Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH


REZENSION/741: Vincent Bevins - The Jakarta Method (Kalter Krieg) (SB)


Vincent Bevins


The Jakarta Method

Washington's Anticommunist Crusade and the Mass Murder Program that Shaped Our World



Als Kamala Harris am 7. Juni bei ihrer ersten Auslandsreise als Joe Bidens Vizepräsidentin in Guatemala den armen Menschen Zentralamerikas mit den Worten - "Do not come. Do not come." - dringend von dem Versuch abriet, "illegal" in die USA einzureisen, erntete sie sofort Widerspruch von ihrer Parteikollegin Alexandria Ocasio-Cortez. Per Twitter kritisierte die junge Galionsfigur der linken Demokraten die allzu nach Donald Trump klingende Äußerung des ersten farbigen und weiblichen stellvertretenden Staatsoberhaupts der USA als "enttäuschend" und begründete die traurige Feststellung wie folgt: "Erstens ist ein Asylantrag an jeder US-Grenze eine 100% legale Methode der Einreise. Zweitens haben die USA Jahrzehnte damit verbracht, in Lateinamerika für Regimewechsel und Destabilisierung zu sorgen. Wir können nicht dabei helfen, das Haus anderer Leute in Brand zu stecken, und ihnen dann die Schuld geben, wenn sie fliehen."

Historisch betrachtet kann man Ocasio-Cortez nur Recht geben und sie dafür loben, die schwerwiegende Verantwortung Washingtons für das aktuelle gesellschaftliche Chaos südlich des Rio Grande beim Namen zu nennen, denn davon wollen die allermeisten Vertreter von Medien und Politik in den USA nichts wissen. Die Probleme, die aus der US-amerikanischen Einmischung in das politische Geschehen der Länder Zentral- und Südamerikas sind jedoch weitaus umfassender und tiefgründiger, als daß man sie allein unter Verweis auf den sogenannten Antidrogenkrieg, auf den Iran-Contra-Skandal und Operation Condor erklären könnte. Dessen ungeachtet bilden alle drei genannten Komplexe wichtige Bausteine einer teuflischen Strategie, mit der die USA den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion gewonnen haben. Diese Strategie, die leider bis heute unsere Welt mit ihrer krassen Aufteilung in einen reichen Norden und einen armen, abgehängten und ausgebeuteten Süden negativ prägt, erläutert Vincent Bevins meisterhaft in seinem 2020 erschienenen Buch "The Jakarta Method".


Sukarno in makellos weißer Uniformjacke und traditioneller indonesischer Songkok-Mütze - Foto: © 1949 by State of Indonesia, freigegeben als Public Domain wegen ausgelaufem Copyright nach Artikel 30 und 31 des indonesischen Copyrightgesetzes Nr. 19 aus dem Jahr 2002.

Offizielles Porträtfoto von Präsident Sukarno
Foto: Leiden University Library, Public domain, via Wikimedia Commons

Zwei einschneidende Erlebnisse haben den 1984 geborenen Kalifornier veranlaßt, das vorliegende Werk zu verfassen. 2016 arbeitete er als Korrespondent der Los Angeles Times in Brasilien. Damals fand das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff, die frühere Linksrebellin von der brasilianischen Arbeiterpartei, statt. Im Kongreßgebäude zu Brasília lief Bevins dem damals im Ausland unbekannten rechtsoppositionellen Abgeordneten Jair Bolsonaro über den Weg und fragte ihn im Verlauf eines kurzen, improvisierten Interviews, ob er nicht befürchte, daß der drohende, mit fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen begründete Sturz der populären Sozialdemokratin dem Ansehen Brasiliens im Ausland schaden könnte. Bevins schreibt über die sonderbare Begegnung folgendes:

Die Antworten, die er mir gab, lagen derart jenseits des Mainstreams, schienen eine absolute Wiederauferstehung von Phantomen des Kalten Kriegs zu sein, daß ich das Interview später nicht einmal verwendete. Er sagte: "Die Welt wird das, was wir heute tun, feiern, denn wir verhindern, daß aus Brasilien ein zweites Nordkorea wird."

Das war absurd. Rousseff war eine gemäßigt linke Präsidentin und ihre Regierung, wenn überhaupt, den Großkonzernen gegenüber zu freundlich gewesen.

Wenige Minuten später trat Bolsonaro ans Mikrophon im Kongreßsaal und gab eine Erklärung ab, die das Land erschütterte. Er widmete seine Stimme für die Amtsenthebung jenem Mann namens Carlos Alberto Brilhante Ustra, der als Oberst während der Diktatur in Brasilien die Folterung Rousseffs persönlich beaufsichtigt hatte. Es war eine unerhörte Provokation, der Versuch, das antikommunistische Militärregime des Landes zu rehabilitieren und sich selbst zum nationalen Symbol der rechtsextremen Opposition gegen alles zu machen. [3]

Wenige Wochen später führte ich ein Interview mit Rousseff, als sie auf die endgültige Abstimmung wartete, die sie des Amtes entheben würde. Unsere Unterhaltung wandte sich unweigerlich der Frage der Rolle der Vereinigten Staaten in den Angelegenheiten Brasiliens zu. Angesichts der unzähligen Situationen, in denen Washington interveniert hatte, um Regierungen in Südamerika zu stürzen, fragten sich viele von Rousseffs Anhängern, ob nicht die CIA auch diesmal dahinterstecke. Doch die Präsidentin verneinte dies - das Ganze sei ein Ergebnis der inneren politischen Logik Brasiliens. [4] Doch das wäre, nüchtern betrachtet, noch schlimmer; denn das hieße, Brasiliens Diktatur hätte eine Art Demokratie hervorgebracht, die gefahrlos selbst hochrangige Politiker wie Rousseff oder Lula entfernen könnte, welche die wirtschaftlichen oder politischen Eliten für eine Bedrohung ihrer Interessen hielten, und daß diese nach Belieben die Dämonen des Kalten Kriegs für sich in die Schlacht werfen könnten.

Inzwischen kennen wir das Ausmaß, in dem Bolsonaros Gambit geglückt ist. Als er zwei Jahre später zum Präsidenten gewählt wurde, hielt ich mich in Rio auf. Es brachen sofort Schlägereien auf den Straßen aus. Große stämmige Kerle fingen an, tätowierte Frauen, die Aufkleber des gegnerischen Kandidaten trugen, zu beschimpfen. Sie schrien, "Kommunisten, haut ab! Kommunisten, haut ab!"

2017 [...] wechselte ich von Sã’o Paulo nach Jakarta, um für die Washington Post über Indonesien zu berichten. Einige Monate nach meiner Ankunft plante eine Gruppe Akademiker und Aktivisten eine kleine Konferenz, um über die Ereignisse von 1965 zu diskutieren. Doch manche Leute verbreiteten über die sozialen Medien das Gerücht, daß es bei dem Treffen um die Wiederauferstehung des Kommunismus ging, der mehr als fünfzig Jahre später in dem Land immer noch verboten ist. Nicht lange, nachdem ich am Abend die Veranstaltung verlassen hatte, machte sich eine Horde zum Tagungsort auf. Gruppen hauptsächlich islamistischer Männer, wie man sie inzwischen des öfteren als Teilnehmer aggressiver Straßenproteste in Jakarta erlebt, umstellten das Gebäude und schlossen die Leute ein. Meine Zimmergenossin Niken, eine junge Gewerkschafterin aus Zentraljava, wurde dort die ganze Nacht gefangen gehalten, während die Meute gegen die Mauer schlug und "Vernichtet die Kommunisten!" und "Verbrennt sie beim lebendigem Leib!" skandierte. Verängstigt schickte sie mir Textnachrichten mit der Bitte, publik zu machen, was dort vorging. Das tat ich per Twitter. Es dauerte nicht lange, da zog dies Drohungen und Anschuldigungen nach sich, ich sei ein Kommunist oder sogar ein Mitglied der nicht existierenden Kommunistischen Partei Indonesiens. Ich hatte mich in Südamerika daran gewöhnt, genau diese Art von Botschaften zu erhalten. Die Ähnlichkeit war nicht zufällig. Die Paranoia in beiden Ländern kann auf die traumatische Zäsur Mitte der sechziger Jahre zurückgeführt werden.
(eBook S.15f. in der Übersetzung des Schattenblicks)

Im Mittelpunkt von "The Jakarta Method" steht Sukarno, der charismatische, mehrsprachige Gründervater Indonesiens, der bereits vor dem Zweiten Weltkrieg den Kampf seiner Landsleute um Unabhängigkeit anführte. Drei Tage nach der Kapitulation des kaiserlichen Japans im August 1945 rief Sukarno in Jakarta die Unabhängigkeit Indonesiens aus. Danach widersetzten sich der gelernte Architekt und seine nationale Bewegung vier Jahre lang dem Versuch der Niederländer, auch mit militärischen Mitteln ihre alte Kolonie im indonesischen Archipel wiederzuerrichten. 1949 gaben sich die Niederlande geschlagen und erkannten die Souveränität der neuen indonesischen Republik an. Dennoch herrschten weiterhin Spannungen zwischen Jakarta und Den Haag, weil die Niederländer die Kontrolle über West Papua behalten und die rohstoffreiche Halbinsel nicht an Indonesien abtreten wollten. Erst 1962 wurde Westpapua unter Vermittlung der Regierung von US-Präsident John F. Kennedy zur indonesischen Provinz.

In den fünfziger Jahren verkörperte Sukarno zusammen mit Ägyptens Gamal Abdel Nasser, Indiens Jawaharlal Nehru, Jugoslawiens Josip Broz Tito und Ghanas Kwame Nkrumah auf der internationalen Bühne die antikoloniale Bewegung, die nach und nach die Unabhängigkeit aller früheren europäischen Kolonien in Afrika und Asien erstreiten sollte. Mit Sukarno als Gastgeber kam es 1955 in der javanesischen Stadt Bandung zur ersten asiatisch-afrikanischen Konferenz, auf der sich die politischen Vertreter der Hälfte der Menschheit für eine eigenständige Entwicklung der Dritten Welt jenseits der Konfrontation zwischen der kapitalistischen Ersten Welt aus USA und deren europäischen Verbündeten und der kommunistischen Zweiten Welt des Warschauer Paktes unter Führung der Sowjetunion aussprachen. Die Bandung Konferenz, an der auch Brasilien als Beobachterstaat teilnahm, bereitete den Weg für die Gründung der Bewegung der Blockfreien Staaten 1961 in Belgrad.


Washingtons Politelite hofiert den Anführer der blockfreien Staaten - Foto: © 1956 by United States Information Service, freigegeben als Public Domain durch United States Federal Government nach Title 17, Chapter 1, Section 105 of the U.S. Code.

John Foster Dulles und Richard Nixon empfangen Sukarno 1956 bei der Ankunft in Washington D. C.
Foto: 1956 Uncredited. Published by the United States Information Service., Public domain, via Wikimedia Commons.

In Washington begrüßte man zunächst das Unabhängigkeitsstreben der früheren europäischen Kolonialgebiete, spielten doch die USA nach eigenem Verständnis durch die Loslösung vom Vereinigten Königreich 1776 den Vorreiter jener welthistorischen Entwicklung schlechthin. Als Vertreter des großen Siegers des Zweiten Weltkriegs mit seiner enormen Wirtschaftskraft umwarben die amerikanischen Diplomaten die neuen, unerfahrenen Staats- und Regierungschefs, um sie und ihre Länder wirtschaftlich und politisch an die USA zu binden. Deswegen nahm zum Beispiel US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1956 in der Suez-Krise die Position Ägyptens ein und versagte den Aggressoren Israel, Großbritannien und Frankreich öffentlich jegliche Unterstützung. Aber gleichzeitig verzichtete Washington nicht darauf, die Schattenkrieger der CIA von der Leine zu lassen, sobald irgendwo in der nicht-industrialisierten Peripherie die Interessen amerikanischer Großkonzerne beeinträchtigt werden könnten. So hat der US-Auslandsgeheimdienst 1953 den iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh und 1954 den guatemaltekischen Präsidenten Jacobo ‘rbenz gewaltsam gestürzt, ersteren wegen der Verstaatlichung der Ölindustrie Persiens und letzteren wegen einer bescheidenen Landreform zugunsten der ärmerer Schichten.

Auch in Südostasien waren die USA in dieser Phase paramilitärisch nicht untätig. Bereits in den frühen fünfziger Jahren half der CIA-Meister der psychologischen Kriegsführung, Oberst Edward Lansdale, der konservativen Regierung der Philippinen, einen Aufstand der marxistischen Hukbalahap-Bewegung niederzuschlagen. Danach ging das spätere Vorbild für die Hauptfigur in Graham Greenes berühmtem Indochina-Roman "Der stille Amerikaner" nach Vietnam, wo er als Verbindungsoffizier die französische Kolonialverwaltung im Kampf gegen die nationale Erhebung um Ho Chi Minh beriet und den späteren Einzug der amerikanischen Streitkräfte vorbereitete. 1958 flog eine bereits länger laufende, umfangreiche Aktion der CIA zur Unterstützung des ostindonesischen Permesta-Aufstands gegen die Regierung in Jakarta auf, als ein feindlicher, in den südlichen Philippinen gestarteter B26-Bomber von einem P51-Kampfjet der indonesischen Luftwaffe abgeschossen und der amerikanische Pilot Allen Pope gefangengenommen, angeklagt und der Weltöffentlichkeit präsentiert werden konnte.


Landkarte mit Indonesien, Singapur, Malaysia, Brunei sowie Teilen der Philippinen, Thailands und Australiens - Grafik: © 2021 by www.demis.nl, Public Domain via Wikimedia Commons

Indonesien und die umliegende Region
Grafik: © 2021 by www.demis.nl, Public Domain via Wikimedia Commons

Die Blamage angesichts der Festnahme Popes veranlaßte Washington dazu, die direkte paramilitärische Einmischung in Indonesien stark zurückzufahren und statt dessen die Zusammenarbeit mit der dortigen Militärführung zu suchen. Auch der Wahlsieg des Demokraten JFK bei der Präsidentenwahl 1960 gegen den republikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon weckte Hoffnungen auf eine noch entgegenkommendere Haltung der USA gegenüber den Ländern des globalen Südens, hatte Kennedy doch als Senator unter Verweis auf seine irische Wurzeln wiederholt Verständnis für das Streben der kolonisierten Völker nach Eigenständigkeit und Souveränität geäußert und sich zum Beispiel als erster US-Politiker von Rang demonstrativ für die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich ausgesprochen.

Die Hoffnungen sollten sich jedoch zerschlagen. Drei Tage bevor Kennedy im Januar 1961 ins Weiße Haus einzog, wurde ohne sein Wissen, jedoch auf Veranlassung der CIA, Patrice Lumumba, der erste Premierminister der Demokratischen Republik Kongo, verschleppt, gefoltert und ermordet. An dessen Stelle übernahm Armeestabschef Joseph-Désiré Mobuto die Macht und verwandelt den Kongo in einen der korruptesten Staaten der Welt. Nur drei Monate später zettelte die CIA die Schweinebucht-Invasion rechtsgerichteter Rebellen auf Kuba an, wohlwissend, daß die Nacht-und-Nebel-Aktion ohne direkte Intervention der US-Streitkräfte zum Scheitern verurteilt war. Als Kennedy sich weigerte, in die Falle, die CIA-Chef Allen Dulles für ihn gelegt hatte, zu tappen und statt dessen damit drohte, den allzu eigenmächtig gewordenen US-Auslandsgeheimdienst "in tausend Stücke zu zerschmettern", unterzeichnete er damit sein eigenes Todesurteil.


Sukarno und Fidel Castro sitzen gemütlich nebeneinander auf einem Sofa - Foto: © 1960 by Cuban press, freigegeben als Public Domain wegen ausgelaufem Copyright nach kubanischem Recht

Achmed Sukarno und Fidel Castro 1960 in Havanna
Foto: Cuban press, Public domain, via Wikimedia Commons

Gleichwohl haben Kennedys "whiz kids", seine jungen technokratischen Berater wie Robert McNamara und Walt Rostow, die "Modernisierungstheorie" formell als alternatives Entwicklungsmodell zum dialektischen Materialismus der Kommunisten erhoben und ausgebaut. Fatal an jenem Modell war und ist bis heute die Schlüsselrolle, die dem Militärapparat als Garanten der Stabilität und Motor des gesellschaftlichen Fortschritts zuerkannt wird. Ordnungspolitische und marktwirtschaftliche Maßstäbe gehen vor, die Verwirklichung demokratischer Prinzipien wird hingegen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. In Fort Leavenworth in Kansas brachte das US-Militär unzähligen aus Asien und Afrika stammenden Offizieren Aufstandsbekämpfung und "nation building" in einem bei. Für die Sonderausbildung der den USA wohlgesonnenen Militärs aus Lateinamerika war die berüchtigte School of the Americas in der panamesischen Kanalzone zuständig. In "The Jakarta Method" geht Bevins ausführlich auf die Bedeutung der "Modernisierungstheorie" für die unheilvolle Entwicklung ein, die der ständige Versuch ihrer Umsetzung in Lateinamerika, Afrika und Asien nach sich ziehen sollte.


Die drei Staatsmänner von Militärs und Pressefotografen begleitet - Foto: © 1961 by JFK Library, freigegeben als Public Domain durch United States Federal Government nach Title 17, Chapter 1, Section 105 of the U.S. Code

Kennedy, Johnson und Sukarno auf dem Rasen des Weißen Hauses im April 1961
Foto: © 1961 by White house Photographers, Public domain, via Wikimedia Commons

1963 fällt Kennedy einem Attentat zum Opfer und an seine Stelle tritt der bisherige Vizepräsident Lyndon Johnson. Im selben Jahr flammt die sogenannte Konfrontasi zwischen Großbritannien und Indonesien auf, die bis 1966 dauern sollte. Streitgegenstand ist das Vorhaben Londons, die Föderation Malaya zusammen mit Singapur und den britischen Kolonialgebieten im Norden der Insel Borneo, deren Hauptteil zu Indonesien gehört, zum neuen Staat Malaysia zu fusionieren. Es kommt zu einer Mobilisierung der Streitkräfte auf beiden Seiten, gegenseitigen Grenzverletzungen und blutigen Zwischenfällen. 1964 findet der Golf-von-Tonkin-Vorfall statt, den Johnson zum endgültigen Einstieg der USA in den Vietnamkrieg nutzt. Ins selbe Jahr fällt auch die Entscheidung Washingtons, Sukarno loszuwerden, dessen Annäherung an die Volksrepublik China, sein politisches Bündnis mit den Kommunisten im eigenen Land und seine feindliche Positionierung gegenüber den britischen Malaysia-Pläne der Johnson-Regierung mißfallen.

1964 wird der Putsch gegen Sukarno bereits in Brasilien erfolgreich geprobt. Dort stürzt das Militär den sozialdemokratischen Präsidenten Joã’o Goulart mit Hilfe der CIA unter der Leitung des US-Militärattachés Vernon Walters. Den Vorwand zur Machtübernahme liefert ein vermeintlicher Putschversuch linker Unteroffiziere, die angeblich sowohl mit dem Kommunismus als auch mit satanischen Kräften im Bunde sind. Während der große Schlag gegen die Verfechter sozialer Gerechtigkeit im größten und strategisch wichtigsten Land Lateinamerikas vergleichsweise reibungslos von statten ging, kommt es 1965 beim ähnlichen Vorgang in Indonesien, dessen kommunistische Partei, die PKI, damals gemäß der Mitgliederzahl nach denen der Sowjetunion und der Volksrepublik China die drittstärkste der Welt war, zum größten Massenmord der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Genau wie bei Goulart in Brasilien heißt es plötzlich am 30. September 1965, die indonesische Militärführung unter der Leitung des späteren Diktators General Suharto sei einem Putsch der Kommunisten zuvorgekommen. Den Vorwand liefert die mißlungene Entführung einer Handvoll Sukarno-skeptischer Generäle in Jakarta durch eine Gruppe übereifriger Anhänger des Präsidenten. Vor allem das britische Außenministerium versorgt die Weltöffentlichkeit über die BBC, die linksliberale Sonntagszeitung Observer und die Nachrichtenagentur Reuters mit Falschmeldungen zu den Ereignissen in der Hauptstadt und den anderen Teilen Indonesiens.

Genau zu diesem Zweck war vorab der Desinformationsexperte Norman Reddaway an die britische Botschaft in Jakarta abkommandiert worden. Er sollte gezielte Falschmeldungen unter den dort arbeitenden Auslandskorrespondenten sowie der britischen Presse verbreiten. In einem Brief an den britischen Botschafter Sir Andrew Gilchrist schreibt Reddaway, daß die westlichen Journalisten "uns alles abnahmen und ständig neuen Stoff forderten". Über eine fingierte Nachricht merkt Reddaway hoch erfreut an, daß er "einmal um die Welt und wieder zurück" gegangen sei. Gemeint ist eine von ihm erfundene Geschichte, welche die BBC über ihren internationalen Rundfunkdienst wieder in Indonesien in Umlauf bringen konnte.

Inwieweit der Putsch Suhartos von Washington direkt initiiert wurde, darüber wird bis heute gestritten. In seinem Buch verweist Bevins unter anderem auf eine schriftliche Warnung der Regierung Pakistans an die Kollegen in Jakarta; ein pakistanischer Botschafter in Europa hatte vorab Wind von entsprechenden Vorkehrungen der NATO-Staaten USA, Großbritannien und den Niederlanden bekommen. Fest steht jedenfalls, daß die CIA, nachdem alles losging, die Militärführung in Indonesien mit Listen Zehntausender zu ermordender Kommunisten laufend versorgte. 2001 vom State Department veröffentlichte, bis dahin vertrauliche Dokumente enthalten unter anderem eine damalige Mitteilung der US-Botschaft in Jakarta an das Außenministerium in Washington, in der es heißt, man habe die indonesischen Sicherheitskräfte mit Namenslisten der vermeintlichen Staatsfeinde versorgen müssen, weil sie sonst keine gehabt hätten.

Nachdem Sukarno Ende 1965 unter Hausarrest gestellt worden ist und die schreckliche Hetzjagd des indonesischen Militärs auf alle Kommunisten und deren Sympathisanten auf Hochtouren läuft, schickt Lyndon Johnsons Außenminister Dean Rusk ein Telegramm an die US-Botschaft in Jakarta mit der Aufforderung, "die Kampagne gegen die PKI" müsse "fortgesetzt werden". Um dies zu gewährleisten, sollten die US-Diplomaten klarmachen, daß "Indonesien und die Armee" in Washington "wahre Freunde" hätten, die "zur Hilfe bereit" seien. Daraufhin schreibt US-Botschafter Marshall Green an Rusk zurück, man habe "bereits klargemacht, daß die Botschaft wie auch die US-Regierung dem, was die Armee tut, wohlwollend bis bewundernd" gegenüberstünden.

Unfähig, in so kurzer Zeit so viele Menschen umzubringen, greift die indonesische Armee auf die Hilfe muslimischer Fundamentalisten und rechtsgerichteter Todesschwadrone zurück. Das Morden nimmt ein solches Ausmaß an, daß die Generäle in Jakarta die "wahren Freunde" in Washington immer wieder um mehr Waffen und Munition bitten müssen, zum Beispiel "um muslimische und nationalistische Jugendliche in Zentraljava für den Einsatz gegen die PKI zu bewaffnen". Es folgen versteckte Waffenlieferungen der USA an die indonesischen Militärs. Wie ein ehemaliger Beamter des US-Außenamts der Historikerin Kathy Kadane später erzählen sollte: "Es hat keinen gekümmert, solange es Kommunisten waren, die abgeschlachtet wurden." In einem internen CIA-Bericht zu den damaligen Ereignissen hieß es, man sei auf den eigenen Beitrag zur "Stabilisierung" Indonesiens "sehr stolz". Besonders heftig wüten Indonesiens Antikommunisten auf der mehrheitlich von Hindus bewohnten Insel Bali. Jene Traumstrände, die heute westliche Touristen in großen Scharen auf die tropische Insel locken, waren damals monatelang von Blut getränkt und mit Leichen und Körperteilen übersät.


Von Balis einstigen 'Killing Fields' heute keine Spur - Foto: © 2013 by RusdyBachtiar, CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons

Strandparadies Bali
Foto: © 2013 by RusdyBachtiar, CC BY-SA 3.0
(https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons

Washington schickt zudem üppige Geldsummen an die Todesschwadrone, um das antikommunistische Inferno am Brennen zu halten. In einer Mitteilung vom 2. Dezember 1965 an William Bundy, den für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten zuständigen Stellvertretenden Staatssekretär im US-Außenministerium, stimmt der US-Botschafter in Jakarta dem Vorschlag zu, der Gruppe Kap-Gestapu mit 50 Millionen Rupien unter die Arme zu greifen. "Die Chancen, daß diese Unterstützung bekannt oder enthüllt werden könnte, sind so gering wie bei jedem Schwarze-Kassen-Geschäft", so Marshall Green. In einer späteren Mitteilung vom 15. April 1966 der US-Botschaft an Washington heißt es, wegen des Chaos in Indonesien könne man die Zahl der Getöteten nicht genau beziffern. Weil man nicht wisse, ob die tatsächliche Zahl eher bei 100.000 oder doch einer Million Menschen liege, wird Washington geraten, sich auf "die niedrigere Schätzung" zu beziehen, "besonders bei Fragen seitens der Presse".

Nach dem formellen Amtsantritt General Suhartos als neues Staatsoberhaupt im März 1966 gerät Indonesien vollends zum Satellitenstaat der USA. Bezeichnend ist der Umstand, daß die neue Militärjunta in Jakarta quasi als erste Amtshandlung dem US-Bergbauunternehmen Freeport die Rechte zur Ausbeutung der größten Goldmine der Welt namens Grasberg im Westpapua erteilt. Frühere Pläne Sukarnos zur Einschränkung der geschäftlichen Tätigkeiten ausländischer Energiekonzerne in Indonesien werden ins Gegenteil verkehrt. Für Uncle Sam's Geschäftleute wird der rote Teppich ausgerollt.


Suharto in Tarnuniform und Sonnenbrille umgeben von Soldaten und der Witwe eines getöteten Generals - Foto: © 1965 by Department of Information of the Republic of Indonesia freigegeben als Public Domain nach Artikel 43 des indonesischen Copyrightgesetzes 28 aus dem Jahr 2014.

Generalmajor Suharto nimmt am 5. Oktober 1965 demonstrativ an der Trauerfeier für die fünf am 1. Oktober unter ungeklärten Umständen verstorbenen Generäle teil
Foto: © 1965 by Department of Information of the Republic of Indonesia freigegeben als Public Domain nach Artikel 43 des indonesischen Copyrightgesetzes 28 aus dem Jahr 2014.

Innerhalb eines Jahres tritt Indonesien wieder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank bei und erläßt neue Gesetze zur Begünstigung ausländischer Investitionen. Dafür erhalten Suharto und die Generäle großzügige US-Finanzhilfe. 1969 beträgt sie bereits 200 Millionen Dollar. In den kommenden Jahrzehnten darf das pro-westlich ausgerichtete Regime in Jakarta nicht nur unter Duldung, sondern mit der diplomatischen und rüstungstechnischen Hilfe der USA, Großbritanniens und Australiens die blutige wie illegale Eroberung Osttimors unternehmen, die Unabhängigkeitsbewegung Irian Jayas (Westpapuas) brutal niederschlagen und Abertausende innenpolitischer Gegner verhaften, foltern und ermorden. Vincent Bevins schätzt die Zahl der Menschen in Indonesien, die das Massaker von 1965/1966 überlebten, nur um in irgendwelchen Konzentrationslagern zu landen und dort Monate, wenn nicht sogar Jahre zu verbringen, auf rund eine Million.

Wie Bevins nachweist, wird "Jakarta" in den nachfolgenden Jahrzehnten zum nicht ganz heimlichen Codewort, wenn es den Verbündeten Washingtons darum geht, mit antidemokratischen Mitteln linke Massenbewegungen in der Dritten Welt zu Fall zu bringen. Der Begriff taucht in den Grafittis, die im Sommer 1973 an den Häuserwänden der chilenischen Hauptstadt Santiago den drohenden Putsch Augusto Pinochets gegen Salvador Allende ankündigten, genauso wie im vertraulichen, zwischenstaatlichen Schriftverkehr der an der "Operation Condor" beteiligten Polizisten, Geheimdienstler und Militärs Südamerikas auf. Bevins zeichnet die starke Parallele in der Vorgehensweise der Putschisten in Chile und Guatemala nach. Von der ungeheuren Anzahl der Toten her läßt sich der jahrelange Massenmord an der armen indigenen Landbevölkerung Guatemalas mit den Vorgängen in Indonesien absolut vergleichen.

Eine ganz besondere Stärke von "The Jakarta Method" ist Bevins' Verwendung der Aussagen und Erkenntnisse einiger der mehr als 100 Zeitzeugen und Überlebenden der antikommunistischen Pogrome vor allem in Brasilien, Indonesien, Chile und Guatemala. Die vom Autor aufwendig ausgewertete und verarbeitete Geschichtsliteratur wird fabelhaft ergänzt durch die persönlichen Berichte der Menschen, deren Träume in der Aufbruchsära nach dem Zweiten Weltkrieg auf ein sozial gerechteres, friedliches und umweltfreundlicheres Zusammenleben der Völker von der Vernichtungsmaschine, die wir heute Globalisierung nennen, regelrecht zermalmt wurden. Die Überlebenden der großen Säuberung in Indonesien, wo eine kritische Aufarbeitung der Ereignisse rund um den Sturz Sukarnos bis heute absolut tabu ist, leben noch immer in Angst vor Repressalien. Zur Anwendung der "Jakarta-Methode" durch die Mächtigen gegen die Habenichtse dieser Erde kommt es auch im 21. Jahrhundert nach wie vor mit erschütternder Regelmäßigkeit, wie man aktuell anhand der Angriffe staatlicher Kampfhubschrauber auf unbewaffnete linke Straßenproteste in der Narcostaatshölle Kolumbien und der Weigerung der konservativ-katholischen Politikerin Keiko Fujimori, unter Hinweis auf den manichäischen Kampf "Markt gegen Marxismus", ihre Niederlage bei der jüngsten Präsidentenwahl in Peru gegen den Linkspopulisten Pedro Castillo, anzuerkennen, deutlich sehen kann.



Architektonischer Siegelstein indonesischer Geschichtsklitterung - Foto: © 2013 by Chris Woodrich, (CC BY-SA 3.0), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de, via Wikipedia

Museum des PKI-Verrats (Museum Pengkhianatan PKI), Lubang Buaya, Jakartak
Foto: © 2013 by Chris Woodrich, (CC BY-SA 3.0), (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de), via Wikipedia


15. Juni 2021

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 22. Juni 2021


Vincent Bevins
The Jakarta Method
PublicAffairs, New York, 2020
4.70 MB
ISBN: 978-1-5417-2401-3 (eBook)


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang