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REZENSION/686: Karsten Brensing - Das Mysterium der Tiere (SB)


Karsten Brensing


Das Mysterium der Tiere

Was sie denken, was sie fühlen



Die Berichte über außergewöhnliches Tierverhalten, über intelligente Raben oder Schimpansen, Delphine oder Kraken häufen sich. In Fernsehdokumentationen oder auf YouTube, in Literatur und diversen wissenschaftlichen Publikationen begegnen wir einer Vielzahl von Tieren, die Gefühle hegen wie Freude, Trauer oder Angst, die in der Lage sind, zu lernen und ihr Wissen an Artgenossen weiterzugeben, die planvoll handeln und sogar Jagdstrategien entwickeln. Aber sie sind auch Erfinder, oftmals aus einer Notsituation heraus, wenn ihnen ihr Lebensraum und damit ihre Nahrungsquellen durch den Menschen streitig gemacht werden, entwickeln viele von ihnen neue Ideen zur Nahrungsbeschaffung. Ob sie Steine als Hammer und Amboß benutzen, um Nüsse zu knacken, ob sie die Gewohnheiten der Menschen beobachten und bei günstiger Gelegenheit in ihre Wohnhäuser einbrechen, um den Kühlschrank zu plündern oder Obst und Süßigkeiten aus Einkaufstaschen stibitzen, mit allem, was sie sich auch ausdenken, versetzen sie uns in Staunen. Das allein sollte schon reichen, Tieren mit Respekt zu begegnen.

Doch daran mangelt es bis heute. Der Mensch als einstiges wenig wehrhaftes Lebewesen ohne Schutz vor Wetter durch Fell, Schuppen oder Federn, entwickelte sich im Laufe der vielen Jahrtausende weiter und qualifizierte sich im Werkzeuggebrauch, erschuf sich Jagdgerät und Waffen. Da bei Tieren der Gebrauch von Werkzeugen, die sie sogar eigens anfertigen, weiter verbreitet ist, als bislang angenommen, muss die Ansicht revidiert werden, nur der Mensch sei dazu in der Lage. Was aber ist denn nun das Alleinstellungsmerkmal der Menschen, wenn Tiere so vieles von dem können, wohl ihrer Art entsprechend, was bislang nur für den homo sapiens zu gelten schien?

Kann es nicht als hervorstechendes Verhalten (Merkmal) angesehen werden, daß er sein Überleben sichert, indem er den Tod seiner Artgenossen in Kauf nimmt, um an seine Nahrung zu gelangen oder aber seinen nächsten tötet, um ihn selbst zu verspeisen (Kannibalismus) oder ihm seine Nahrung abzuluchsen. Das heißt, das berühmte Alleinstellungsmerkmal beschränkt sich damit auf seine Befähigung zu Lasten seiner eigenen Art zu überleben und selbstverständlich auch durch das Töten von Tieren. Aber letzteres findet fortwährend auch unter Tieren statt, nur daß es wohl eher selten vorkommt, daß sich beispielsweise Löwen gezielt auf die Jagd nach Löwen begeben. Selbstverständlich geht heute in der zivilisierten Gesellschaft niemand direkt auf die Jagd nach seinesgleichen, um seinen Hunger zu stillen. In heutigen Zeiten läßt man andere Menschen möglichst außer Sicht- und Hörweite hungern, damit der Industrienationbewohner satt und zufrieden leben kann. Was soll man also vom Menschen in Bezug auf Tierschutz erwarten? Daß er Respekt hat vor der lebendigen Kreatur, wenn er millionenfach seinesgleichen in Kriegen vernichtet, in unzähligen ganz "gewöhnlichen" aggressiven Gewalttaten tagtäglich zu Tode bringt?

Karsten Brensing ist sich im Klaren darüber, daß Tierschutz bei uns nicht wirklich stattfindet, daß Tiere zwar theoretisch Rechte haben, sie aber begrenzt sind durch die Eigeninteressen der Menschen.

Obwohl viele kognitiv hoch entwickelte Tiere auf einer individuellen Ebene vermutlich so denken und fühlen wie wir, sind sie nicht in der Lage dazu, sich mit Gewalt gegen unseren strategisch geplanten und gemeinschaftlich verübten Mißbrauch zu wehren. (S. 352) 

Da wir in hier in Deutschland eine Wissenschaftskultur entwickelt haben und für die meisten erst dann etwas als richtig angesehen wird, wenn es wissenschaftlich erwiesen ist, kann die vorliegende Arbeit von Herrn Karsten Brensing als hervorragendes Beispiel angesehen werden, den Tieren auch "rein wissenschaftlich" zur Seite zu springen. Das gelingt ihm mit seinem neuen populärwissenschaftlich verfaßten Buch "Das Mysterium der Tiere - Was sie denken, was sie fühlen". Hier zeigt der Autor anhand vieler beeindruckender Beispiele, daß eine große Zahl von Tieren, die untersucht worden sind, in ihrem Denken, Fühlen und Handeln unerwartet viel vom menschlichen Verhalten zeigen. Als Meeresbiologe und promovierter Verhaltensforscher widmet er sich besonders den Delphinen, Walen und Orcas, aber auch den Schimpansen, Orang-Utans, Papageien, Kakadus, Mäusen, Ratten, Elefanten, Pferden, Hunden, Fischen, Bienen, Ameisen, um einige beispielhaft zu nennen.

Ich möchte gar nicht weiter auf die vielen Beispiele bewundernswerter Verhaltensweisen verschiedenster Tiere eingehen, die von Karsten Brensing zusammengetragen wurden. Seine Beschreibungen sind eindrücklich und voller Überraschungen. Da seine vielfach verwendete Quelle das Internet ist, insbesondere die YouTube-Plattform, wird es dem einen oder anderen Interessierten möglich sein, ebenfalls einen Blick auf dokumentiertes Tierverhalten zu werfen, wie auch gelegentlich auf dessen wissenschaftliche Interpretationen.

Bemerkenswert ist das Anliegen des Autors, das er mit dieser Veröffentlichung einer breiten Leserschaft zugänglich machen möchte und das im Verlaufe der Lektüre immer deutlicher wird. Karsten Brensing kommt am Ende des Buches zu dem kritischen Schluß:

Nach fast 20 Jahren Arbeit im Natur- und Tierschutz bin ich heute der Meinung, dass die Schutzgesetze nicht funktionieren. (S. 351) 

Und so soll es nicht bleiben! Als engagierter Tierschützer bemüht er sich darum, den Tieren ein Persönlichkeitsrecht einzuräumen. Mit dieser Vision schließt er sich der Rechtswissenschaftlerin Carolin Raspé an.

Die Rechtswissenschaftlerin Carolin Raspé vertritt in ihrer Doktorarbeit die These, dass wir neben der natürlichen Person, also uns Menschen, und der juristischen Person, also Firmen, Vereine und Stiftungen, gleichsam eine dritte Person einführen sollten. Sie bezeichnet sie als 'tierliche Person'. Diese 'tierliche Person' könnte von jedem Anwalt vertreten werden. Ihrer Meinung nach spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob es sich um ein kognitiv hoch entwickeltes Tier wie einen Schimpansen handelt oder um eine Schnecke. Letztlich müsse der Anwalt in einem möglichen Verfahren die Rechte des Tieres herleiten, und diese würden sich zwangsläufig an den Fähigkeiten und Ansprüchen orientieren." (S. 351/352) 

Für Karsten Brensing scheint die juristische Regelung eine Möglichkeit zu sein, der Mißachtung der Tiere entgegentreten zu können - wenn nötig im Gerichtssaal.

Ein Beweggrund für dieses Buchprojekt mag es gewesen sein, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Ähnlichkeiten von Mensch und Tier publik zu machen, um Verständnis für seine Forderung nach einem Persönlichkeitsrecht für Tiere zu schaffen. Die Situation ist nicht ganz einfach, denn der Mensch ist in der Lage, beides gleichzeitig zu sein, sowohl tierlieb als auch gleichgültig gegenüber Massentierhaltung oder Tierversuchen. Was ihn dazu befähigt, ist sein nahezu ungebrochenes Bestreben, seine Entscheidungen über sein Handeln stets zu seinem Vorteil auszurichten. So finden wir eine gelebte Zwiespältigkeit, die es normal erscheinen läßt, daß Tierliebe und das Ignorieren von Tierqualen nebeneinander einen Platz in unserer Kultur haben.

Tierliebe wird in Deutschland groß geschrieben. Der Markt für Tierfutter, Spielzeug, Kissen, Decken, Leckerlies und sogar für die neueste Mode für Hunde, ist riesig. Die Tierarztpraxen, vornehmlich für Kleintiere, können sich über zu wenig Patienten nicht beklagen. Jeder Haustierbesitzer, jedes Herrchen oder Frauchen weiß genau, was für seinen Liebling gut ist, er umsorgt es und im besten Fall entwickelt sich zwischen dem Tier und dem Menschen eine ganz spezifische Kommunikation. Doch das hindert nur wenige daran, in den Supermarkt zu gehen und Fleisch für eine Mahlzeit einzukaufen und die quälende Massentierhaltung, die es uns ermöglicht, günstig tierische Produkte zu erwerben, auszublenden.

Umso beachtenswerter ist das Engagement von Karsten Brensing, wohl um dieses zwiespältige Verhalten der Menschen wissend, sich für das Tierwohl und das Persönlichkeitsrecht der Tiere einzusetzen. In seiner hier vorliegenden Publikation gelingt es ihm, durch lebhafte, leichte, unterhaltsame, teils amüsante Weise, dem Leser Tierverhalten nachfühlbar werden zu lassen, wie auch die wissenschaftlichen Ansichten verständlich zu machen. Hat es auch gelegentlich den Charakter von Themen-Zapping, bleibt er doch stets beim Kern der Problematik und erweitert das Verständnis für tierisches Verhalten, tierische Intelligenz, Gefühle und Planungs- bzw. Handlungsweisen. Die zahlreichen Farbfotos unterstützen nicht nur die Informationen, sie lockern das 384 Seiten umfassende Werk auch auf.

Ich kann "Das Mysterium der Tiere - Was Tiere denken, was sie fühlen" jedem empfehlen, der sich nicht nur über Tiere, sondern auch über sich selbst bzw. den Menschen und sein Verhältnis zu Tieren klar werden möchte.

2. November 2017


Karsten Brensing
Das Mysterium der Tiere
Was sie denken, was sie fühlen
Aufbau Verlag GmbH & Co.KG, Berlin 2017
Gebundene Ausgabe
384 Seiten
22,00, - Euro
ISBN 978-3-351-03682-9


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