Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

AKTION/1405: Urgent Action - Somalia, Gefängnisstrafe gegen Journalisten bestätigt


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-009/2013-3, AI-Index: AFR 52/004/2013, Datum: 6. März 2013 - mr/cw

Somalia
Gefängnisstrafe gegen Journalisten bestätigt



Herr ABDIAZIZ ABDNUR IBRAHIM (auch bekannt als Koronto)

Das Berufungsgericht von Somalia hat am 3. März den Schuldspruch gegen Abdiaziz Abdnur Ibrahim wegen Verunglimpfung einer staatlichen Institution aufrechterhalten. Dieselbe Anklage gegen die Frau, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Sicherheitskräfte erhoben hatte, wurde aufgehoben.

Abdiaziz Abdnur Ibrahim war am 5. Februar wegen Verunglimpfung einer staatlichen Institution und einem weiteren Anklagepunkt nach der Scharia zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Am 3. März bestätigte das Berufungsgericht seinen Schuldspruch und setzte seine Haftstrafe auf sechs Monate herab. Die Frau, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Regierungskräfte erhoben hatte, sprach das Berufungsgericht von dem Verunglimpfungsvorwurf frei. Amnesty International betrachtet Abdiaziz Abdnur Ibrahim als gewaltlosen politischen Gefangenen, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung friedlich wahrgenommen hat. Das Gerichtsverfahren gründete sich auf ein unveröffentlichtes Interview mit der betroffenen Frau, das Abdiaziz Abdnur Ibrahim am 8. Januar geführt hatte, zwei Tage nach einem Beitrag des Fernsehsenders Al-Jazeera über Vergewaltigung und andere sexuelle Gewalt in Siedlungen für Binnenvertriebenen in der Hauptstadt Mogadischu. Die Frau hatte dem Journalisten berichtet, dass sie im August 2012 von Sicherheitskräften vergewaltigt worden sei. Abdiaziz Abdnur Ibrahim war an dem Al-Jazeera-Beitrag nicht beteiligt.

Es ist nicht klar, auf Grundlage welchen Gesetzes Abdiaziz Abdnur Ibrahim der Prozess gemacht wurde. Seine Verurteilung vom 5. Februar scheint das Ergebnis seiner vermeintlichen Beteiligung an der Al-Jazeera-Sendung gewesen zu sein. Der Richter des Berufungsgerichts erwähnte dies jedoch nicht und bezog sich stattdessen auf seinen mangelnden Respekt vor nationalen Gesetzen und dem somalischen Mediengesetz. Dieses Gesetz ist bislang nur ein Gesetzentwurf und noch nicht in Kraft. Der Richter nannte kein konkretes Gesetz, nach dem Abdiaziz Abdnur Ibrahim schuldig befunden wurde. Das Berufungsverfahren fand am 20. und 27. Februar statt. Die Verteidigung legte einen dokumentierten Nachweis darüber vor, dass Abdiaziz Abdnur Ibrahim nicht an dem Al-Jazeera-Beitrag vom 6. Januar beteiligt gewesen war. Sie rief darüber hinaus drei ZeugInnen auf, die die Anschuldigung der Frau erhärteten, sie sei vergewaltigt worden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Abdiaziz Abdnur Ibrahim befindet sich seit dem 10. Januar in Haft. Er hatte zuvor die mutmaßliche Vergewaltigung einer binnenvertriebenen Frau durch somalische Regierungskräfte untersucht. Am 18. Januar veröffentlichte die Regierung eine Erklärung, in der sie behauptete, die Vergewaltigungsvorwürfe der Frau, die Abdiaziz Abdnur Ibrahim interviewt hatte, seien falsch, und beschuldigte ihn, die Geschichte konstruiert zu haben. Die Behörden erklärten Abdiaziz Abdnur Ibrahim und die Frau bereits vor Beginn des Gerichtsverfahrens in der Presse für schuldig. Dies stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung dar, die ein grundlegender Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren ist. Das zentrale Ermittlungsdezernat hat mindestens drei weitere JournalistInnen in Zusammenhang mit dem Al Jazeera-Bericht verhört, unter anderem einen Radiojournalisten, der über Nacht in den Räumlichkeiten des nationalen Sicherheitsdienstes (National Security Agency) festgehalten worden war. Zudem wurde Daud Abdi Daud am 5. Februar festgenommen, nachdem er sich öffentlich mit den Worten "Journalisten haben das Recht, Menschen zu interviewen" über die Verurteilung von Abdiaziz Abdnur Ibrahim und der interviewten Frau geäußert hatte. Er wurde am 12. Februar wieder freigelassen. Im November 2012 erklärte Präsident Hassan Sheikh Mohamud, Sicherheitskräfte, die sich der Vergewaltigung schuldig machten, sollten zur Rechenschaft gezogen werden. Er forderte für diese Fälle die Todesstrafe. Amnesty International teilt die Ansicht, dass Vergewaltiger und andere Sexualstraftäter für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden müssen, spricht sich aber grundsätzlich gegen die Todesstrafe aus.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie auf, das Urteil gegen Abdiaziz Abdnur Ibrahim umgehend aufzuheben und ihn unverzüglich und bedingungslos freizulassen.
  • Mit Erleichterung habe ich erfahren, dass das Urteil gegen die betroffene Frau aufgehoben wurde. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass Sie verpflichtet sind, umfassende und unparteiliche Untersuchungen zu ihrem Vergewaltigungsvorwurf durchzuführen und den Überlebenden von Vergewaltigungen wirksamen Schutz zu gewähren.

APPELLE AN

PRÄSIDENT
H.E. Hassan Sheikh Mahamoud
c/o Director of the Somali Presidency Kamal Dahir Hassan
Office of the Presidency
Mogadishu
SOMALIA
(Anrede: His Excellency/ Exzellenz)
E-Mail: khassan@presidency.gov.so

PREMIERMINISTER
H.E. Abdiqaadir Farah Shirdoon
c/o Permanent Secretary Mohamoud H. Abdulle
Office of the Prime Minister
Mogadishu, SOMALIA
(Anrede: His Excellency/ Exzellenz)
E-Mail: mabdulle@opm.gov.so

PARLAMENTSSPRECHER
H.E. Mohamed Osman Jawari
Office of Parliament
Mogadishu, SOMALIA
(Anrede: Dear Speaker / Sehr geehrter Herr Jawari)
E-Mail: mojawa@online.no


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER REPUBLIK SOMALIA
S.E. Herrn Mohamud Mohamed Tifow
Postfach 100374
10563 Berlin
E-Mail: somalembassy@live.com


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Somali, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 17. April 2013 keine Appelle mehr zu verschicken. Weitere Informationen zu UA-009/2013 (AFR 52/001/2013, 18. Januar 2013, AFR 52/002/2013, 29. Januar 2013 und AFR 52/003/2013, 19. Februar 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to quash the conviction of Abdiaziz Abdnur Ibrahim and release him immediately and unconditionally.
  • Welcoming the fact that the woman's conviction has been overturned, and reminding the authorities that they are obliged to conduct comprehensive, impartial investigations into all allegations of rape and provide effective protection to rape survivors.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Es werden regelmäßig Fälle von Vergewaltigung oder anderer sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Flüchtlingssiedlungen für Binnenvertriebene in Mogadischu gemeldet. In manchen Fällen sollen die Täter Regierungsuniformen getragen haben.

Es liegt in der Verantwortung der Polizei, wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt zu ergreifen und sämtliche Vorwürfe der Vergewaltigung oder anderer sexueller Gewalt mit gebührender Sorgfalt zu untersuchen. Existiert genügend zulässiges Beweismaterial, muss der Fall vor Gericht gebracht und in einem fairen Prozess unter Ausschluss der Todesstrafe verhandelt werden. Zudem dürfen JournalistInnen, die solchen Vorwürfen nachgehen, nicht zum Ziel der Behörden werden.

In der Verhandlung vom 5. Februar legte die Staatsanwaltschaft keine Beweise vor, die eine Verurteilung in den genannten Anklagepunkten rechtfertigen. Unter anderem rief sie eine Krankenschwester in den Zeugenstand, die die Frau nicht untersucht hatte. Eine Hebamme sagte am 2. Februar, dem ersten Tag der Verhandlung, aus, sie sei zu dem Schluss gekommen, es habe keine Vergewaltigung stattgefunden. Sie hatte dazu den "Zwei-Finger-Test" durchgeführt, eine Praxis die aufgrund ihrer mangelnden medizinischen Stichhaltigkeit schon seit Langem angezweifelt wird. Der Richter verweigerte der Verteidigung, eigene ZeugInnen aufzurufen. Zudem durfte sie keine medizinischen Beweise vorlegen, um die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft zu widerlegen.

*

Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-009/2013-3, AI-Index: AFR 52/004/2013, Datum: 6. März 2013 - mr/cw
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Kampagnen und Kommunikation
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: ua-de@amnesty.de; info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2013