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AKTION/921: Urgent Action - Nigeria - Hunderten droht die Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-043/2012, AI-Index: AFR 44/006/2012, Datum: 9.2.12 - ar

Nigeria
Hunderten droht die Zwangsräumung


HUNDERTE MENSCHEN in Port Harcourt

Hunderte Menschen sind in Port Harcourt von der Zwangsräumung bedroht. Der Gouverneur des nigerianischen Bundesstaates Rivers hat den AnwohnerInnen mitgeteilt, dass ihre Unterkünfte abgerissen würden. Etwa 15 Gebäude sind bereits abgerissen worden, wodurch über 100 Personen obdachlos wurden. Der Gouverneur des Bundesstaates Rivers teilte den BewohnerInnen einer Siedlung entlang einer stillgelegten Bahntrasse am 6. Februar mit, dass sie sieben Tage Zeit hätten, ihre Wohnstätten zu verlassen, bevor diese abgerissen würden. Bezüglich des Abrissvorhabens wurde keine Konsultation mit den AnwohnerInnen durchgeführt, und auch schriftliche Räumungsbefehle wurden nicht vorgelegt. Außerdem ist keine alternative Unterbringungsmöglichkeit und keinerlei Entschädigung vorgesehen. Wenn ihre Unterkünfte wie geplant abgerissen werden, werden die BewohnerInnen obdachlos und laufen zudem Gefahr, in anderer Weise in ihren Menschenrechten verletzt zu werden.

Es liegen keine offiziellen Informationen darüber vor, wie viele Menschen entlang der Bahntrasse leben, aber es wird geschätzt, dass sich die Bewohnerzahl auf etwa 200 Personen beläuft. Einige dieser Menschen leben bereits seit den 1990er Jahren dort und KleinunternehmerInnen und HändlerInnen tragen zum Gemeindeleben bei. Die Behörden des Bundesstaates Rivers informierten die BewohnerInnen der Siedlung nicht über die Gründe für das Abrissvorhaben und zerstörten dort bereits am 27. Januar etwa 13 Häuser und zwei Kirchengebäude. Die AnwohnerInnen wurden erst am 20. Januar mündlich über das Vorhaben in Kenntnis gesetzt, als sie Berichten zufolge vom Gouverneur aufgefordert wurden, innerhalb von sieben Tagen ihre Wohnstätten zu räumen, da diese danach abgerissen würden. Am 23. Januar erschienen BeamtInnen der Kommission für Stadtentwicklung in Begleitung bewaffneter Sicherheits- und Streitkräfte in der Gemeinde und teilten den BewohnerInnen mit, dass bald Planierraupen anrücken würden und sie das Gelände verlassen sollten. Am 27. Januar tauchten bewaffnete PolizistInnen und SoldatInnen und eine Planierraupe auf, und die Gebäude wurden abgerissen. Den BewohnerInnen zufolge wurden über 100 Menschen obdachlos. Viele mussten auf der Straße schlafen oder bei FreundInnen und Verwandten in den noch erhaltenen Unterkünften unterkommen. Drei Wochen nach dem Vorfall sind für die vertriebenen Personen weder alternative Unterkünfte gefunden worden, noch haben sie Notfallhilfe oder eine Entschädigung erhalten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Viele BewohnerInnen der Siedlung entlang der Bahntrasse leisteten regelmäßige Zahlungen an die nigerianische Eisenbahngesellschaft, um dort wohnen zu dürfen, und besaßen außerdem eine Gebäudenutzungsbescheinigung für die jeweiligen Bauten, die ihnen von der Eisenbahngesellschaft selbst ausgestellt worden war und ihr Wohnen dort legalisierte.

Am 28. August 2009 wurde im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms die informelle Siedlung Njemanze in Port Harcourt abgerissen. Schätzungsweise wurden dabei bis zu 17.000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Die BewohnerInnen wurden zuvor weder angemessen konsultiert nocht mit ausreichend Vorlauf über die bevorstehende Räumung informiert. Sie erhielten darüber hinaus keine Entschädigungen, es wurden keine alternativen Unterkünfte bereitgestellt und die Betroffenen hatten keinen Zugang zu angemessenen Rechtsmitteln. Tausende Personen, darunter auch Kinder und ältere Menschen, wurden obdachlos und sahen ihre Menschenrechte in vielfacher Weise bedroht. Zwei Jahre nach der Vertreibung hat sich die Situation für viele Betroffene noch nicht gebessert. Einige sind nach wie vor obdachlos, darunter auch kleine Jungen, die nun unter einer Straßenüberführung leben. Andere haben sich ganz in der Nähe im Hafengebiet niedergelassen, finden aber nach dem Verlust ihrer Lebensgrundlage nur schwer eine neue Erwerbsmöglichkeit. In den Hafenvierteln von Port Harcourt sind sehr viele Abrissvorhaben geplant, obwohl die Behörden in der Vergangenheit zugesichert hatten, keine Zwangsräumungen vorzunehmen. Die Regionalregierung des Bundesstaates Rivers hält den Abriss der Bauten im Hafengebiet für notwendig zur Umsetzung des Strategiepapiers für die geplante Neugestaltung der Stadt im Rahmen des sogenannten "Greater Port Harcourt Master Plan". Dieser Plan war jedoch ohne Beteiligung der betroffenen Personen ausgearbeitet worden. Der Gouverneur des Bundesstaates hat sich wiederholt dahingehend geäußert, dass "die Abrissvorhaben die Stadt säubern und kriminelle Aktivitäten eindämmen [werden]". Tausende Menschen sind bereits unter Zwang aus ihren Wohnstätten vertrieben worden, und mehr als 200.000 weiteren Personen droht die Zwangsräumung.

Nigeria ist aufgrund einer Reihe von Menschenrechtsabkommen wie dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Afrikanischen Charta über Menschenrechte und Rechte der Völker dazu verpflichtet, rechtswidrige Zwangsräumungen zu unterlassen und ihre BürgerInnen davor zu schützen. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte betont, dass Zwangsräumungen nur dann stattfinden dürfen, wenn alle anderen Alternativen ausgeschöpft wurden und angemessene verfahrenstechnische und rechtliche Schutzmaßnahmen getroffen wurden. Dazu gehören die wirkliche Konsultation der Betroffenen, die angemessene und rechtzeitige Ankündigung, angemessene alternative Unterkünfte und Entschädigung für alle Verluste, Schutzmaßnahmen hinsichtlich der Durchführung von Zwangsräumungen sowie der Zugang zu Rechtsschutz und rechtlichen Verfahren einschließlich Prozesskostenhilfe, falls nötig.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Bitte stellen Sie dringend alle rechtswidrigen Zwangsräumungen ein.

- Setzen Sie alle weiteren geplanten Räumungen aus, bis angemessene rechtliche und praktische Schutzmaßnahmen getroffen wurden.

- Sorgen Sie bitte dafür, dass die Menschen, die aus ihren Wohnungen an der alten Bahntrasse vertrieben worden sind, eine alternative Unterkunft bekommen und Notversorgung wie Nahrung und Wasser sowie Sanitär- und Gesundheitsversorgung erhalten.


APPELLE AN

GOUVERNEUR DES BUNDESSTAATES RIVERS
Chibuike Rotimi Amaechi
Office of the Governor, Government House
Port Harcourt, Rivers State, NIGERIA
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Facebook-Profil
http://www.facebook.com/#!/ChibuikeAmaechi
Twitter: @ChibuikeAmaechi

KOPIEN AN

GESCHÄFTSFÜHRER DER NIGERIANISCHEN EISENBAHNGESELLSCHAFT (NRC)
PMB 1037, Ebute Metta, Lagos, NIGERIA
Fax: (00 234) 1583 1367

MINISTERIN FÜR WOHNRAUM UND STADTENTWICKLUNG
Ms Ammal Pepple
Federal Ministry of Lands, Housing and Urban Development, Mabushi, Abuja, NIGERIA

BOTSCHAFT DER BUNDESREPUBLIK NIGERIA
S.E. Herrn Abdu Usman Abubakar
Neue Jakobstraße 4, 10179 Berlin
Fax: 030-2123 0164
E-Mail: info@nigeriaembassygermany.org


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. März 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Call on the authorities to stop all forced evictions, as a matter of urgency.

- Urge them to suspend future evictions until adequate legal and practical safeguards are in place.

- Urge them to ensure that people living along the railway who have already been evicted are provided with adequate alternative housing and emergency relief, including food, water, sanitation and health care services.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die Regierung muss darüber hinaus sicherstellen, dass niemand obdachlos wird oder aufgrund der Räumung anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wird. Die Bestimmungen sind bei allen Räumungen einzuhalten, unabhängig vom Miet- oder Eigentumsstatus der BewohnerInnen, und gelten auch für Menschen, die in informellen Siedlungen leben.

Kapitel 2 der nigerianischen Verfassung von 1999, Abschnitt 16 (2) (d) verpflichtet den Staat, passende und angemessene Unterkunft für alle Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Doch wie auch andere Richtlinien zu sozialen und wirtschaftlichen Rechten fällt diese Bestimmung unter die "leitenden Prinzipien" der Verfassung. Als solche ist sie nicht justiziabel und deshalb vor den nigerianischen Gerichten nicht einklagbar. Die Bestimmungen in Kapitel 4 der Verfassung garantieren jedoch das Recht auf den Erwerb von Wohnraum und das Recht auf Privatsphäre in diesem Wohnraum.

Laut dem Gesetz zur Nutzung von Land aus dem Jahr 1978 ist es gesetzmäßig, das Belegungsrecht zu widerrufen, wenn es dem übergeordneten öffentlichen Interesse dient. Das Gesetz sieht die Zahlung von Entschädigung vor, und im Falle von Wohngebäuden die Möglichkeit einer Umsiedlung. Nach nigerianischem Recht sind weder Zwangsräumungen verboten noch gibt es ein Recht auf angemessenes Wohnen.

Wenn Sie neben einem Appellbrief an die Behörden zusätzlich Ihre Solidarität mit den betroffenen Menschen in den Hafengebieten von Port Harcourt ausdrücken möchten, können Sie die Kampagne "People Live Here" im Internet unterstützen:

Webseite der Kampagne:
http://www.people-live-here.org/

Facebook-Profil der Kampagne:
http://www.facebook.com/peoplelivehere?sk=info


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-043/2012, AI-Index: AFR 44/006/2012, Datum: 9.2.12 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2012