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EUROPA/217: Keine Menschenrechte für Arbeitsmigranten in Spanien (ai journal)


amnesty journal 2/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Gekentert im Plastikmeer

Von Shelina Islam


In den Gewächshäusern Südspaniens schuften afrikanische Arbeitsmigranten, denen die fundamentalsten Menschenrechte verwehrt werden.

Es ist sieben Uhr morgens im südspanischen El Ejido. Der Boulevard am Ortsausgang liegt im gelben Licht der Nachtlaternen, die Rollläden der Häuser und Geschäfte sind noch geschlossen. Kaum einer sieht das Schattenspiel, das sich allmorgendlich vor den Fenstern neu inszeniert. Aus dem Schutz der Dunkelheit tauchen sie auf, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, stumm, unauffällig. Geländewagen fahren im Schritttempo den Boulevard hinauf, einer hält vor einer versprengten Gruppe. Ein Fenster wird heruntergekurbelt, Bewegung kommt in die Wartenden. Ein kurzer Wortwechsel, sie steigen ein, und der Wagen entfernt sich so lautlos, wie er gekommen ist. Als der Tag anbricht, sind die Immigranten aus der Stadt verschwunden.

Täglich warten im Intensivanbaugebiet von Almeria tausende Tagelöhner auf ihre Anwerbung durch die Patrónes, um in einem der Gewächshäuser einen Tagesjob als Erntehelfer zu ergattern. Die meisten von ihnen sind papierlose Immigranten aus dem Maghreb oder Ländern südlich der Sahara, die in Booten vor den Kanarischen Inseln aufgegriffen werden. Nur selten protestieren sie nach den durchgestandenen Strapazen gegen die Lebensbedingungen, die sie erwarten, wenn sie spanisches Festland erreichen. Doch was sich für die Produzenten als gutes Geschäft mit billiger Arbeitskraft herausstellt, bezahlen die Immigranten teuer. Und dem Endverbraucher ist selten klar, unter welchen Produktionsbedingungen die günstigen Obst- und Gemüseangebote in seinem Supermarkt zustande gekommen sind.

Auch Abdelkader Chacha kam vor dreißig Jahren aus Marokko nach Almeria, um in den Gewächshäusern zu arbeiten. Heute ist er Mitarbeiter der Landarbeitergewerkschaft SOC, die sich für die Rechte der papierlosen Arbeitsimmigranten einsetzt und gegen ihre Ausbeutung durch die Unternehmer kämpft. "Die Immigranten, die unter dem Plastik arbeiten, sind die Sklaven von heute. Die Bauern verdienen ihr gutes Geld an uns, aber sie behandeln uns wie Dreck." Abdelkaders Blick schweift über die schmutzigweißen Plastikplanen, die um die Mittagszeit träge im heißen Wind flattern. Wolkenverhangene Berge begrenzen das Meer aus Plastik, das sich bis in die Ausläufer der Sierra de Gádor hinaufschiebt. Lastwagen aus dem südspanischen Anbaugebiet rollen täglich über die Autobahnen Richtung Norden, um deutsche Supermärkte mit billigem Obst und Gemüse zu beliefern.

Mittlerweile werden 350 Quadratkilometer der Provinz Almeria von den Treibhausplantagen bedeckt. Mitten im so genannten Plastikmeer liegt die Kleinstadt El Ejido mit ihren sauberen Straßen, Glasfassaden und Blumenrabatten. Sie zeugen von einem Reichtum, den die Gewächshauskultur vor 25 Jahren in die ehemals ärmste Region Spaniens brachte. Heute zählt El Ejido 76.000 Einwohner und verfügt über eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen des Landes. Etwa 80.000 Immigranten, die Hälfte davon Papierlose, tragen in der Region Almeria entscheidend zum spanischen Gemüseexport bei. Sie bilden einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung, doch sie leben an den Rändern der Städte.

Rassismus und Xenophobie haben in El Ejido Angst und Hass geschürt, die sich im Februar 2000 in Gewalt entluden. Drei Nächte lang zog ein Mob vermummter Bauern und Jugendlicher plündernd und brandschatzend durch die Stadt, nachdem ein geistig verwirrter Marokkaner eine junge Spanierin getötet hatte. Mit Baseballschlägern und Eisenstangen bewaffnet jagten die Angreifer die Immigranten durch die Straßen und setzten ihre Häuser in Brand. Die Polizei schritt erst ein, als die Schläger drohten, eine Gruppe Marokkaner zu lynchen, die in einer Cafeteria Zuflucht gesucht hatte. Bis dahin waren die Einsatzkräfte der strikten Anweisung gefolgt, nicht einzugreifen. "Die Immigranten sind hier nicht gern gesehen", erklärt Abdelkader.

Auch die Mitarbeiter der Gewerkschaft sind immer wieder Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Bei einem Übergriff erstachen Jugendliche im letzten Jahr den 40-jährigen Azzouz Hosni, als dieser eine Bar verließ. Der Marokkaner war Mitglied bei der SOC. Die Gewerkschafter vermuten, dass es sich bei dem Mord um eine politische Tat gehandelt habe.

El Ejidos Bürgermeister Juan Enciso Ruiz von der konservativen Partido Popular wird nicht müde, seinen Leitspruch zu zitieren: Immigranten ja. Aber außerhalb der Stadt.

Außerhalb der Stadt, das ist zwischen den Gewächshäusern. Jeden Abend kehren diejenigen, die tagsüber Arbeit gefunden haben, in ihre Unterkünfte im Plastikmeer zurück. Enciso Ruiz, der seit über zehn Jahren seinen Sitz im Rathaus hält, lächelt von Werbeplakaten auf sie herunter. "Vertraue dem, der dir nie den Rücken zuwenden wird - 100 Prozent im Interesse der Stadt." Ein paar Meter weiter das Zuhause derer, die Enciso am liebsten aus seinem Blickfeld verbannt wüsste: Auf einem verlassenen Platz, der als Müllabladefläche dient, haben marokkanische Arbeiter Hütten aus notdürftig zusammengezimmerten Paletten gebaut. Draußen schwelt eine Feuerstelle, der Gestank nach verfaultem Gemüse liegt in der Luft. Trinkwasser und Elektrizität gibt es hier nicht.

Die Elendsbehausungen der Immigranten sind der lokalen Regierung ein Dorn im Auge. Im vergangenen März unterschrieb Evangelina Naranjo, Ratsmitglied der Gemeindeverwaltung von El Ejido, gemeinsam mit Bürgermeistern der Region ein Protokoll zur Räumung illegaler Siedlungen und kündigte an, das Entstehen neuer Chabolas zu verhindern. Stunden später rollte ein Bagger in eine Chabola-Siedlung nahe El Ejido und zerstörte die Behausungen von fünfzehn Immigranten. Als die Bewohner von der Arbeit kamen, fanden sie ihre Habseligkeiten unter den Trümmern begraben. "So was passiert hier so häufig, dass wir schon fast daran gewöhnt sind", sagt Abdelkader.

Lehrer, Bauern, Fischer, Studenten - egal, welchem Beruf die Immigranten in ihrem Herkunftsland nachgingen, hier durchleben alle dasselbe. "An den Gewächshäusern kommst du nicht vorbei, sie sind für die Papierlosen das Tor nach Spanien. Nur hier wird es von offizieller Seite geduldet, Illegale zu beschäftigen. Kontrollen gibt es kaum, wir haben nur fünf Inspektoren für die gesamte Provinz. Außerdem werden die Kontrolleure vorher angekündigt und der Patrón sorgt dann dafür, dass alles sauber ist, bevor sie eintreffen." Spitou Mendy war siebzehn Jahre lang Professor für Sprachen im Senegal, bevor er hierher kam.

"Die Situation der Arbeiter ist fatal. Sie werden ausgebeutet und leben mit der ständigen Angst, abgeschoben zu werden. Obwohl der Vertrag für Tagelöhner in der Landwirtschaft auch für die Papierlosen gilt, wird mit ihren Rechten Schindluder getrieben. Der Patrón überzieht willkürlich die Arbeitszeit und zahlt viel zu wenig. Die Leute spritzen Pestizide ohne Schutzkleidung und leiden an Hautausschlag und Kopfschmerzen, manche bekommen Krebs."

"Die Arbeiter weigern sich, Schutzkleidung zu tragen. Wieso sollte ich sie dazu zwingen?" Juan Andrés, Teilhaber einer großen Treibhausplantage, demonstriert den Gewerkschaftsmitarbeitern zwei Gasmasken und dazugehörige Schutzanzüge in seinem Werkschrank. "Außerdem, was soll's. Wenn sie wirklich durchs Sprühen kontaminiert werden, dann sind sie es eh längst." Dreißig seiner Arbeiter befinden sich seit den Morgenstunden im Streik. Sie fordern sauberes Trinkwasser, Atemschutzmasken, den vertraglich festgelegten Stundenlohn.

Sie stehen in der sengenden Mittagssonne vor der Halle, Staub bedeckt ihre Füße, einige tragen Sandalen, dazu T-Shirts, abgetragene Hosen. Mohammed hat seine Papiermaske in die Stirn geschoben. "Seit vier Monaten sprühe ich Tag für Tag Gift. Immer nur mit dieser Maske aus Papier. Manchmal arbeite ich sechzehn Stunden am Tag und bekomme dafür 36 Euro." Mit verschränkten Armen stehen sie ihrem Patrón gegenüber. "Mehr kann ich nicht zahlen", wettert Juan Andrés, er schwitzt, sein Bauch quillt über den Hosenbund. Mehr Geld, dafür weniger Leute, das ist sein Angebot. "Sehen sie, was die mit mir machen. Die Produktion muss heute noch raus!" Vor der Halle steht ein BMW-Luxusmodell.

Die Autorin ist ai-Mitglied und lebt in Hamburg.


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WAS SIND WIRTSCHAFTLICHE, SOZIALE UND KULTURELLE RECHTE?

Wenn es an Wasser, Bildung oder Obdach fehlt, steckt dahinter oft keine "Naturgewalt": Vergiftetes Wasser, grundlos erschossene Dorfschullehrer und plattgewalzte Elendsviertel sind Menschenrechtsverletzungen, begangen oder hingenommen von den Staaten selbst. Wie die politischen Menschenrechte sind auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (wsk-Rechte) in einem UNO-Menschenrechtspakt für alle Staaten verbindlich festgehalten. Zu den wsk-Rechten gehören auch das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser und das Recht auf Schutz der Gesundheit.

Für amnesty international sind die Menschenrechte unteilbar. Die Organisation setzt sich deshalb auch gegen die Verletzung von wsk-Rechten ein.
Mehr Informationen zum Thema finden Sie im Internet: http://amnesty.21publish.de/wsk


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Quelle:
amnesty journal, Februar 2007, S. 20
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2007