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REZENSION/677: Jürgen Tautz, Dietrich Steen - Die Honigfabrik (SB)


Jürgen Tautz, Dietrich Steen


Die Honigfabrik

Die Wunderwelt der Bienen - eine Betriebsbesichtigung



"Bienen geben Hoffnung und - sie machen glücklich". So lautet der letzte Satz im Epilog des Buches "Die Honigfabrik". Kann das das Fazit eines wissenschaftlichen Exkurses in die Welt der Bienen sein? Ja, es kann, denn die in dieses Buch eingeflossenen neuesten Erkenntnisse aus der Bienenforschung lassen diesen ungewöhnlichen Schluß durchaus zu. Ein Sachbuch, das über das bloße "sich-informieren-über ..." hinausgeht. Es bewegt, macht neugierig und nachdenklich: Was kann getan werden, um den Bienen das Leben leichter zu machen - und das nicht nur, weil sie als Bestäuber vieler Pflanzen unerläßlich sind oder wir ihnen den Honig abknöpfen können?

Bei den Bienen handelt es sich um eine ganz besondere Lebensform, die aufgrund ihrer speziellen und einzigartigen inneren Organisation seit Jahrmillionen unseren Planeten bevölkert. Es mag merkwürdig erscheinen, aber schon während der Lektüre, die voller wissenschaftlicher Details steckt, die auf eine nicht dozierende und anschauliche Weise dem interessierten Laien nahegebracht werden, fordert diese auf jeden Fall für Menschen und vielleicht auch für viele Tiere völlig ungewöhnliche Lebensform fast unmerklich, aber stetig mehr Aufmerksamkeit, drängt sich in den Vordergrund und weckt Wißbegier. Das "Wissen" der Bienen, dass eine allein nicht lebensfähig ist, dass sie nur gemeinsam, quasi als "Superorganismus" leben können, läßt innerhalb eines Biens ("Bien" ist die Bezeichnung für Bienengemeinschaft oder den Superorganismus, Anm. d. SB-Red.) keine Egoismen, keine Ab- und Ausgrenzungen zu. Bienen arbeiten stets "Hand-in-Hand" und zeigen dabei erstaunliche Fähigkeiten, sie sind wahre Multitalente. Sie betätigen sich als Wachsproduzenten, Wabenbauer, als Ammen, die sich um die Brut kümmern, als Spurbiene, eine Art Späher auf Futtersuche, als Sammlerin, als Heizer und als "Ventilator", ebenso postieren sich Wächterbienen am Stockeingang. Jene Tiere, die den Innendienst versehen, nehmen den Sammlerinnen die mitgebrachte Ware, Pollen und Nektar, ab, und geben sie weiter, wieder andere übernehmen das Verstauen in Vorratswaben. Die Heizerbienen, die für die gleichbleibende Wärme der Eier, Larven und Puppen sorgen, werden von "Tankstellen"-Bienen versorgt, denn ihre Tätigkeit ist sehr anstrengend und sie müssen ständig Energie "tanken". Wie das funktioniert, wie die Bienen diese Aufgaben bewerkstelligen und welche körperlichen Voraussetzungen dafür notwendig sind, all das erfährt man präzise beschrieben in den einzelnen Kapiteln dieses Buches.

Dabei legen die Autoren an verschiedenen, aufgezeigten Bienen-Verhaltensweisen auch offen, dass sie dieses oder jenes noch nicht wirklich verstanden beziehungsweise erforscht haben. In Bezug auf die Wabenbauweise heißt es beispielsweise:

Es kommt für die Stabilität dieser Stege also offenbar nicht nur auf das Material (Propolis, Anm. d. SB-Red.) an, sondern auch auf die Art und Weise, wie es verbaut wird. Bienen geben ihm eine innere Struktur, die wir im Experiment nicht nachbauen können. Sie haben da einen Trick, den wir noch nicht kennen. (S. 30) 

An anderer Stelle:

Wie aber stellen die Bienen fest, wo, wann und wie viel geheizt werden muß? Tatsächlich ist völlig unbekannt, welche Reize aus den umgebenden Zellen das Heizverhalten der Bienen auslösen und es aufrechterhalten. Allerdings gibt es gute Hinweise [...]. (S. 54) 

Gerade dieses Bekenntnis zum Nicht-Wissen führt zu einer Identifikation des Lesers mit den Forschenden. Plötzlich wird man neugierig, geht auf einmal einer Fragestellung nach, die einem wahrscheinlich zuvor nie in den Sinn gekommen wäre. Es wird spannend, hier gibt es noch etwas zum Staunen.

Die beiden Autoren Jürgen Tautz und Diedrich Steen sind zweifellos Bienenfreunde und ihre Sympathie für diese kleinen Tiere bleibt nicht verborgen. Aber sie sind auch scharf analysierende Realisten und beschreiben, welchen Anteil der Mensch am Wohl und Wehe der Bienen hat, und zwar als Imker im Bereich der Imkerei wie auch durch die ständig von ihm ausgelösten Umweltveränderungen, beispielsweise durch hohen Pestizideinsatz in der Landwirtschaft oder durch die Einschleppung der für Bienen tödlichen Varroamilbe.

Dietrich Steen stammt aus einer Familie, in der seit 100 Jahren geimkert wird, er selbst setzt diese Tradition seit ca. 20 Jahren fort. Sein praktisches Wissen über die Imkerei und das dafür erforderliche Umsorgen der Tiere, die als Honiglieferanten genutzt werden, ist die perfekte Ergänzung zu den wissenschaftlichen Ausführungen von Prof. Dr. Jürgen Tautz. Als international anerkannter Bienenexperte widmet er sich schon seit Jahrzehnten der wissenschaftlichen Erforschung dieser immer noch voller Geheimnisse steckenden Insekten. Neben vielen Veröffentlichungen, für die er 2012 mit dem Communicator-Preis ausgezeichnet wurde, der deutschlandweit als wichtigste Auszeichnung für die Kommunikation von Forschungsergebnissen in Medien und Öffentlichkeit gilt, leitet er seit 2006 auch das HOBOS-Projekt (HOBOS = HOneyBee Online Studies). Dieses interaktive Schulkonzept wurde von ihm entwickelt und ermöglicht weltweit jedem Interessierten, über das Internet die mit Mikro-Chips ausgestatteten Bienen in einem Bienenstock zu beobachten. In seinem Bemühen, möglichst vielen Menschen Einblicke in das Bienenleben zu geben, bedient er sich in Forschung und Vermittlung der Ergebnisse modernster Technologien.

Alles, was die Leser über die Bienen in "Die Honigfabrik" erfahren, beschränkt sich auf Beobachtung und wissenschaftliche Erforschung von Stockbienen in Magazinbeuten, wie die Bienenkästen von Imkern genannt werden. Wie die Bienen in ihrer ursprünglichen Weise als Waldinsekten leben, die in Baumhöhlen ihre Brutplätze bauen, darüber ist sehr wenig bekannt. Doch Prof. Tautz hat bereits ein neues Projekt im Rahmen von HOBOS ins Leben gerufen. Hier werden eben diese natürlich nistenden Honigbienenvölker in Mitteleuropa untersucht.

Seine Einschätzung, daß weder ein unmittelbares Bienensterben bevorstehe, noch die Imkerei verschwinde, leitet er aus der Tatsache ab, daß die Honigbiene in der sogenannten "Honigfabrik" als Nutztier überlebt, das vom Imker betreut wird. Schlecht sieht es für die Wildbienen aus, viele Arten sind in der Tat vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden. Ein Bienensterben, so Prof. Tautz, bleibe immer noch möglich, wenn der Mensch sich weiter dazu versteigt, die Bienen nicht als Lebewesen zu begreifen, sondern als Mittel, mit ihren Fähigkeiten Geld zu scheffeln. Besonders in Amerika findet die "Bestäubungsimkerei" mehr und mehr Anwendung. Die Bienenvölker werden zu den jeweiligen Blüten gefahren, dort aufgestellt, damit sie ihre "Arbeit" erledigen. Ist die Blüte vorbei, geht 's auf zur nächsten, beispielsweise die der Kirschen oder der Äpfel. Das verursacht bei den Tieren ein hohes Maß an Streß und kann zum Tod eines Volkes führen. Und hier findet dann in der Tat ein Bienensterben statt, das die Bezeichnung CCD = "Colony Collapse Disorder" erhält.

Andererseits kann die Honigbiene bei uns nicht ohne Hilfe des Menschen überleben. Ein Volk muss vor der Vorroamilbe geschützt werden, bei Nahrungsknappheit muß der Imker zufüttern und vieles mehr. Selbst wenn ein Bienenliebhaber nicht an dem Honig der Bienen interessiert ist, und diese Insekten nur zu Freude in seinem Garten wohnen lassen will, ist er gehalten, sich intensiv um das Wohl seiner Bienen zu kümmern.

Empfehlenswert ist es, sich an den Rat der Autoren zu halten und das Buch Kapitel für Kapitel zu lesen, denn die beschriebenen Aspekte in dem einem werden in einem später folgenden genauer oder unter einem anderen Gesichtspunkt erläutert. Der Hinweis "Bild" im Text mit einer Nummer verweist auf eine Abbildung im Fototeil am Ende des Buches. Die Fotos - mit einem zusätzilchen erläuternden Text unterschrieben - sind perfekt und ermöglichen einem Nicht-Imker ein besseres Verständnis und einen sehr lebendigen Einblick in das Leben dieser Völker.

Womit wir wieder bei der Aussage wären, die hier zu Beginn angeführt wurde: "Bienen geben Hoffnung und - sie machen glücklich". Nachdem man dieses Buch ausgelesen hat, eröffnet sich einem die Tragweite dieser Aussage.

Jürgen Tautz, Dietrich Steen
Die Honigfabrik
Die Wunderwelt der Bienen - eine Betriebsbesichtigung
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017
Gebundene Ausgabe
19,99 Euro
269 Seiten
ISBN 978-3-579-08669-9


24. Juli 2017


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