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AKTION/790: Urgent Action - Russische Föderation - Mann im Nordkaukasus verschleppt


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-281/2011, AI-Index: EUR 46/039/2011, Datum: 16. September 2011 - gs

Russische Föderation
Mann im Nordkaukasus verschleppt


Herr AMIR CHANIEV

Der aus Inguschetien im Nordkaukasus stammende Amir Chaniev ist dem "Verschwindenlassen" zum Opfer gefallen. Er wurde zuletzt am 4. September 2011 gesehen, als 30 bis 40 Angehörige der Strafverfolgungsbehörden in der Wohnung seiner Familie eine Razzia durchführten und anschließend mit ihm fortfuhren. Am 5. September wurde seine Schwester Karina Chanieva ohne gesetzliche Grundlage verhaftet.

In den frühen Morgenstunden des 4. September 2011 drangen in Inguschetien in der Ortschaft Ordzhonikidzevskaia etwa 30 bis 40 bewaffnete und maskierte Angehörige der Strafverfolgungsbehörden in die Wohnung von Amir Chaniev ein. Sie trieben die Familie auf den Hof hinaus und durchsuchten die Wohnung. Anschließend befahlen sie Amir Chaniev, zwecks einer "Unterredung" mit ihnen zu kommen. Seine Familie hat ihn seither nicht mehr gesehen. Bis heute herrscht über den Aufenthaltsort von Amir Chaniev Ungewissheit.

Im weiteren Verlauf des 4. September 2011 wurden die Mutter von Amir Chaniev und seine 19 Jahre alte Schwester Karina Chanieva abgeholt und zur örtlichen Polizeiwache gebracht. Dort zeigte man ihnen das Photo eines Mannes, den Amir Chaniev ihrer Erinnerung nach am 3. September mit in die Wohnung gebracht hatte und der sich dort auch zum Zeitpunkt der Razzia aufgehalten hatte. Der Name dieses Mannes, so wurde den beiden Frauen mitgeteilt, stehe auf einer "Fahndungsliste" gesuchter Personen. Für die Familie ist es daher unverständlich, warum der Mann nicht während der Razzia festgenommen wurde.

Die Polizei ließ die Mutter von Amir Chaniev anschließend wieder frei, behielt allerdings seine Schwester Karina zu weiteren Vernehmungen auf der Wache. Nach Angaben der Familie wurde Karina Chaniev ohne Beisein eines Rechtsanwalts vernommen und zur Unterschrift unter ein Schriftstück gezwungen, das sie zuvor nicht hatte lesen dürfen. Die Familie berichtete, Karina Chaniev sei angedroht worden, dass sie ihren Bruder niemals mehr wiedersehen werde und ihre übrige Familie erschossen werde, sollte sie das Schriftstück nicht unterzeichnen. Aus Sorge um ihre Familie leistete Karina Chaniev daraufhin offenbar unter einige der Dokumente ihre Unterschrift. Zu dem Zeitpunkt war ein Pflichtverteidiger anwesend, der Karina Chaniev jedoch keinerlei Rat erteilte, wie sie sich verhalten soll. Nachdem sie ihre Unterschrift geleistet hatte, verließ der Rechtsanwalt umgehend den Raum. Karina Chaniev befindet sich weiterhin in Haft und soll misshandelt worden sein.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Inguschetien und der Großraum Nordkaukasus werden regelmäßig von Gewalttaten erschüttert; die Sicherheitslage ist instabil. Neben den Strafverfolgungsbehörden ist auch die Zivilbevölkerung immer wieder das Ziel von Anschlägen, die von bewaffneten Gruppen verübt werden. Die Behörden setzen zur Bekämpfung dieser Gewalttaten fast ausschließlich Strafverfolgungskräfte ein (Angehörige der Polizei, der Staatssicherheit und des Militärs), die weder transparent agieren noch öffentlich Rechenschaft über ihre Handlungen ablegen. Oftmals führen Angehörige der Strafverfolgungsorgane auch verdeckte Ermittlungen im Rahmen sogenannter "Antiterrormaßnahmen" durch. Vorwürfe, dass Angehörige der Strafverfolgungsbehörden straffrei bleiben, wenn sie rechtswidrige Methoden anwenden und in Inguschetien und dem gesamten Nordkaukasus systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen, sind weit verbreitet. Aus der Region werden regelmäßig Fälle von "Verschwindenlassen", rechtswidriger Haft, Folter, Misshandlungen sowie außergerichtliche Hinrichtungen gemeldet.

Amnesty International hat zahlreiche Berichte aus Inguschetien erhalten, denen zufolge maskierte Angehörige der Sicherheitsbehörden Menschen, die sich in ihren Häusern oder auf der Straße aufhalten, festnehmen. Dabei weisen sie sich weder aus noch nennen sie den Grund für die Festnahme oder geben an, wohin die Betroffenen gebracht werden. In einigen Fällen räumten die Behörden im Nachhinein ein, dass die Festnahmen von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden vorgenommen worden waren; in der Mehrheit der Fälle bleiben die Betroffenen jedoch dauerhaft "verschwunden". Es erfolgt keine Untersuchung und Ermittlung der Aufenthaltsorte seitens der Behörden. Einige der "Verschwundenen" werden später tot aufgefunden. Es sind Fälle bekannt geworden, in denen die Behörden behaupteten, "Verschwundene" hätten sich bewaffneten Widerstandsgruppen angeschlossen und seien bei Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften erschossen worden. Allerdings liegen auch Hinweise darauf vor, dass Menschen gefoltert und anschließend außergerichtlich hingerichtet worden sind.

Nach wie vor treffen bei Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen Meldungen über Folterungen und Misshandlungen an Häftlingen und an Personen ein, gegen die polizeiliche Ermittlungen anhängig sind. Aus den Berichten ist ersichtlich, dass Menschen häufig mit dem Ziel gefoltert oder misshandelt werden, ein "Geständnis" zu unterschreiben oder andere straftatverdächtige Personen zu belasten.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie auf, unverzüglich eine umfassende und unabhängige Untersuchung des "Verschwindens" von Amir Chaniev durchzuführen, seinen Verbleib umgehend aufzuklären und seine Sicherheit zu gewährleisten.

- Sollte sich Amir Chaniev im Gewahrsam der Sicherheitskräfte befinden, lassen Sie ihn bitte mit sofortiger Wirkung frei, sofern er nicht einer erkennbar strafbaren Handlung angeklagt wird. Gewähren Sie ihm außerdem Zugang zu einem Rechtsbeistand.

- Stellen Sie bitte sicher, dass die Karina Chanieva zustehenden Rechte gewahrt werden. Dazu zählt auch, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung anfechten zu können.


APPELLE AN

PRÄSIDENT DER REPUBLIK INGUSCHETIEN
Yunus-Bek B. Yevkurov
Administration of the Head of the Republic of Ingushetia
Pr. Zyazikova,12, 386000 Magas
Republik Inguschetien
RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Head of the Republic of Ingushetia/ Sehr geehrter Präsident von Inguschetien)
Fax (00 7) 873 455 11 29

INNENMINISTER DER REPUBLIK INGUSCHETIEN
Aleksandr E. Trofimov
Ministry of Internal Affairs of the Republic of Ingushetia
ul. Kulieva, 14, Magas 386000
Republik Inguschetien
RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Innenminister)
Fax: (00 7) 873 455 01 28
E-Mail: oios-mvd-ri@yandex.ru

STAATSANWALT DER REPUBLIK INGUSCHETIEN
Yurii Ya. Chaika
ul. B.Dimitrovka, d. 15a
Moscow
GSP-3, 107048
RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Prosecutor General)
Fax: (00 7) 495 692 17 25
E-Mail: prgenproc@gov.ru

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 28. Oktober 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urge the authorities to conduct an immediate, effective and impartial investigation into the enforced disappearance of Amir Chaniev and promptly establish his whereabouts and ensure his safety.

- Highlight that if he is held by one of the law enforcement agencies he must either be charged with a recognizable offence and granted access to a lawyer, or immediately released.

- Urge the authorities to ensure that Karina Chanieva's rights are observed including her right to challenge the lawfulness of her arrest.


*


Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-281/2011, AI-Index: EUR 46/039/2011, Datum: 16. September 2011 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2011