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ASIEN/207: Gewerkschafter in Kambodscha leben gefährlich (ai journal)


amnesty journal 7-8/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Unter Beschuss
Gewerkschafter in Kambodscha leben gefährlich. Sie müssen Übergriffe und Morde befürchten, wenn sie sich für faire Arbeitsbedingungen einsetzen.

Von Christina Motejl


Hy Vuthy war nach einer Nachtschicht in einer Textilfabrik auf dem Weg nach Hause, als er auf seinem Motorrad erschossen wurde. Die Täter entkamen unerkannt. Der 36-Jährige war Vorsitzender der Gewerkschaft "Free Trade Union of Workers in the Kingdom of Cambodia" in der Suntex-Fabrik in Phnom Penh. Kurz zuvor hatte er für seine Kollegen einen freien Tag zum kambodschanischen Neujahrsfest ausgehandelt. Der Anschlag auf Hy Vuthy ist der dritte Mord an einem Funktionär der Gewerkschaft innerhalb von drei Jahren. Chea Vichea, der damalige Präsident der Gewerkschaft, wurde im Januar 2004 auf offener Straße in Phnom Penh von zwei Männern auf einem Motorrad erschossen, nachdem er mehrere Morddrohungen erhalten hatte. Der Gewerkschaftsführer Ros Sovannareth wurde am 24. Mai 2004 getötet.

Die Morde geschehen immer nach dem gleichen Schema: Mehrere bewaffnete Männer auf Motorrädern stürzen sich auf die Opfer. Bislang wurde keiner der Fälle aufgeklärt. Lediglich im Fall von Chea Vichea präsentierte die Regierung nach internationalem Druck zwei Männer als Tatverdächtige. Obwohl die beiden ein glaubhaftes Alibi hatten, durften weder Zeugen dieses vor Gericht bestätigen, noch ihre Rechtsanwälte die Zeugen der Anklage ins Kreuzverhör nehmen. Im August 2005 wurden die Angeklagten zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. ai geht davon aus, dass die Schuldigen für den Mord an Chea Vichea noch nicht zur Rechenschaft gezogen wurden und setzte sich letztes Jahr mit einer Eilaktion für die Freilassung der beiden Männer ein.

In der kambodschanischen Verfassung von 1993 ist zwar das Recht verankert, Vereinigungen wie eine Gewerkschaft zu gründen. Die Situation in den Fabriken ist dennoch prekär: Überstunden und unregelmäßige Bezahlung sind normal, die Arbeitsbedingungen in den zumeist stickigen und heißen Hallen miserabel. Wer sich in einer Gewerkschaft engagiert, läuft Gefahr, entlassen zu werden.

So verlor Chea Vichea seinen Arbeitsplatz, weil er sich für den Aufbau einer Gewerkschaftsvertretung engagiert hatte. In den letzten Jahren wurden mehrere Mitglieder, die sich für bessere Arbeitsbedingungen und faire Arbeitsverträge einsetzten, Ziel gewaltsamer Attacken - andere, wie die führenden Funktionäre der Gewerkschaft, wurden ermordet.

Die mangelnde Aktivität der Behörden und der Justiz ist Ausdruck eines Klimas der Straflosigkeit in Kambodscha, das ai seit längerem kritisiert. Viele Unternehmer finanzieren die Kampagnen von Politikern und hoffen im Gegenzug auf politische Gefälligkeiten. Wegen der schlecht ausgebauten Verkehrswege wird in Kambodscha rund 25 Prozent teurer produziert als in China. Die Unternehmen sind daher starkem Konkurrenzdruck ausgesetzt. Durch die schlechten Arbeitsverhältnisse, die Einschüchterung von Gewerkschaftern und mit Hilfe korrupter Behörden lassen sich die Gewinnmargen erhöhen.

ai fordert von der Regierung, das Recht auf Vereinigungsfreiheit zu schützen. Gewerkschaftliches Engagement darf nicht durch gewaltsame Einschüchterung verhindert werden. Damit sich Gewerkschafter in Kambodscha aber für gerechte Arbeitsbedingungen einsetzen können, ist eine objektive und unabhängige Untersuchung der Morde und Misshandlungen dringend nötig.

Die Witwe von Hy Vuthy fürchtet indes um ihr Leben. Maskierte Motorradfahrer haben während der Beerdigung ihres Mannes Steine auf ihr Haus geworfen und sie beschattet. Die Angst ist allgegenwärtig. Mehrere Arbeiter haben die Gewerkschaft bereits verlassen.


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Quelle:
amnesty journal, Juli/August 2007, S. 37
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2007