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REZENSION/711: Max Blumenthal - The Management of Savagery (SB)


Max Blumenthal


The Management of Savagery

How America's National Security State Fueled the Rise of Al Qaeda, ISIS and Donald Trump



Aus dem Umfeld des US-Chefunterhändlers Zalmay Khalilzad, der seit vergangenem Herbst in Doha mit Vertretern der Taliban verhandelt, kommen Signale, wonach die Regierung Donald Trumps demnächst den Abzug aller amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan verkünden wird. Im Gegenzug sollen die Taliban ihrerseits Washington garantieren, daß von afghanischem Boden niemals wieder irgendwelche "terroristischen" Anschläge auf Ziele in den USA ausgehen werden. Angesichts der sich anbahnenden Abmachung, auf deren Altar möglicherweise sogar die Rechte der afghanischen Frauen zugunsten primitiv-patriarchalischer Scharia-Gesetze eines auferstandenen Islamischen Emirats Afghanistan geopfert werden sollen - siehe Artikel "What Do the Taliban Want in Afghanistan? A Lost Constitution Offers Clues" in der Ausgabe der New York Times vom 28. Juni - drängt sich eine zentrale Frage auf. Wofür haben die USA und ihre NATO-Verbündeten überhaupt fast 18 Jahre lang Krieg in Afghanistan geführt, Milliarden von Dollar verpulvert, das bettelarme zentralasiatische Land ruiniert sowie das Leben Zehntausender Menschen geopfert und weitere Millionen zu Krüppeln, Traumaopfern und Flüchtlingen gemacht?

Den Westen - einschließlich Deutschland - "am Hindukusch verteidigen", wie es einst der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck so bündig wie nebulös formulierte, kann es schwerlich gewesen sein. Die künftige Bekämpfung der "terroristischen" Gefahr in Form der salafistischen Dschihadistentruppe Islamischer Staat (IS) sollen offenbar demnächst die Taliban zusammen mit der afghanischen Armee und Polizei übernehmen - sofern sich die ehemaligen Koranschüler mit den bisherigen Machthabern in Kabul verständigen können. Selbst im Herbst 2001 hätte der Krieg vermieden werden können, wäre die damalige Administration von George W. Bush und Dick Cheney auf das formale Angebot der Taliban eingegangen, ihren damaligen Gast, den Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden, gegen Vorlage gerichtlich verwertbarer Hinweise auf seine Verwicklung in die Flugzeuganschläge vom 11. September auszuliefern.

Aber nein, statt dessen mußten die 3000 Ermordeten von New York und Arlington für einen globalen "Antiterror-Kreuzzug" herhalten, der in Afghanistan angefangen, inzwischen weite Teile Asiens und Afrikas, vom Himalaya bis zum Atlas-Gebirge und vom Mittelmeer bis Mozambik und Mindanao destabilisiert hat. Wer Sinn und Zweck dieser beispiellosen, weil weltumspannenden Machtdemonstration der US-Geheimdienst- und Militärmaschine verstehen will, findet eine schlüssige Erklärung in Max Blumenthals "The Management of Savagery". Der Titel des vierten Buchs des preisgekrönten US-Journalisten leitet sich von der gleichnamigen Kriegsanleitung ab, die der Al-Kaida-Vordenker Abu Bakr Naji 2004, ein Jahr nach dem illegalen Einmarsch angloamerikanischer Truppen in den Irak, veröffentlicht hat. Blumenthal sieht frappante Ähnlichkeiten der Allmachts- und Weltherrschaftsphantasien der neokonservativen Kriegsfalkenriege der USA mit jenen der sunnitisch-wahhabistischen Gotteskrieger und ihrer Anhänger in der islamischen Welt. Die beiden Seiten befinden sich laut Blumenthal seit Jahrzehnten in einer "symbiotischen Beziehung", mittels derer sie sich auf Kosten einer friedlicheren Entwicklung der Weltgesellschaft gegenseitig bekämpfen und gleichzeitig bestärken. Durch eine "Steuerung der Barbarei" - eine andere Übersetzung der unsäglichen Schrift Najis - werden die Menschen in dem jeweiligen Herrschaftsgebiet - "westliche Welt" gegen "Kalifat" - für den Krieg durch Repression und Dämonisierung "der anderen" mobilisiert.

Als Schaltstelle des unausgesprochenen Zweckbündnisses zwischen CIA, Pentagon und dem Schreckgespenst "islamistischer Terrorismus" steht Saudi-Arabien, das mit seinen Ölmilliarden einerseits zu dem mit Abstand bedeutendsten Abnehmer amerikanischer Waffensysteme avanciert ist, um diese aktuell für einen Völkermord im Jemen zu benutzen, und andererseits die weltweite Verbreitung einer engstirnigen, rückwärtsgewandten Version des Islams, den Wahhabismus, mit verheerenden Auswirkungen in Ländern wie Pakistan, Bangladesch und Indonesien forciert. Gemeinsam haben Riad und Washington Operation Cyclone ausgeheckt, mittels derer die Sowjetunion 1979 zur Intervention in Afghanistan verleitet wurde, um dort ihr eigenes "Vietnam" serviert zu bekommen. Bei dieser teuersten "verdeckten" Operation der CIA aller Zeiten haben Zehntausende arabische Freiwillige unter der Anleitung Bin Ladens den afghanischen Mudschaheddin zum Sieg über die Rote Armee verholfen. Dieselben Moslem-Fanatiker gingen der NATO im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zur Hand, als es der nordatlantischen "Wertegemeinschaft" darum ging, die sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien in ihre ethnischen und religiösen Einzelteile zu zerlegen, besonders in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo.

Blumenthal zeichnet nach, wie die "Helden" des Afghanistankrieges trotz oder gerade wegen ihrer vielfachen CIA-Verbindungen zu den Buhmännern Amerikas aufstiegen. Gemeint sind Leute wie der "blinde Scheich" Omar Abdel Rahman aus Ägypten und der ehemalige ägyptische Armeeoffizier Ali Mohamed, der in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre unter der Woche am John F. Kennedy Special War Center in Fort Bragg, North Carolina, lehrte und an den Wochenenden in New Jersey jene Araber an der Waffe ausbildete, die 1993 per Lastwagenbombe den ersten Anschlag auf die New Yorker Zwillingstürme verüben sollten. 1996 organisierte der vermeintliche Doppelagent als Leibwächter Bin Ladens dessen Umzug samt Gefolge vom Sudan nach Afghanistan. Die blutigen Anschläge 1998 auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam soll Ali Mohamed persönlich konzipiert und geleitet haben. 2001 verschwand diese mysteriöse Figur nach kurzem Auftritt als Kronzeuge beim New Yorker Prozeß um die Botschaftsanschläge von Kenia und Tansania auf Nimmerwiedersehen in das Zeugenschutzprogramm des FBI.

Blumenthal läßt die wichtigsten Widersprüche in der offiziellen 9/11-"Verschwörungstheorie" Revue passieren - darunter das sonderbare Versagen aller 16 amerikanischen Geheimdienste trotz ausreichender vorliegender Erkenntnisse über den Komplott sowie die Finanzierung des Aufenthalts mehrerer der 19 mutmaßlichen Flugzeugentführer in den USA in der Zeit vor dem 11. September 2001 durch den diplomatischen Dienst Saudi-Arabiens, und kommt zu dem Schluß, daß führende Entscheidungsträger im Sicherheitsapparat in Washington den Massenmord zumindest absichtlich zuließen. Schließlich sehnten sich damals die Geostrategen in den Denkfabriken am Potomac ihren Schriften und Erklärungen zufolge geradezu nach einem "katalysierendem Moment" nach Art eines "zweiten Pearl Harbour", mit dessen Hilfe die USA mit militärischer Gewalt den Nahen Osten neu ordnen könnten. Blumental beschreibt, wie ab 2004 die CIA und die US-Spezialstreitkräfte angesichts des Aufstands im Irak ihre Erfahrungen aus Zentralamerika der achtziger Jahren genutzt haben, um die militanten Sunniten und Schiiten gegeneinander auszuspielen. Zur sogenannten "Salvador Option" James Steeles gehörte selbstverständlich der Einsatz grauenhafter Bombenanschläge gegen die Zivilbevölkerung, die man der einen oder anderen Miliz in die Schuhe schieben konnte, um deren Gegner zu Vergeltungsmaßnahmen zu verleiten.

Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß die Vision eines sunnitischen Kalifats, das die Staatsgrenzen des Iraks und Syriens sprengt, in den Nullerjahren unter den Augen der CIA im US-Kriegsgefangenenlager Camp Bucca in der südirakischen Provinz Basra entstanden ist. Bis heute gehört die Schaffung eines ölreichen Vasallenstaats Washingtons namens "Sunnistan" zwischen dem Siedlungsraum der Kurden in Anatolien und dem mehrheitlich schiitischen Südirak zu jener "Nachkriegsordnung" im Nahen Osten, welche Leuten wie dem Militärexperten Oberst Ralph Peters und Donald Trumps Nationalem Sicherheitsberater John Bolton vorschwebt. Blumenthal zeigt anhand inkriminierender E-Mails der früheren US-Außenministerin Hillary Clinton und Äußerungen des früheren US-Vizepräsidenten Joe Biden, wie sehr die Regierung Barack Obamas ab 2011 auf den Einsatz extrem gewaltbereiter sunnitischer Milizionäre setzte und diesen gigantische Mengen an Waffen und Munition zukommen ließ, um Syriens Präsidenten Baschar Al Assad zu stürzen. Der angestrebte "Regimewechsel" in Damaskus wäre auch gelungen, hätten Rußland und der Iran ab 2015 nicht der Syrischen Arabischen Armee (SAA) Beistand geleistet. Blumenthal weist ebenfalls nach, daß sich namhafte Medienkommentatoren in den USA wie der New-York-Times-Vorzeigekolumnist Thomas Friedman und Ex-CIA-Chef David Petraeus nicht scheuten, Hilfe - "indirekt" versteht sich - für Al Kaida zu fordern, sobald es darum ging, die "autoritären Regime" in Moskau und Teheran zu schwächen.

Ein wesentlicher Aspekt von Blumenthals These eines "Management of Savagery" sind die ungeheuren Auswirkungen, die der vom Westen in den Ländern der islamischen Welt initiierte Flächenbrand in Europa und Nordamerika verursacht. Dazu gehören der Ausbau des Sicherheitstaats und das Erstarken rechtsgerichteter Kräfte in der Europäischen Union und den USA. Belege für diese traurige Entwicklung sind das Aufkommen der Alternative für Deutschland in der Bundesrepublik, der Sieg der EU-Gegner beim Brexit-Referendum in Großbritannien sowie der Einzug des chauvinistischen Verbalrambos Donald Trump ins Weiße Haus. Die neue Virulenz der Fremdenfeindlichkeit und die offenbar weit verbreitete Sehnsucht nach "dem starken Mann" im Westen gehen sowohl auf den massiven Zuzug muslimischer Kriegsflüchtlinge als auch die zahlreichen "Terroranschläge" zurück, welche islamistische Einzeltäter und Gruppen in den letzten Jahren im NATO-Territorium durchgeführt haben.

Interessanterweise stammen die Täter stets aus denselben Gruppen, denen die Auslandsgeheimdienste des Westens erst zur Teilnahme am "Dschihad" verholfen haben. Bestes Beispiel ist Salman Abedi, der als Gegner Muammar Gaddhafis an dem von der NATO forcierten Aufstand der Islamisten 2011 in Libyen teilnahm und der sich 2017, drei Jahre nach der mit Hilfe der britischen Kriegsmarine erfolgten Rückkehr nach Großbritannien, bei einem Konzert der Popsängerin Ariana Grande in Manchester in die Luft sprengte, 23 Menschen tötete und 139 verletzte, mehr als die Hälfte von ihnen Kinder.

Einen Monat nach dem Überfall auf die Redaktionsräume der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 in Paris, bei dem zwölf Menschen getötet und elf weitere verletzt wurden, veröffentlichte der IS in seinem Onlinemagazin Dabiq ein Manifest mit dem Titel "The Extinction of the Gray Zone". Dem Verfasser der alarmierenden Schrift ging es um Wege, den Kampf "Jihad vs. McWorld", um die Formulierung des politischen Wissenschaftlers Benjamin Barber zu gebrauchen, zu verschärfen und die Muslime und die Nicht-Muslime so gegeneinander aufzubringen, daß kein Austausch und erst recht keine Verständigung, sondern nur noch endloser Krieg bis zur vollständigen Unterwerfung bzw. Vernichtung des Gegners möglich sei. Blumenthal sieht die Gefahr, daß sich der Westen immer mehr auf diesen manichäischen Irrweg begibt. Er hat deshalb 2015 das Grayzone Project gestartet, um mittels publizistischer Aufklärung einer Verhärtung der kulturell-religiösen Fronten entgegenzuwirken. "The Management of Savagery" ist ein wichtiger Beitrag zu dem ehrgeizigen Vorhaben und verdient deshalb das größtmögliche Publikum.

29. Juni 2019


Max Blumenthal
The Management of Savagery
How America's National Security State Fueled the Rise of Al Qaeda,
ISIS and Donald Trump
Verso, London/New York, 2019
392 Seiten
ISBN-13: 978-1-78873-229-1


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