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EUROPA/250: Menschenrechtswidrige Verschleppungen von Terrorverdächtigen (ai journal)


amnesty journal 08/09/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Ich bin ein gebrochener Mann"

Ein Amnesty-Bericht dokumentiert die menschenrechtswidrigen Verschleppungen von Terrorverdächtigen in Europa.


Es geschah in Mailand, auf offener Straße, um die Mittagszeit. US-amerikanische und italienische Agenten betäubten den Imam Abu Omar mit Gas, zerrten ihn in einen Lieferwagen und transportierten ihn über den deutschen Flughafen Rammstein nach Ägypten. Dort hielten sie ihn fast vier Jahre gefangen: Vierzehn Monate in geheimer Haft, davon nach eigenen Aussagen sieben unter Folter, täglich bis zu zwölf Stunden. "Die Schreie der Mitgefangenen zu hören, war für mich fast noch schlimmer, als selbst die Schmerzen zu ertragen", so Abu Omar gegenüber Amnesty International. Seine Peiniger nahmen ihm die Würde: Sie fesselten ihn, zogen ihn aus und setzten ihm eine Kapuze auf. Während der Verhöre misshandelte man ihn nicht nur mit Elektroschocks. "Ich leide noch immer unter den Folgen der Folter. Ich gehe nicht aus dem Haus, habe Alpträume und will mit niemandem sprechen. Ich bin ein gebrochener Mann", sagt er.

Abu Omar ist einer von Hunderten, die im Kampf gegen den Terror in Europa gefasst und verschleppt wurden. Alle, die bisher aussagen konnten, berichten von Folter und Misshandlungen während der Haft. Auch europäische Staaten tragen eine Verantwortung für diese Menschenrechtsverletzungen. Doch sie streiten dies ab oder verschleiern ihre Rolle in diesem Zusammenhang. Bis heute wurden keine Ermittlungen durchgeführt, die zu einer umfassenden Aufklärung beitragen.

Eine Beteiligung europäischer Geheimdienste an dem CIA-Programm der "außerordentlichen Überstellungen" (Renditions) und unrechtmäßigen Haft verstößt gegen internationale Menschenrechtsstandards. Dies gilt unabhängig davon, ob der Beitrag aktiv oder passiv ist und ob die Regierung von der Beteiligung gewusst oder sie autorisiert hat. Auch das Versäumnis, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die schwere Menschenrechtsverletzungen verhindern können, verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) die verlangt, Menschen vor Folter und Misshandlung, willkürlicher Haft und Verschwindenlassen zu schützen.

Auch Deutschland ist mitverantwortlich für Menschenrechtsverletzungen, die im Zusammenhang mit den CIA-Aktivitäten begangen wurden. Amnesty kritisiert, dass die Bundesregierung noch keine effektiven Maßnahmen ergriffen hat, um diese in Zukunft zu verhindern. Darüber hinaus hat sie die USA nicht eindeutig aufgefordert, alle illegalen Inhaftierungen weltweit sowie die Praxis der Verschleppungsflüge zu beenden.

Amnesty legte jetzt einen "Sechs-Punkte-Plan" zur Verhinderung solch menschenrechtswidriger Verschleppungen über europäischem Hoheitsgebiet vor. Auch die Bundesregierung erhielt einen Forderungskatalog, der unter anderem eine Menschenrechtsbindung für die Arbeit der Geheimdienste und für Auslandseinsätze der Polizei und Bundeswehr verlangt.

Das Interview mit Abu Omar und weitere Informationen unter:
www.amnesty.org/en/library


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2008, S. 43
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2008