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AKTION/1486: Urgent Action - Marokko, Demonstranten in Haft gefoltert


ai - URGENT ACTION
UA-125/2013, Index: MDE 29/005/2013, 15. Mai 2013

Marokko
Demonstranten in Haft gefoltert



Sechs Sahrauis:
EL HUSSEIN BAH, 17 Jahre alt
YASSINE SIDATI, 22 Jahre alt
MOHAMED GARMIT, 22 Jahre alt
MOHAMED ALI SAIDI, 26 Jahre alt
ABDELAZIZ HRAMECH, 27 Jahre alt
YOUSSEF BOUZID, 31 Jahre alt

Am 9. Mai nahmen marokkanische Sicherheitskräfte in Laayoune in der Westsahara sechs sahrauische Männer fest, darunter auch einen Siebzehnjährigen. Die Männer hatten bei einer Protestveranstaltung die Selbstbestimmung der Westsahara gefordert. Sie sollen unter Folter "Geständnisse" abgelegt haben. Ihnen droht ein unfaires Gerichtsverfahren.

El Hussein Bah, Yassine Sidati, Mohamed Garmit, Mohamed Ali Saidi, Abdelaziz Hramech und Youssef Bouzid sollen am 9. Mai in den frühen Morgenstunden in ihren Wohnungen festgenommen worden sein. Berichten zufolge legten die Sicherheitskräfte keine Haft- oder Durchsuchungsbefehle vor, bevor sie die Männer in Polizeigewahrsam nahmen.

Die Festnahme der sechs Männer steht in Verbindung mit ihrer Teilnahme an einer Demonstration für die Selbstbestimmung der Westsahara. Die Demonstrierenden forderten unter anderem ein Referendum zu der Frage, ob die Westsahara unabhängig oder Teil Marokkos werden soll. Die Protestveranstaltung fand am 4. Mai in Laayoune statt, zehn Tage nach der Verlängerung des Mandates der UN-Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO) durch den UN-Sicherheitsrat, ohne dass dem Mandat allerdings eine Menschenrechtskomponente hinzugefügt wurde.

Am 12. Mai wurden die sechs inhaftierten Männer einem Untersuchungsrichter des Berufungsgerichts in Laayoune vorgeführt und wegen "Gewalt gegen Staatsbedienstete", "Teilnahme an einer bewaffneten Zusammenkunft", "Verkehrsbehinderung durch Gegenstände auf der Fahrbahn" und "Beschädigung öffentlichen Eigentums" angeklagt. Das marokkanische Strafgesetzbuch legt für diese Vergehen eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren fest. El Hussein Bah wurde am selben Tag gegen Kaution freigelassen, während die anderen fünf Männer im Lakhal-Gefängnis in Laayoune in Untersuchungshaft genommen wurden.

Der 17-jährige El Hussein Bah sagte gegenüber Amnesty International, dass er in Polizeigewahrsam gefoltert und mit Vergewaltigung bedroht wurde. Man habe ihn außerdem gezwungen, Papiere ungelesen zu unterschreiben, darunter auch ein "Geständnis". Seinen Aussagen zufolge drückten ihm PolizeibeamtInnen einen mit Urin getränkten Schwamm ins Gesicht, zogen ihm die Hose herunter und drohten ihm mit Vergewaltigung. Er gab außerdem an, der "Brathähnchen-Folter" ausgesetzt worden zu sein, bei der er mit über den Beinen zusammengebundenen Händen an einem unter den Knien durchgeschobenen Metallstab aufgehängt und in dieser Position geschlagen und verhört wurde. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge gaben alle sechs Männer dem Untersuchungsrichter gegenüber an, dass sie gefoltert und in anderer Weise misshandelt worden sind und auch ihre "Geständnisse" durch Folter erzwungen wurden. Laut Aussagen von El Hussein Bah wiesen einige der Männer sichtbare Prellungen, Handschellenabdrücke und Schwellungen auf. Er gab zudem an, während seiner Zeit in Polizeigewahrsam gehört zu haben, wie andere Häftlinge in separaten Zellen gefoltert oder auf andere Weise misshandelt wurden.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie auf, die inhaftierten Männer Yassine Sidati, Mohamed Garmit, Mohamed Ali Saidi, Abdelaziz Hramech und Youssef Bouzid human zu behandeln, sie vor weiterer Folter bzw. Misshandlung zu schützen und ihnen jede nötige medizinische Behandlung zu gewähren.
  • Ich bitte Sie eindringlich, unverzüglich eine umfassende, unabhängige und unparteiische Untersuchung der Vorwürfe einzuleiten, die sechs festgenommenen Sahrauis seien gefoltert und anderweitig misshandelt worden, und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.
  • Sorgen Sie bitte zudem dafür, dass unter Folter erzwungene "Geständnisse" keinesfalls in Gerichtsverfahren verwendet werden.
  • Bitte stellen Sie sicher, dass Familienangehörige von Häftlingen in vollem Umfang von ihrem Besuchsrecht Gebrauch machen können.

APPELLE AN

JUSTIZMINISTER
Mustafa Ramid
Ministry of Justice and Liberties
Place El Mamounia - BP 1015, Rabat, MAROKKO
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 212) 537 73 47 25

INNENMINISTER
Mohand Laenser
Ministry of Interior
Quartier Administratif, Rabat, MAROKKO
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 212) 537 76 68 61


KOPIEN AN

STAATLICHER MENSCHENRECHTSRAT
National Council for Human Rights
President Driss El Yazami
CNDH, Place Achouhada
BP 1341, 10 001 Rabat, MAROKKO
Fax: (00 212) 537 73 29 27

BOTSCHAFT DES KÖNIGREICHS MAROKKO
S. E. Herrn Mohammed Rachad Bouhlal
Niederwallstraße 39
10117 Berlin
Fax: 030-2061 2420
E-Mail: kontakt@botschaft-marokko.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Französisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 26. Juni 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Angesichts der Aussage der Männer, ihre "Geständnisse" seien durch Folter erzwungen worden, befürchtet Amnesty International, dass ihnen unfaire Gerichtsverfahren drohen. Durch Gewalt oder Zwang erwirkte "Geständnisse" sind rechtlich unwirksam sowohl gemäß Artikel 293 der marokkanischen Strafprozessordnung als auch laut Artikel 15 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, welches Marokko ratifiziert hat.

Die Familien von Yassine Sidati, Mohamed Garmit, Mohamed Ali Saidi, Abdelaziz Hramech und Youssef Bouzid durften am 13. Mai Berichten zufolge von ihrem Besuchsrecht nicht in vollem Umfang Gebrauch machen. Sie durften lediglich fünf Minuten lang und in Anwesenheit eines Gefängniswärters mit ihren inhaftierten Verwandten sprechen.

Der Demonstration in Laayoune am 4. Mai gingen zehn Tage voraus, an denen Menschen in ganz Westsahara für die Selbstbestimmung des Gebiets protestierten. Zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat das Mandat der UN-Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO) erneut verlängert. MINURSO wurde ursprünglich 1991 als Übergangslösung eingesetzt, um letztendlich ein Referendum über die Unabhängigkeit oder Integration der Westsahara herbeizuführen.

MINURSO ist eine der wenigen Missionen des Sicherheitsrats, die nicht über eine Menschenrechtskomponente verfügt. Die USA hatten sich dafür eingesetzt, in die Beschlussvorlage des Sicherheitsrats eine Menschenrechtskomponente einzufügen, dies kam jedoch nach Protesten der marokkanischen Regierung nicht zustande. Auch das Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte kann sich nicht für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen, da es in diesem Gebiet nicht vertreten ist.

Sahrauische AktivistInnen, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara einsetzen, wurden in den vergangenen Jahren in ihrer Arbeit eingeschränkt, u. a. durch Schikanierung, Überwachung durch Sicherheitskräfte, Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und manchmal sogar Strafverfolgung wegen mutmaßlicher Gefährdung der "inneren und äußeren Sicherheit" Marokkos. Zudem ist es ihnen nicht möglich, ihre Organisationen offiziell registrieren zu lassen, was auf offenbar politisch motivierte Verwaltungshindernisse zurückzuführen ist.

Häufig werden Sahrauis infolge von Demonstrationen für die Selbstbestimmung der Bevölkerung der Westsahara festgenommen, und viele von ihnen sollen beim Verhör durch die marokkanischen Sicherheitskräfte gefoltert oder anderweitig misshandelt worden sein. Diese Vorwürfe sind bisher jedoch nicht ordentlich untersucht worden. Vor Kurzem haben VertreterInnen von Amnesty International die Westsahara besucht und sich mit Demonstrierenden getroffen, die berichteten, am 25. und 26. April in Laayoune und am 28. April in Smara von Sicherheitskräften verletzt worden zu sein.

Berichte über unnötige und unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch marokkanische Sicherheitskräfte zur Auflösung von Demonstrationen werden sowohl durch Videoaufnahmen als auch durch Beobachtungen von Amnesty-VertreterInnen bestätigt, die persönlich gesehen haben, wie Sicherheitskräfte Protestierende am 27. April in Laayoune mit Steinen bewarfen.

Amnesty International fordert bereits seit einigen Jahren ein UN-Menschenrechtsüberwachungsgremium mit dem Mandat, Lager in der Westsahara und in Tindouf zu überprüfen, so dass unabhängig und unparteiisch über die dortige aktuelle Menschenrechtslage berichtet werden kann und Vorwürfe über Folter und andere Misshandlungen geprüft werden können. Ein solches Gremium wäre ein wichtiger Schritt zur Aufzeichnung von Menschenrechtsverletzungen, die ansonsten verborgen blieben, und würde gleichzeitig unbegründete Anschuldigungen in anderen Fällen verhindern.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the Moroccan authorities to ensure that the detainees are treated humanely, protected from further torture and other ill-treatment, have immediate access to all necessary medical care.
  • Calling on the Moroccan authorities to immediately open a full, independent and impartial investigation into allegations of torture and other ill-treatment of the six arrested Sahrawis, ensure that no "confession" obtained under torture is used in any proceedings and ensure that any officials responsible for abuse are brought to justice.
  • Calling on the Moroccan authorities to ensure that families of the detainees enjoy their full prison visiting rights.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-125/2013, Index: MDE 29/005/2013, 15. Mai 2013
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2013