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REZENSION/612: Nina Ruge, Günther Bloch - Was fühlt mein Hund? Was denkt mein Hund? (SB)


Nina Ruge, Günther Bloch


Was fühlt mein Hund? Was denkt mein Hund?

Hundeexperte antwortet Hundefreundin



Vom Wunder Hund

"Man kann ohne Hunde leben - aber es lohnt sich nicht." Dieses Heinz Rühmann zugeschriebene Zitat kann nicht jeder, wohl aber jeder Hundebesitzer und jede Hundebesitzerin zutiefst nachvollziehen. Ein Hund ist nicht nur ein treuer Begleiter und verläßlicher Freund, den es nicht interessiert, wie wir morgens aussehen und ob wir abends noch gut drauf sind, der uns nicht nachträgt, wenn wir mal übellaunig waren und der jedes unserer Kümmernisse registriert - ein Hund vermag uns auch auf angenehmste und äußerst bereichernde Weise zu lehren, daß es noch eine andere, weniger anthropozentrische Sichtweise auf die Welt gibt als die des Menschen.

Hundebesitzer gelten - zu Recht - als ausgesprochen kommunikationsfreudig. Es gibt unter Hundefreunden kaum ein Thema, über das sie so gerne, so oft und mühelos sich wiederholend erzählen, sich austauschen, diskutieren - und nachdenken: ihre vierbeinigen Fellfreunde. Was Bello schon kann oder Klara immer noch nicht, obwohl man doch so viel mit ihr geübt hat, daß Willi eine unausrottbare Macke hat und oder Bonzo gern den Chef heraushängen läßt. Wissen mischt sich mit Erfahrung, guten Ratschlägen und Geschwätzigkeit zu einem unauflösbaren, sich immer wieder selbst generierenden Mix.

Einen Hund zu haben bedeutet in unserer Gesellschaft aber auch zunehmend, mit Problemen konfrontiert zu sein, Hundehaltung ist heutzutage alles andere als unkompliziert. Zwar hat die Selbstherrlichkeit, mit der Vermieter bislang das Halten von Hunden oder Katzen in Mietwohnungen einfach verbieten konnten, durch das Urteil des BGH vom 20.März diesen Jahres eine Einschränkung erfahren, weit weniger als früher dürfen sich jedoch Hunde selbstverständlich und frei bewegen. Jeder Kläffer gilt schnell als aggressiv, Hunde machen Dreck, die Phobie vor den Vierbeinern ist in einer zunehmend naturentfremdeten Gesellschaft gewachsen und auch Hunde leiden in Folge immer häufiger unter Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen.

Kein Wunder, daß es Hunderatgeber und -videos zuhauf gibt, in denen der verzweifelte Halter nach Lösungen und Rezepten für seine aktuellen Erziehungsprobleme sucht - und ebenso viele oft selbst ernannte Hundetrainer oder -flüsterer, Verhaltensberatungen und Hunde-Coachings. Auch Hilfsmittel wie spezielle Leinen oder umständliche Clickergeräte gehören zum Repertoire einer Industrie, die an der Hilflosigkeit der Hundeliebhaber ordentlich mitverdient.

Da macht es gar nichts, wenn sich zu dieser Flut an Angeboten noch ein neues Buch hinzugesellt - das dann aber doch ein bißchen anders ist: "Was fühlt mein Hund? Was denkt mein Hund?" von Fernsehmoderatorin Nina Ruge und Hunde- und Wolfsexperte Günter Bloch. Frau Ruge hat selber seit fünf Jahren Hunde und der aufmerksame TV-Gucker durfte vor einiger Zeit miterleben, wie sie sich mithilfe des 'Hundeprofis' Martin Rütter die kleine Simba als Zweithund aussuchte und sie auf ihren ersten Schritten in ihr neues Zuhause begleiten. Ruge ist u.a. "Botschafterin des Hundes 2010/2011" des Verbandes für das Deutsche Hundewesen, Botschafterin für das Jane-Goodall-Institut Deutschland und sitzt im Kuratorium der "Initiative für sozialkompetente Hundehalter". Wohltuenderweise bezeichnet sie sich trotzdem nicht als Hundeexpertin, sondern als Hundefreundin. "Das Leben mit einem Haustier eröffnet eine neue Dimension" heißt es in einer ihrer zahlreichen Kolumnen.

Auf den ca. 190 Seiten des aufwendig und sehr sorgfältig gestalteten, klar gegliederten Buches mit zahlreichen wunderschönen Hundefotos, bei deren Anblick sich die Diskussion darum, ob Hunde eine Seele haben, von selbst zu erledigen scheint, wirft die Autorin Fragen auf, die sich so mancher Hundebesitzer und manche Hundebesitzerin im Zusammenleben mit ihren Vierbeinern schon einmal gestellt haben dürfte:

Ob Hunde eine Seele haben, Gefühle wie Freude, Liebe, Ärger und Trauer empfinden können oder auch Mitleid, wie intelligent sie sind und ob man das messen kann, was die besondere Beziehung von Mensch und Hund ausmacht, ob Hunde echte Freundschaften untereinander schließen, ob heilende Kräfte von ihnen ausgehen, was Hunde verstehen, wieviel Kontakt sie zu Artgenossen brauchen, was sie tatsächlich prägt und welchen Einfluß der Mensch nehmen kann, wie man ein gutes Team wird, wieviel Disziplin Hunde brauchen und wieviel freien Willen, wo Konditionierung der Hundeseele schadet und ob Welpen in die Schule müssen.

So erfreulich es ist, daß der Hund hier einmal gerade nicht auf einen bloßen Reiz-Reaktions-Mechanismus reduziert wird, der nur richtig konditioniert werden muß, werden die bemühten Begrifflichkeiten, die schon im rein zwischenmenschlichen Zusammenhang einiger Interpretation unterliegen, weder geklärt noch hinterfragt: Liebe, Trauer, Ärger, Mitleid - man weiß doch, was das ist, oder?

Die Antworten gibt Günther Bloch, der seit frühester Kindheit mit Hunden gelebt und später gearbeitet hat und seit über 20 Jahren an freilebenden Wölfen in Kanada forscht. Für den Experten ist es nicht ausgeschlossen, daß sich die Menschen ihr Sozialverhalten bei den Wölfen abgeschaut haben, die ein ausgesprochen differenziertes Familienleben pflegen, wo weder Dominanz noch Hierarchie die erste Geige spielen, sondern Rücksicht, uneigennützige Fürsorge und Empathie.

Wolf und Hund sind als gruppenorientierte Individualisten zu bezeichnen. Der territoriale Beutegreifer Hund stammt zweifelsohne vom Wolf ab. Um deren Verhaltensinventar präzise zu definieren, gilt es eine biologische UND sozio-emotionale Ebene zu berücksichtigen. Wölfe sind weder rein instinktgesteuerte "Killer" noch streng hierarchisch strukturierte "Rudel-Monster". Wölfe sind im wahrsten Sinne des Wortes Familientiere. Soziale Belange stehen im Vordergrund. Eine wesentliche Eigenschaft des Wolfes liegt in seiner enormen Fähigkeit zur kommunikativen Verständigung mit anderen Spezies begründet. [1]

Folgerichtig hält Bloch einheitliche Erziehungssysteme für alle Hunde für falsch. Jeder Hund sei ein individueller Charakter, kein "Konditionierungsautomat". Die einseitige Manipulation hundlichen Verhaltens durch eine unüberlegte Pauschalumsetzung psychologischer Lernregeln (z. B. Konditionierung, Desensibilisierung, tagelanges Ignorieren) lehnt er deshalb ganz bewußt ab. Für ihn kommt Respekt vor der Gattung Hund nur zum Ausdruck, wenn der Mensch eine gewisse Persönlichkeitsentwicklung und Eigenständigkeit zuläßt."Hunde müssen nicht ständig gemanagt und bespaßt werden, um 'glücklich' zu sein."

Seine Antworten sind eine Mischung aus wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, eigenen Beobachtungen, aber auch Mutmaßungen des "gesunden" Menschenverstandes: "Daß Hunde und Hundeartige nicht dazu in der Lage sein sollen, zu leiden, ist für mich einfach unvorstellbar. Und erneut würde ich gerne hinzufügen: Man sieht es doch!" (S. 25)

Oft kommt der Inhalt, auch angesichts der Fülle der Fragen, über das Anreißen eines Themas nicht hinweg. Das macht das Buch, trotz einiger Wiederholungen, kurzweilig und unterhaltsam zu lesen, bietet dem Hundebelesenen aber kaum neue, tiefere Erkenntnisse. Bei den meisten Antworten geht es eher um das "Was" als das "Wie". Das Buch gibt - Ausnahmen bestätigen die Regel - keine konkreten Handlungs-, Übungs- oder Trainingsanweisungen, sondern stellt eher prinzipielle Überlegungen an. Damit ist die Lektüre eine wunderbare Anregung, sich im Verhältnis zum eigenen Hund noch einmal ganz neu Fragen und in Frage zu stellen, sich nicht auf pädagogische Hundeschulrezepturen zu reduzieren, sondern dem Wunderwesen Hund mit Neugier, Vorsicht und Achtung zu begegnen.

Ergänzt werden die einzelnen Kapitel durch eingestreute Beiträge und Interviews von und mit dem Verhaltensforscher Dr. Immanuel Birmelin, der Diplom-Psychologin Dr. Silke Wechsung, dem Zoologen Dr. Udo Gansloßer und mit Günter Bloch selbst über das Sozialverhalten von Wölfen und Hunden, ihre Intelligenz, ihr Verhältnis zu ihren Menschen, den therapeutischen Fähigkeiten von Hunden oder den Einfluß der Hormone auf das Gefühlsleben der Tiere.

Das Buch plädiert für ein Zusammenleben von Mensch und Hund, in dem Beziehung wichtiger ist als Erziehung und Hunde Hunde bleiben dürfen, jeder mit seinen eigenen Begabungen, seiner eigenen Persönlichkeit und seinem eigenen Lerntempo, denn "jeder Hund ist einzigartig." (S. 52)

Ein tolles Geschenk für jeden Hundefreund und jede Hundefreundin, eine erhellende Lektüre für den Hundeanfänger und eine wohltuende Erinnerung für viele, die sich bereits für Hundekenner halten.

Anmerkung:
[1] http://www.hundefarm-eifel.de/index.php/konzept

26. April 2013


Nina Ruge, Günther Bloch
Was fühlt mein Hund? Was denkt mein Hund?
Hundeexperte antwortet Hundefreundin
Gräfe und Unzer Verlag, München 2012
192 Seiten, gebunden, 19,99 Euro
ISBN-10: 3833826452
ISBN-13: 978-3833826450[1]