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EUROPA/203: Rassismus in der EU (amnesty journal)


amnesty journal 12/2006 - Das Magazin für die Menschenrechte

Das Recht, anders zu sein
Rassismus in der EU ist ein wichtiges Thema für die deutsche Präsidentschaft

Von Stefan Kessler


In den offiziellen Plänen der Bundesregierung für die Zeit ihrer EU- Präsidentschaft kommen Menschenrechte nur am Rande vor - und der Kampf gegen Rassismus überhaupt nicht. Obwohl gerade hier einiges dringend angepackt werden müsste.

In Deutschland müssen dunkelhäutige Kinder Angst haben, auf der Straße zusammengeschlagen zu werden. Ausgrenzung und Diskriminierung wegen Hautfarbe oder ethnischer Herkunft sind für viele Menschen hier trauriger Alltag. Die amtlichen Zahlen über rechtsextremistische Gewalttaten haben in diesem Jahr bedrohliche Höhen erklommen. So registrierte das Bundesinnenministerium in den ersten acht Monaten diesen Jahres über 8.000 rechstextremistische Straftaten. Das sind 20 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Die deutsche Politik antwortet darauf meistens mit Phrasen. Nur mit Müh' und Not konnte ein Antidiskriminierungsgesetz kürzlich die parlamentarischen Hürden nehmen, obwohl es schon seit Jahren überfällig war. Der schon im September 2001 (!) versprochene Nationale Aktionsplan gegen Rassismus lässt immer noch auf sich warten. Und hat jemand etwas von der Bundesregierung zu der im Juni 2006 begonnenen Kampagne des Europarates "All different - all equal" gehört? Ganz zu schweigen davon, dass Organisationen und Initiativen, die mühevolle Arbeit vor Ort leisten, nicht etwa massiv gefördert werden. Im Gegenteil: Sie müssen künftig um ihre Zuschüsse bangen.

Aber auch in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union leiden Menschen unter rassistischer Ausgrenzung. In Griechenland und vielen Staaten des Westbalkan werden Angehörige der Roma von fundamentalen sozialen Rechten ausgeschlossen. Ende vergangenen Jahres wurde Griechenland wegen rassistischer Übergriffe sogar durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt: In den Fällen zweier griechischer Roma, die 1998 festgenommen und zur Polizeistation von Mesolonghi gebracht worden waren, wo Beamte unter anderem mit Schlagstöcken und einer Eisenstange auf sie einprügelten, kommt das Urteil zu dem Ergebnis, dass die beiden Roma von der Polizei unmenschlich und erniedrigend behandelt worden waren. Der Gerichtshof sah es außerdem als erwiesen an, dass es die Behörden unterlassen hatten, den Vorfall sowie mögliche rassistische Beweggründe, die Anlass zur Tat gegeben haben könnten, eingehend zu untersuchen.

Aus Bulgarien und Rumänien liegen Berichte über Misshandlungen an minderjährigen Roma vor. In Estland und Lettland beklagen sich Angehörige der russischsprachigen Bevölkerungsgruppe über ethnische Diskriminierung, die ihnen den Zugang zu wichtigen sozialen oder kulturellen Rechten verwehrt.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist beim Thema "Rassismus" zum Handeln verpflichtet. Der beliebte Slogan, Europa sei ein "Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts" muss für alle Menschen, die in der EU leben, Geltung besitzen. Dazu gehört nicht nur die Verfolgung echter oder vermeintlicher Terroristen, sondern auch der Schutz vor rassistischen Übergriffen. Recht und Freiheit werden erst dann verwirklicht sein, wenn Menschen nicht mehr auf Grund ihrer "Andersartigkeit" von ihren Rechten ausgeschlossen werden können.

Der Autor ist Vorstandssprecher der deutschen ai-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2006, S. 17
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick am 3. Januar 2007