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EUROPA/205: Europäische Menschenrechtspolitik (amnesty journal)


amnesty journal 12/2006 - Das Magazin für die Menschenrechte

Die "EU-Brille"

Von Frank Johansson


Seit fünf Monaten begleitet ai-Finnland die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union ihrer Regierung. Alle Menschenrechtsthemen mussten unter europäischen Gesichtspunkten betrachtet werden.


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Als der finnische Premierminister Matti Vanhanen die Präsidentschaft der Europäischen Union am 1. Juli 2006 übernahm, stand für ihn ein wichtiger Punkt auf der Agenda der nächsten sechs Monate: Die stockenden Verhandlungen für ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland sollten vorangetrieben werden.

Für eine Menschenrechtsorganisation wie ai sind andere Themen von größerer Bedeutung: Als sich Wladimir Putin zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in der durch Skisport bekannt gewordenen Stadt Lahti ankündigte, wandte sich ai an Vanhanen und setzte sich dafür ein, dass auch Menschenrechtsprobleme in Russland thematisiert wurden. Neben der Lobbyarbeit startete amnesty international Petitionen z.B. zu "Verschwundenen" in Tschetschenien und zum neuen NGO-Gesetz.

Die EU-Ratspräsidentschaft war für die finnische Sektion von ai ein bedeutendes Ereignis: Zum einen, weil die Europäische Union ein wichtiger Akteur für internationale Menschenrechtsthemen ist. Zum anderen, weil die EU-Menschenrechtspolitik auch wegweisende Akzente für die jeweilige nationale Politik setzt. Alle Themen der Arbeit von amnesty international in einen europäischen Kontext einzuordnen, egal ob es dabei um Straflosigkeit, zivile Krisenprävention und Krisenmanagement oder die Todesstrafe geht, war eine große Herausforderung.

Der Einfluss von amnesty international kann sehr stark sein: In der Vorbereitung auf das chinesisch-europäische Gipfeltreffen im September in Helsinki wandte sich ai in einem Brief an Premierminister Vanhanen, listete Menschenrechtsverletzungen Chinas auf und bat den EU-Ratspräsidenten darum, diese auf die Tagesordnung zu setzen. Daraufhin wurden alle genannten Punkte während des Gipfeltreffens angesprochen. Welchen Stellenwert dieses Thema auf dem Treffen eingenommen hatte, zeigte sich auf der abschließenden Pressekonferenz. Etwa die Hälfte der Zeit sprachen die Teilnehmer über die Todesstrafe in China und andere Menschenrechtsverletzungen - ein in dieser Konstellation mehr als ungewöhnliches Ergebnis.

So wurde sichergestellt, dass der Schutz der Menschenrechte nicht von den Tagesordnungen verdrängt werden konnte. Und dies ist eine der zentralen Aufgabe von amnesty international.

Während der finnischen EU-Ratspräsidentschaft sollte sowohl der Mitgliedschaft von ai als auch der breiten Öffentlichkeit gezeigt werden, was die Europäische Union für den Schutz der Menschenrechte tun kann und welche Mängel die europäische Menschenrechtspolitik hat. Die Menschenrechte müssen nicht nur innerhalb der europäischen Grenzen, sondern auch in den Beziehungen der EU gegenüber Drittstaaten eine wichtige Rolle spielen. Aus diesen zwei Themenblöcken wurden in den letzten Monaten einzelne Aspekte herausgegriffen und gezielt dazu gearbeitet: Neben der Lobbyarbeit wurden auch öffentliche Aktionen durchgeführt, Medien- und Kampagnenarbeit geleistet.

Die Begleitung der EU-Ratspräsidentschaft ist eine umfassende und anspruchsvolle Aufgabe, die in wenigen Wochen an Deutschland weitergegeben wird. Dann warten auf die deutsche Sektion von amnesty international viele neue Herausforderungen.

Der Autor ist Direktor der finnischen Sektion von ai.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2006, S. 19
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

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veröffentlicht im Schattenblick am 5. Januar 2007