Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH


REZENSION/640: Wolfgang Neskovic (Hg.) - Der CIA-Folterreport (SB)


Wolfgang Neskovic (Hg.)


Der CIA-Folterreport

Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA



Den Umstand der Veröffentlichung des brisanten Untersuchungsberichtes des Geheimdienstausschusses des Senats in Washington zum umstrittenen CIA-Folter- und Verschleppungsprogramm hat man der historischen Wahl Barack Obamas zum ersten schwarzen Präsidenten der USA zu verdanken. Der achtjährigen Herrschaft des Republikaners und selbsternannten Kriegspräsidenten George W. Bush müde, gingen im November 2008 so viele Bürger Amerikas wie seit langem nicht mehr an die Urne. Sie schickten den jungen Senkrechtstarter Obama, der Transparenz und eine Außenpolitik mit Augenmaß versprochen hatte, ins Weiße Haus und bescherten den Demokraten in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit. Am 5. März 2009 hat der Geheimdienstausschuß des Senats mit 14 zu einer Stimme eine entsprechende Untersuchung eingeleitet. Im September desselben Jahres zog die republikanische Minderheit im Ausschuß ihre Unterstützung für das Projekt zurück.

Mehr als fünf Jahre später, am 9. Dezember 2014, wurde eine 525seitige, zum Teil geschwärzte Zusammenfassung des mehr als 6000seitigen eigentlichen Berichtes, der unter Verschluß bleibt, der Öffentlichkeit vorgelegt. (Nur wenige Wochen später, im Januar 2015, hat der Westendverlag mit Wolfgang Neskovic, dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Linken, als Herausgeber und dank der fleißigen Mitarbeit von 13 Übersetzern die deutsche Fassung präsentiert, wofür alle Beteiligte ein großes Lob verdienen.)

Der Veröffentlichung der Executive Summary des Folterberichts, der bereits Ende 2012 fertig war, ging ein heftiger Streit zwischen der demokratischen Führung des Senatsausschusses auf der einen Seite und der CIA und ihren Freunden aus der früheren Bush-Regierung auf der anderen voraus. 2014 wurde sogar bekannt, daß die CIA die Senatsmitarbeiter, die in einer geheimen Sondereinrichtung nahe Langley, Virginia, die mehr als sechs Millionen Dokumentenseiten sichten und auswerten mußten, ausspioniert hatte. Es kam zu einer Mini-Verfassungskrise, als Ausschußvorsitzende Dianne Feinstein, Senatorin aus Kalifornien, bei einer Rede im Plenarsaal des Senats CIA-Chef John Brennan bezichtigte, damit gegen die Gewaltenteilung verstoßen zu haben. Die CIA wehrte sich gegen den Angriff, indem sie ihrerseits den Senatsmitarbeitern vorwarf, widerrechtlich geheimes Material aus der abhörsicheren Anlage herausgeschmuggelt und auf das Kapitol in Washington D. C. gebracht zu haben. Beide Seiten zeigten sich gegenseitig wegen Gesetzesbruchs beim Justizministerium an.

Diese Episode im Vorfeld der Veröffentlichung des Senatsberichts ist deshalb wichtig, weil es sich bei dem fraglichen Material um eine CIA-interne Expertenstudie handelt, die Leon Panetta, Brennans Vorgänger als Chef des US-Auslandsgeheimdienstes, beim Amtsantritt der Obama-Regierung 2009 zum Thema Folterprogramm in Auftrag gegeben hatte und deren Schußfolgerungen mit denjenigen der Senatsmitarbeiter übereinstimmen. Ohne zu übertreiben, sind diese Schlußfolgerungen absolut spektakulär, denn sie hebeln die wichtigsten Axiome jenes "globalen Antiterrorkrieges", den die USA seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 führen und der weite Teile der islamischen Welt - siehe Afghanistan, Pakistan, den Irak, Libyen, Syrien und den Jemen - ins Chaos gestürzt hat, völlig aus den Angeln. Deshalb wollen die Republikaner sie nicht wahrhaben und hat Ex-Vizepräsident Dick Cheney sie als "Müll" bezeichnet.

Der mediale Dauereinsatz Cheneys als unverfrorener Hauptbefürworter dessen, was man im US-amtlichen Sprachgebrauch "verbesserte Verhörpraktiken" nennt, läßt sich leicht nachvollziehen, denn er ist es, der bei einem Fernsehinterview sieben Tage nach der 9/11-Katastrophe unter Anspielung auf George Lucas' Science-Fiction-Film-Epos "Kriege der Sterne" offen ankündigte, bei der Verfolgung und Bestrafung der Auftragsgeber der Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Arlington würde sich der US-Sicherheitsapparat der "dunklen Seite" bedienen müssen. Aus dem Folterbericht des Senats gehen Cheney und sein alter Freund und Kollege aus der Regierung Richard Nixons, Donald Rumsfeld, damals Pentagonchef, als diejenigen hervor, die mehr als alle anderen Beteiligen die systematische Mißhandlung von gefangenen Muslimen in den Geheimgefängnissen der CIA im Ausland, den sogenannten "black sites", forciert haben.

Cheney behauptet - so steht es auf dem Klappentext des vorliegenden Buchs - als Rechtfertigung: "Wir taten damals exakt das, was notwendig war, um die Schuldigen für 9/11 zu schnappen und einen weiteren Anschlag zu verhindern." Entgegen gleichlautender, wiederholter Aussagen der wechselnden CIA-Chefs George Tenet, Porter Goss, Michael Hayden und John Brennan sowie deren engster Mitarbeiter gegenüber Kongreß und Justizministerium entlarvt der Senatsbericht diese Schutzbehauptung als glatte Lüge. Demnach haben die Folterungen von 119 mutmaßlichen "Terroristen" keinen einzigen Anschlag verhindert und weder zur Liquidierung Osama Bin Ladens 2011 im pakistanischen Abbottabad noch zur Festnahme mutmaßlicher Hintermänner der Flugzeuganschläge wie Khalid Sheikh Mohammed (KSM) und Ramsi Binalschibh geführt, geschweige denn letztere zum Reden gebracht. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Mittels grausamer Methoden wie Waterboarding, Schlägen, Morddrohungen, Scheinhinrichtungen, stundenlangen Streßpositionen, lauter Musik, extrem kalter oder heißer Temperaturen, Nacktheit, Schlafentzug und des rektalen Einführens pürierter Lebensmittel hat man die beiden Ende 2001 respektive Anfang 2002 in Pakistan gefangengenommenen Mudschaheddin, den Libyer Ibn Al Scheich Al Libi und den Palästinenser Abu Zubaydah dazu gebracht, falsche Geständnisse bezüglich einer operativen Verbindung zwischen der Regierung Saddam Husseins in Bagdad und Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" abzuliefern, mit denen man - Stichwort "Massenvernichtungswaffen" - einen schon länger geplanten, illegalen Einmarsch in den Irak im Frühjahr 2003 begründete, der Tod und Leid über Millionen von Menschen in der Region bringen sollte.

Es kommt noch schlimmer. Die offizielle, im Bericht der "unabhängigen" 9/11-Kommission enthaltene Version des "Tages, der die Welt veränderte", aus dem Jahr 2004 ist als vollkommen wertlos zu betrachten, denn sie stützt sich im wesentlichen auf durch Folter erzwungene Aussagen KSMs, welche die CIA-Vernehmungsbeamten selbst als "fabuliert" (S. 143), "zum größten Teil erfunden" (S. 145) bzw. zum "beträchtlichen Teil ... Märchen" abgetan haben. Unmittelbar nach seiner Verhaftung 2003 in Pakistan hat KSM jedes Wissen über "Anschlagspläne" der Al Kaida bestritten. Nachdem man ihn jedoch 183 Mal des Waterboardings unterzogen hatte, stand er als 9/11-"Chefplaner" da, der "mehr geheimdienstliche Informationen geliefert [hat] als irgendein anderer Häftling (fast 15 Prozent sämtlicher Häftlingsberichte der CIA)" (S. 156). Zu Binalschibh, der mit Mohammed Atta die Flugzeuganschläge ausgeheckt haben soll und seit der Folter als psychisch schwer gestört gilt, stellte die CIA - intern versteht sich -, fest, "etliche Aussagen" von ihm zum Themenkomplex 9/11 seien "reine Spekulation" (S. 141).

Vor diesem Hintergrund wundert es wenig, daß die Bush-Regierung unter Verweis auf die "nationale Sicherheit" den Mitgliedern der 9/11-Kommission den Zugang zu KSM, Binalschibh und denjenigen, die sie vernommen hatten, strikt verweigert hat. Bezeichnend ist auch der Vorfall, der die Demokraten im Geheimdienstausschuß des Senats überhaupt auf die Idee brachte, den Foltervorwurf an die Adresse der CIA untersuchen zu lassen. Am 9. November 2005 haben bei der CIA Robert Eatinger, von 2004 bis 2009 für die rechtlichen Aspekte des Programms der "außergewöhnlichen Überstellungen" zuständig, und Jose Rodriguez, damals Leiter der Abteilung für Sonderoperationen, die Vernichtung der Videoaufzeichnungen der Folter von KSM, Binalschibh und anderen in Gefangenschaft befindlichen mutmaßlichen Hintermännern der 9/11-Anschläge veranlaßt. Nur sechs Tage zuvor hatte Leonie Brinkema, Richterin am Gericht in Alexandria, Virginia, die Aushändigung allen im staatlichen Besitz befindlichen Materials angeordnet, das zur Entlastung von Zacarias Moussaoui, dem sogenannten "20. Hijacker", beitragen könnte. 2007 hat die Bekanntgabe der Beseitigung jener Videoaufnahmen, deren Existenz die CIA 2003 und 2004 der 9/11-Kommission stets verheimlicht hatte, zu Recht einen Skandal ausgelöst.

Den Folterbericht des Senats zu lesen hat bei diesem Rezensenten ein unangenehmes, nachhaltiges Gefühl des Entsetzens hervorgerufen. Die Wirkung ist nicht in erster Linie auf die schrecklichen Folterdetails, die wahrlich schlimm sind, sondern vor allem auf die Erkenntnis zurückzuführen, daß das Bekanntwerden dieser kriminellen Machenschaften auf der höchsten staatlichen Ebene der USA völlig folgenlos geblieben ist und bleiben wird. Die neokonservative Riege um Cheney, Rumsfeld und ihre Schergen hat durch Folter und Krieg gezielt und erfolgreich unüberwindliche Verhältnisse geschaffen. Wegen des erbitterten Widerstands der Republikaner kann Obama das Sondergefängnis Guantánamo nicht schließen und setzt in Ermangelung sicherheitspolitischer Alternativen den Antiterrorkreuzzug der Bush-Männer unter anderem mittels Drohnenangriffen im Ausland und NSA-Überwachung im Inland unvermindert fort.

Währenddessen feiern Film- und Fernsehkonsumenten auf der ganzen Welt in den Figuren "Maya" im Kinostreifen "Zero Dark Thirty" und "Carrie Mathison" in der Serie "Homeland" im übertragenen, ideologischen Sinne das Treiben von Alfreda Bikowsky, der leitenden Mitarbeiterin der Anti-Al-Kaida-Abteilung bei der CIA, der sogenannten "Alec Station", welche Jane Mayer im Dezember letzten Jahres in der Zeitschrift New Yorker als diejenige Person im Senatsbericht identifizierte, die sowohl an den schlimmsten Folterungen beteiligt gewesen ist als auch gegenüber Kongreß und Office of Legal Counsel (OLC) im Justizministerium in Washington die meisten Unwahrheiten über die Effektivität der laufenden "Terrorismusbekämpfung" der USA verbreitet hat. Die Tatsache, daß dieselbe CIA-Agentin für die größte vermeintliche Panne der US-Geheimdienste im Vorfeld des 11. September verantwortlich ist, nämlich für die Nicht-Weitergabe der Informationen an FBI und Einwanderungsbehörde INS über die bevorstehende Einreise der beiden späteren Flugzeugattentäter Chalid Al Midhar und Nawaz Al Hasmi in die USA, gibt sehr zu denken. Fazit: Der Senatsbericht zur CIA-Folter quillt nicht nur vor Lügen über, sondern stellt selbst eine, nämlich daß in den USA der Rechtsstaat noch existiert, dar.

31. März 2015


Wolfgang Neskovic (Hg.)
Der CIA-Folterreport
Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und
Verhörprogramm der CIA
Aus dem Englischen übersetzt von Pieke Biermann, Ariane Böckler,
Claudia Buchholtz, Bernard Josef, Antje Kaiser, Detlev J. Kotte,
Daniel Oster, Petra Post, Rafael Sanchez, Andreas Simon dos Santos,
Sophia Luise Székely, Harald Stadler und Sebastian Vogel
Westend Verlag, Frankfurt am Main, 2015
636 Seiten
ISBN: 978-3-86489-093-2
 
 
Siehe hierzu:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH:

REZENSION/279: Alfred McCoy - Foltern und foltern lassen (US-Politik)


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang