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EUROPA/221: Römische Verträge - an Menschenrechte nicht gedacht (ai journal)


amnesty journal 3/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Der lange Weg

Von Tanja Gey


Vor 50 Jahren unterzeichneten die EU-Gründungsmitglieder die "Römischen Verträge". An die Menschenrechte wurde damals noch nicht gedacht.


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Unter der deutschen EU-Präsidentschaft wird zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge am 25. März eine "Berliner Erklärung" mit allen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verabschiedet. Die Erklärung legt fest, wie die EU sich in Zukunft entwickeln soll. Darüber hinaus möchte die Bundesregierung das Jubiläum für eine Debatte über die europäischen Werte nutzen. Für amnesty international gibt es keinen Zweifel, auf welcher Grundlage die "Berliner Erklärung" ebenso wie die zu führende Wertedebatte stattfinden soll: Die EU muss die Achtung und den Schutz der Menschenrechte innerhalb und außerhalb europäischer Grenzen deutlich benennen. Schließlich war es ein langer Weg hin zu einer europäischen Menschenrechtspolitik.

Die EU hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Mechanismen entwickelt, die sie zum Schutz der Menschenrechte in ihren Außenbeziehungen einsetzen kann: Seit Mitte der neunziger Jahre enthalten die Handels- und Kooperationsabkommen mit Drittstaaten eine Menschenrechtsklausel, inzwischen sind das mehr als 120 Abkommen. Damit werden die Menschenrechte zu einem wesentlichen Bestandteil der Beziehungen mit dem Vertragspartner erhoben. Ob das Verletzen der Klausel zu einem Aussetzen der Vertragsbeziehungen führen kann, ist unterschiedlich geregelt. Bei den Außenbeziehungen ist die EU außerdem verpflichtet, die Menschenrechtsleitlinien zur Anwendung zu bringen.

Zu den Bereichen Todesstrafe, Menschenrechtsverteidiger, Kinder in bewaffneten Konflikten, Folter und Menschenrechtsdialoge wurden Leitlinien beschlossen, die den EU-Mitgliedsstaaten konkrete Handlungsanweisungen für die Beziehungen mit Drittstaaten geben. Sie können damit beispielsweise Menschenrechtsverteidiger bei ihrer Arbeit unterstützen.

Nicht zuletzt auf diesen Leitlinien basieren die so genannten Demarchen: Bei Einzelfällen übermitteln Staaten auf dem diplomatischen - und daher nicht öffentlichen Weg - Anliegen zu konkreten Einzelfällen, fordern Aufklärung bei Menschenrechtsverletzungen oder die Freilassung von Gefangenen.

Nicht nur bei Einzelfällen hatte Michael Matthiessen, der "Special Representative" für Menschenrechte von Javier Solana, eine wichtige Stimme. Er schulte die EU-Beamten in Menschenrechtsfragen. Seit Ende Januar hat diesen Posten nun die Estin Riina Kionka inne.

Der Beitrittsprozess hat sich mittlerweile zu einer menschenrechtlichen Erfolgsgeschichte entwickelt. Jeder Staat, der Mitglied in der EU werden möchte, muss die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Diese Kriterien enthalten hohe Anforderungen, die den Menschenrechtsschutz betreffen. Ein dicker Wermutstropfen bleibt jedoch: Nach dem Beitritt werden die hohen Schutzstandards nicht immer konsequent eingehalten, teilweise verschlechtert sich sogar die Situation. Obwohl die Union auf der Grundlage des EU-Vertrages Sanktionen beschließen kann, wenn ein Mitgliedsstaat die Menschenrechte "schwerwiegend und anhaltend" verletzt, ist es dazu bisher nicht gekommen.

Diese Mechanismen und das eindeutige Bekenntnis zu den Menschenrechten gab es nicht von Anfang an. Die "Römischen Verträge" legten lediglich das Fundament für eine Wirtschafts- und Atomgemeinschaft, die zusammen mit der bereits früher geschlossenen Gemeinschaft für Kohle und Stahl die Europäischen Gemeinschaften bildete. Seit 1977 kam es zwar immer wieder zu gemeinsamen Erklärungen, die auch die Menschenrechte mit einschlossen. Doch erst im EU-Vertrag von 1997 wurde festgeschrieben, dass die "Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit" beruht.

In den vergangenen 50 Jahren ist die EU zu einem wichtigen menschenrechtlichen Akteur geworden. Der Ausbau und die Verbesserung des Menschenrechtsschutzes in den Außenbeziehungen, aber auch nach innen, bleibt dennoch eine wichtige Zukunftsaufgabe. Die deutsche Präsidentschaft sollte dieses Anliegen mit einem deutlichen Bekenntnis zu den Menschenrechten als Grundwert der EU unterstreichen.

Die Autorin ist EU-Expertin der deutschen ai-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, März 2007, S. 23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2007