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AKTION/1103: Urgent Action - Iran - Vier Hinrichtungen - fünftes Schicksal unbekannt


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-077/2012-1, AI-Index: MDE 13/042/201, Datum: 28. Juni 2012 - ar

Iran
Vier Hinrichtungen - fünftes Schicksal unbekannt

Weitere Informationen zu UA-077/2012 (MDE 13/013/2012, 8. März 2012)



Verbleib unbekannt:
Herr MANSOUR HEIDARIAN
15-jährige Haftstrafe:
Herr AMIR MUAWI (AUCH MO'AVI)

Hingerichtet:
Herr ABD AL-RAHMAN HEIDARIAN (AUCH HEIDARI)
Herr TAHA HEIDARIAN
Herr JAMSHID HEIDARIAN
Herr ALI SHARIFI

Mindestens vier Angehörige der Ahwazi, einer arabischen Minderheit im Iran, sind offenbar um den 18. Juni herum in der Provinz Chuzestan im Südwesten des Landes hingerichtet worden. Das Schicksal eines fünften Mannes, der unter derselben Anklage festgehalten wird, ist unbekannt. Die drei Brüder Abd al-Rahman Heidarian (auch Heidari), Taha Heidarian und Jamshid Heidarian sowie ein weiterer Mann namens Ali Sharifi wurden um den 18. Juni herum hingerichtet. Mansour Heidarian, offenbar der Cousin von Abd al-Rahman, Taha und Jamshid Heidarian, war am 9. Juni gemeinsam mit ihnen aus dem Karoun-Gefängnis in der Provinzhauptstadt Ahvaz an einen unbekannten Ort gebracht worden. Sein Schicksal ist unklar. Ehemalige Mitgefangene der Männer teilten den Familienangehörigen mit, sie hätten von den Gefängnisbehörden erfahren, dass alle fünf Männer zum Zweck der Vollstreckung ihrer Todesurteile fortgebracht worden waren. Die Männer waren zum Tode verurteilt worden, nachdem man sie wegen der Tötung mindestens einer Person unter anderem der "Feindschaft zu Gott und Verdorbenheit auf Erden" (moharebeh va ifsad fil-arz) für schuldig befunden hatte. Bei dem Mann, der im April 2011 getötet wurde, soll es sich um einen Polizisten gehandelt haben.

Den Angehörigen der Männer zufolge haben diese die Tötung unter Folter und anderen Misshandlungen "gestanden". Iranische Gerichte akzeptieren immer wieder unter Zwang abgelegte "Geständnisse" als Beweismittel. Es ist nicht bekannt, wann die ursprünglichen Gerichtsverfahren gegen die Männer stattgefunden haben oder ob man ihnen Zugang zu Rechtsbeiständen gewährt hat.

Amnesty International wendet sich bedingungslos gegen die Todesstrafe, da sie die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt und das Recht auf Leben verletzt. Die Organisation fordert die Aufhebung oder Umwandlung aller im Iran anhängigen Todesurteile.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Männer wurden vermutlich im April 2011 in Ahvaz festgenommen und viele Monate lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Zu dieser Zeit herrschten starke Unruhen in der gesamten Provinz Chuzestan. Etwa am 5. März 2012 informierten BeamtInnen des Geheimdienstministeriums die Familienangehörigen darüber, dass der Oberste Gerichtshof die Todesurteile gegen mindestens fünf der Männer bestätigt hatte und dass sie "in den nächsten Tagen" öffentlich hingerichtet würden. Einer der Männer, Amir Muawi (auch Mo'avi genannt), wurde nicht wie zuvor angenommen zum Tode verurteilt, sondern zu einer 15-jährigen Haftstrafe im "internen Exil", d. h. in einer Haftanstalt, die weit von seinem Heimatort entfernt liegt. Die Ahwazi-Araber sind eine der zahlreichen ethnischen Minderheiten im Iran. Sie leben größtenteils in der Provinz Chuzestan im Südwesten des Iran. Hauptsächlich handelt es sich bei den Ahwazi um schiitische Muslime, einige sind jedoch zur sunnitischen Konfession übergetreten. Dies hat das Misstrauen der iranischen Regierung gegenüber den Ahwazi-Arabern noch verstärkt. Oft klagen die Ahwazi über Marginalisierung und Diskriminierung hinsichtlich Bildung, Arbeit, angemessener Unterkünfte, politischer Teilhabe und kultureller Rechte.

Im April 2005 kam es zu Massendemonstrationen, Bombenanschlägen und Massenfestnahmen in der Provinz Chuzestan, nachdem mutmaßliche Pläne der Regierung bekannt geworden waren, die arabische Bevölkerung zu vertreiben beziehungsweise sie in der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf freie Entfaltung ihrer Kultur und Verwendung ihrer eigenen Sprache einzuschränken - dies sind Rechte, die Minderheiten nach internationalen Menschenrechtsnormen zustehen. Mindestens 15 Männer sind wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den Bombenattentaten hingerichtet worden.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bin entsetzt über Berichte, nach denen Abd al-Rahman Heidarian, Taha Heidarian, Jamshid Heidarian und Ali Sharifi hingerichtet worden sein sollen und bitte Sie eindringlich, Informationen über das Schicksal von Mansour Heidarian zu veröffentlichen. Benachrichtigen Sie bitte umgehend seine Familie und stoppen Sie seine Hinrichtung, falls er sich noch in der Todeszelle befindet.
  • Ich würde gerne Informationen über die Gerichtsverfahren der fünf Männer sowie dem von Amir Muawi (auch Mo'avi) erhalten und wissen, ob sie Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl hatten.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass Häftlinge nicht Opfer von Folter und anderen Misshandlungen werden und ihnen umgehend Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen sowie eine hinreichende medizinische Versorgung gewährt werden.

APPELLE AN

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street - End of Shahid Keshvar Doust Street
Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: info_leader@leader.ir
Twitter: "#Iran leader @khamenei_ir: clarify fate of death row inmate Mansour Heidarian"

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
[c/o] Public Relations Office, Number 4, 2 Azizi Street
Vali Asr Ave., above Pasteur Street intersection
Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: info@dadiran.ir
(Betreff: FAO Ayatollah Sadegh Larijani)


KOPIEN AN

LEITER DER STAATLICHEN MENSCHENRECHTSBEHÖRDE Mohammad Javad Larijani High Council for Human Rights [c/o] Office of the Head of the Judiciary Pasteur St., Vali Asr Ave. south of Serah-e Jomhouri Tehran 1316814737, IRAN (korrekte Anrede: Dear Sir / Sehr geehrter Herr Larijani) E-Mail: info@humanrights-iran.ir (Betreff: FAO Mohammad Javad Larijani)

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S.E. Herrn Alireza Sheikh Attar
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: iran.botschaft@t-online.de oder info@iranbotschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 9. August 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Expressing dismay at reports of the executions of Abd al-Rahman Heidarian, Taha Heidarian, Jamshid Heidarian and Ali Sharifi, and calling on the authorities to clarify the fate of Mansour Heidarian, informing his family immediately, and not execute him if he is still on death row.
  • Asking about the trial of these five men and a sixth man, Amir Muawi (or Mo'avi), including whether they had access to lawyers of their choice.
  • Calling on the authorities to ensure that all those held are protected from torture and other ill-treatment, and are immediately granted regular access to their families, their lawyers and adequate medical care.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Berichten zufolge wurden möglicherweise hunderte Angehörige der arabischen Minderheit vor, während und nach den Demonstrationen vom 15. April 2011 festgenommen. Einige von ihnen sollen gefoltert und anderweitig misshandelt worden sein. Mindestens vier Ahwazi sollen in der Zeit zwischen dem 23. März 2011 und Mitte Mai 2011, möglicherweise an den Folgen von Folter oder anderen Misshandlungen, in Gewahrsam gestorben sein. Wenigstens acht Ahwazi wurden hingerichtet, darunter offenbar ein Jugendlicher von erst 16 Jahren. Am Tag der Demonstrationen hatte man anlässlich des 6. Jahrestages der Massendemonstrationen von 2005 zum sogenannten "Tag des Zorns" aufgerufen. Laut Angaben der iranischen Behörden wurden dabei mindestens drei Menschen bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften getötet, einige davon im ärmlichen Stadtteil Malashiya in Ahvaz. Wahrscheinlich hat es jedoch weitaus mehr Tote gegeben. Amnesty International liegen die Namen von 27 mutmaßlich getöteten Personen vor. Quellen der Ahwazi-Araber gehen jedoch von noch höheren Opferzahlen aus. Da die iranischen Behörden Amnesty International nicht gestatten, in den Iran einzureisen, konnte die Organisation die Angaben bisher nicht bestätigen. Der Informationsfluss in und aus Chuzestan unterliegt weiterhin sehr strengen Kontrollen durch die iranischen Behörden, weshalb ausländische Journalisten daran gehindert werden, die Provinz zu bereisen.

2012 sind Berichten zufolge im Vorfeld der Parlamentswahlen vom 2. März zwischen dem 10. Januar und Anfang Februar 50 bis 65 Menschen festgenommen und an mindestens drei unterschiedliche Orte in der Provinz Chuzestan gebracht worden. Mindestens zwei der Festgenommenen sollen in Gewahrsam gestorben sein. Vor allem in der Stadt Shoush im Norden der Provinz Chuzestan riefen Ahwazi zu einem Boykott der Wahlen auf. In Shoush kam es Meldungen zufolge zu Festnahmen, nachdem dort gegen die Wahl gerichtete Sprüche an Wände gemalt worden waren. Bei anderen Festnahmen könnte es sich um Präventivmaßnahmen gehandelt haben, mit denen möglicherweise verhindert werden sollte, dass Ahwazi-Araber sich anlässlich des Jahrestags der landesweiten Demonstrationen vom 14. Februar 2011 zusammenfinden, um so ihre Unterstützung für die gewaltsam unterdrückten Menschen in Tunesien und Ägypten auszudrücken. Möglicherweise sollte mit den Festnahmen auch eine Versammlung der arabischen Minderheit anlässlich des Jahrestags des "Tags des Zorns" am 15. April unterbunden werden. Unmittelbar vor dem 15. April - von Ende März bis Mitte April - sollen mindestens 25 Ahwazi-Araber infolge von Protesten in der ganzen Provinz festgenommen worden sein. Auch im Juni wurden Berichten zufolge wieder viele Ahwazi festgenommen, als die Behörden unmittelbar vor und nach den Hinrichtungen die Sicherheitsvorkehrungen in der Provinz verschärften, da sie im Zuge der Exekutionen Unruhen erwarteten.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-077/2012-1, AI-Index: MDE 13/042/201, Datum: 28. Juni 2012 - ar
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2012