Schetsche erklären im einleitenden Kapitel "Von Menschen und Außerirdischen - zur (Er-)Öffnung der Diskussion", daß sie "Diskursräume" aufschließen, sich an den Grenzen menschlichen Wissens entlangbewegen und dazu anregen wollen, "diesem 'wilden' Denken statt mit einer generellen apriorischen Skepsis eher mit einer allgemeinen Offenheit bei gleichzeitiger präziser, kritischer Nachfrage im Detail zu begegnen" (S. 12). Diesen Appell haben die Verfasser der einzelnen Beiträge aufgegriffen und sich bemüht, ihn auf ihr jeweiliges Fachgebiet bezogen zu verfolgen.

Matthias Hurst stellt in seinem Aufsatz über die "Dialektik der Aliens. Darstellungen und Interpretationen von Außerirdischen in Film und Fernsehen" zunächst einmal fest, daß die Außerirdischen-Thematik aus dem menschlichen Leben "nicht wegzudenken" ist (S. 32) und daß sie von der populären Kultur und Unterhaltungsindustrie übernommen wurde. Wobei der Autor die Ansicht vertritt, daß "die Darstellungen von außerirdischen Wesen in den Massenmedien Film und Fernsehen aufgrund ihrer Verbreitung und Popularität wirkungsmächtiger" sind "als die Schilderungen vorgeblich authentischer Begegnungen mit Ufos und deren Piloten durch Betroffene" (S. 33).

Ganz im Sinne des von den Herausgebern entfalteten Diskursraums soll Hursts Ansicht nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Sicherlich haben Filmfiguren wie Spock, E.T. oder Darth Vader einen ungleich größeren Bekanntheitsgrad als beispielsweise der angeblich von Kontaktlern gechannelte Raumschiffkommandant Ashtar oder die außerirdische Spezies der Reptoids, die Menschen entführen und Experimente an ihnen durchführen sollen, wie es in ufologischen Weltanschauungen kolportiert wird. Dennoch muß bedacht werden, daß schiere Verbreitung noch keine Wirkmächtigkeit ausmacht. Den bekannten Filmfiguren gehen nicht selten, im ufologischen Verständnis, "echte" Ereignisse voraus.

So erinnert Steven Spielbergs Filmfigur E.T. an die Beschreibungen der kleinwüchsigen, grauhäutigen und schwarzäugigen Greys, wie sie in Entführungsszenarien geschildert werden. Und der Drehbuchautor und Regisseur Chris Carter, der in den neunziger Jahren mit seiner höchst erfolgreichen TV-Serie "Akte X" das Mystery-Genre für das breite Publikum aufgeschlossen hat, pflegte sich überreichlich der in der einschlägigen Literatur geschilderten Ufo-Szenarien zu bedienen. "Akte X" wiederum wurde zum Vorbild für andere Serien. Auf diesem Umweg hat die Ufologie dann doch erheblich zur Konjunktur des Mystery-Genres beigetragen und ist so auf hintergründige Weise breitenwirksam geworden. Allerdings sollte die hier angestoßene Diskussion nicht in der Frage münden und sich im Sumpf des Ursache-Wirkung-Denkens festfahren, ob die Henne oder das Ei zuerst auf der Welt war, sind doch ufologische Deutungsmuster und Science-fiction-Adaptionen demselben menschlichen Reflexionsapparat entsprungen.

Hursts Ausführungen über Aliens in Film und Fernsehen sind durchaus lesenswert, da sie einen Ein- und ersten Überblick über das Spektrum der medial dargebotenen Außerirdischen-Formen liefern. Wobei sich der Literatur- und Filmwissenschaftler fragen lassen muß, ob er nicht die schlichte kommerzielle Notwendigkeit, Neues zu schaffen, zur "Freude an der Vorstellung vielfältiger Existenz- und Kulturformen" sowie zu einem "spielerischen, kreativen Akt der Imagination" verklärt. Der Autor bezeichnet dieses Bestreben gar als "anthropologische Konstante des menschlichen Daseins" (S. 41).

Wäre es nicht allein aus kommerziellen Gründen zu erwarten, daß nach rund 70 Folgen "Raumschiff Enterprise" die Produzenten anderer Serien nicht ebenfalls ein Konzept mit spitzohrigen Vulkaniern und langmähnigen Klingonen entwerfen? Müßte man dann nicht feststellen, daß die Kreativität wesentlich im Kommerzzwang liegt? Wer auf dem hart umkämpften Fernsehmarkt Erfolg haben will, muß sich etwas - zumindest dem Anschein nach - Neues einfallen lassen. Selbst die Star Trek-Macher hatten einigen Hauptfiguren ihrer nächsten und übernächsten Generation keine spitzen, sondern tellerartige Ohren verpaßt, und die Extraterrestrier wurden nicht Vulkanier, sondern Ferengi genannt.

Dank der wachsenden Budgets, die den Produzenten von Science-fiction-Filmen zur Verfügung standen, wurden auch die Figuren, Raumschiffe und Kulissen immer aufwendiger und phantasiereicher gestaltet. Aber selbst Hurst konstatiert schließlich, daß "Innovation im Bereich der Unterhaltungsindustrie eine Notwendigkeit" ist (S. 41). Deshalb bleibt wohl ernüchtert festzustellen: Solange Science-fiction-Produkte kommerziellen Ansprüchen genügen müssen, gründet der "kreative Akt der Imagination" wohl weniger im idealistisch anmutenden Streben nach bislang Ungedachtem, Ungesagten oder Ungeschaffenem, als vielmehr in der Aussicht auf möglichst hohe Einkünfte. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß die Vermarktungslogik teils faszinierende Ergebnisse hervorbringt.

In seinen "erkenntnistheoretischen Überlegungen zu Grundfragen der UFO-Forschung" fragt der Philosoph und Linguist Gerd H. Hövelmann, ob die UFO-Forschung eine Wissenschaftstheorie braucht. Das beantwortet der Autor differenziert. Einerseits schreibt er, es sei unklar, was denn der Gegenstand des Wissenschaftsaspiranten "UFOlogie" eigentlich sei (S. 188), andererseits gibt er zu bedenken, daß sich die Ufologie "mit einer beachtlichen Zahl von Nachweis-, Begründungs- und Rechtfertigungspflichten konfrontiert sieht, die keiner der etablierten (...) wissenschaftlichen Disziplinen mehr abverlangt werden müssen". Daraus leitet er ab, daß "zumindest bei der Erwägung einiger grundsätzlicher Fragen und Probleme der UFO-Forschung" Wissenschaftstheorie von Nutzen sein könnte.

Sicherlich muß die Frage gestellt werden, wer überhaupt ein Interesse an einer wissenschaftlichen Untersuchung der Bedingungen hat, unter denen die Ufo-Forschung Gegenstand wissenschaftlicher Überlegungen sein könnte. Wissenschaftstheoretische Zuordnungsprobleme dürften in den wenigsten Fällen die Probleme derjenigen sein, die mit für sie unerklärlichen Phänomenen konfrontiert wurden. Dennoch sind die Ausführungen Hövelmanns schon allein deshalb "zur Sache", weil er als einer der wenigen Vertreter der anerkannten Wissenschaften es nicht a priori ablehnt, sich mit dem Phänomenenkomplex, der unter dem Titel "Ufos" firmiert, zu befassen, ohne die Methoden der Wissenschaft preiszugeben. Beispielhaft hierfür sind die Schlußbemerkungen seines Aufsatzes, daß Ufos als Raumschiffe oder sonstige Wirkungen Außerirdischer für die Ufo-Forschung nicht konstitutiv sind. Damit bezieht er einen klaren Standpunkt gegenüber den sensationsheischenden Massenmedien, in denen häufig gar keine andere Deutung des Ufo-Phänomens als die der Einwirkung Außerirdischer in Erwägung gezogen wird.

Ina Schmidt-Knittel und Edgar Wunder räumen in dem Beitrag "Ufo-Sichtungen. Ein Versuch der Erklärung äußerst menschlicher Erfahrungen" mit dem verbreiteten Vorurteil auf, daß sich Ufo-Sichter von Nicht-Sichtern unterscheiden, also irgendwie "Spinner" sind. Es sei anzunehmen, schreiben sie, "dass solche Unterstellungen darin begründet liegen, dass UFO-Erfahrungen implizit die Geltung des in unserer Gesellschaft konsensfähigen szientistischen Deutungsmusters in Frage stellen" (S. 151). Entsprechendes Erleben werde dann als "abweichend" gewertet.

Michael Schetsche wiederum befaßt sich in "Entführt! Von irdischen Opfern und außerirdischen Tätern" mit mutmaßlichen Entführungen durch Außerirdische. Er bezeichnet sie als ein psychosoziales Problem, dessen Realitätsstatus umstritten sei (S. 170). Schetsche plädiert für eine ergebnisoffene Herangehensweise an die Frage, wie solche Entführungsberichte zustande kommen, und lehnt deshalb die rigorose Zurückweisung der "ET-Hypothese" (S. 172) ebenso ab wie umgekehrt die unerschütterliche Behauptung vermeintlicher Entführungsopfer, in Kontakt zu Außerirdischen gestanden zu haben. Der Autor resümiert: "Letztlich sind es also die Inhalte der Entführungsberichte selbst, die gute Gründe für eine generelle Skepsis gegenüber dem von den Betroffenen favorisierten Erklärungsmuster liefern. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit, in der wissenschaftlichen Diskussion dieses außergewöhnlichen Phänomens, selbst eine zunächst unwahrscheinliche Erklärungshypothese zumindest ernsthaft zu prüfen und sie eben nicht, wie dies heute meistens geschieht, vorschnell aus der Diskussion auszuschließen." (S. 173)

Hier wäre zu ergänzen, daß die Gesellschaft längst nahezu unerschütterliche Tatsachen geschaffen hat. Würden die Entführungsberichte auch nur ansatzweise ernst genommen, müßten sich Kriminalbeamte um die Aufklärung dieser Schwerverbrechen bemühen und nicht Psychologen oder Psychiater. Daß die Strafverfolgungsbehörden die sogenannten "Abductions" ignorieren, spricht für sich. Die gesellschaftliche Zuordnung der "Entführungen durch Außerirdische" als ein pathologisches Problem steht zweifelsfrei fest.

In einem historischen Rückblick mit dem Titel "Transterrestrik in der Renaissance: Nikolaus von Kues, Giordano Bruno, Johannes Kepler" zeigt Marie-Luise Heuser die Wurzeln heutiger Denkmuster auf und verdeutlicht, daß sich jene Gelehrten auch ohne modernste astronomische Instrumente und das weit verbreitete Genre der phantasieanregenden Science-fiction schon vor mehreren Jahrhunderten Vorstellungen von anderen bewohnten Welten machten.

Auch wenn auf einige Diskussionsbeiträge des Sammelbands "Von Menschen und Ausserirdischen" hier nicht näher eingegangen werden konnte, bedeutet das nicht, daß sie deshalb weniger lesenswert wären. Das Buch ist jedem zu empfehlen, der ein über die üblichen boulevardesken Adaptionen, wie sie Gerhard Mayer am Beispiel von "Bild" und "Spiegel" untersucht hat, hinausgehendes Interesse an einer Forschungsrichtung hat, deren mannigfaltigen Aspekte nicht unter einen Hut zu bekommen sind, so daß am Ende anzumerken bleibt: Ufologie ist offensichtlich das, was Ufologen tun.

Die Autoren behandeln Themen rund um das Transterrestrische, also im Kern um mögliche Zivilisation entwickelnde Lebensformen außerhalb der Erde. Sämtliche zu Wort gekommenen Autorinnen und Autoren lassen durchblicken oder legen sogar den Finger darauf, daß es pure Spekulation ist, die in der Ufologie angesprochenen Phänomene auf Vorgänge außerhalb der Erde zurückzuführen. Dennoch: Durch Ufo-Sichtungen wird die Möglichkeit angesprochen und die Idee aufrechterhalten, daß das wahrnehmungsgenerierte Weltbild des Menschen interpretativ ist. Vielleicht konstruiert der Mensch seine menschliche Welt so wie die Ameise ihre Ameisenwelt und der Hund seine Hundewelt. Unter dieser Annahme wäre die Vermutung zulässig, daß jede Spezies ihre spezifische Welt errichtet und womöglich Lebensformen außerhalb der eigenen Sphäre entweder verfremdet oder gar nicht wahrnimmt. Möglicherweise umfassen jene von Ufo-Forschern als unaufgeklärt angenommenen rund fünf Prozent der Ufo-Sichtungen auch Phänomene, die in dem hier beschriebenen Sinne als grenzwertig zu bezeichnen wären.

Diese abschließenden Anmerkungen lassen ahnen, daß Ufologie in erster Linie Fragen aufwirft und nicht Antworten liefert. Ob das auch dann noch gelte, wenn sie als Wissenschaftsdisziplin Anerkennung fände, wäre eine weitere Frage. Eines ist jedoch gewiß: Sollte der Mensch jemals Kontakt zu Außerirdischen erhalten, würde dies sämtliche Lebensbereiche fundamental berühren. Bis dahin - so dieser Fall jemals eintritt - bleibt es der Phantasie überlassen, sich "transterrestrische Begegnungen" auszumalen. Die vorliegenden Texte rund ums Außerirdische hinterlassen bei den Leserinnen und Lesern den Eindruck, daß eine Welt ohne diese Idee um einiges ärmer wäre.

5. Januar 2009


Michael Schetsche, Martin Engelbrecht (Hg.)
Von Menschen und Ausserirdischen
Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft
transcript Verlag, Bielefeld 2008
284 Seiten, 27,80 EUR
ISBN 978-3-89942-855-1