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EUROPA/289: Deutschland - Befangene Beamte (ai journal)


amnesty journal 08/09/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Befangene Beamte

Von Katharina Spieß


Manchmal ändert sich ein Leben in wenigen Momenten. So wie bei dem jungen Mann, der sich Ende April vergangenen Jahres mit Freunden an einem Kiosk traf. Als plötzlich Polizisten auftauchten, rannte er weg, weil er sich illegal in Deutschland aufhielt. Die Beamten verfolgten ihn und verletzten ihn bei der Festnahme so stark, dass er sein rechtes Augenlicht verlor. Obwohl der Mann der Polizei vorwarf, ihn mehrmals ins Gesicht geschlagen zu haben, nahm die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen auf. Was an dem Tag tatsächlich geschah, wurde nie aufgeklärt. Einige Wochen später informierte sein Bruder Amnesty International über den Vorfall.

Solche Berichte haben uns immer wieder erreicht. Einige davon haben wir sehr genau recherchiert. Unser Ergebnis ist beunruhigend. Auch wenn die große Mehrheit der Polizeibeamten in Deutschland gute Arbeit leistet, so gibt es doch eine besorgniserregende Zahl von Misshandlungsvorwürfen. In knapp 3.000 Fällen ermittelte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2009 gegen Polizisten und Polizistinnen.

Der neue Bericht von Amnesty International dokumentiert: Auch in Deutschland gibt es Beschwerden gegen Polizeibeamte wegen Misshandlung oder unverhältnismäßiger Gewalt. Beunruhigend ist, dass die Fälle oft nicht ausreichend untersucht werden. Dazu ist Deutschland aber verpflichtet: denn alle ernst zu nehmenden Vorwürfe müssen umfassend ermittelt und aufgeklärt werden. Oft aber bleiben Täter straflos. So ist es nicht verwunderlich, dass manche Opfer resignieren und das Vertrauen in die Polizei verlieren.

Manchmal werden Ermittlungen gar nicht erst eingeleitet, manchmal kann der beteiligte Beamte nicht ermittelt werden, weil er zum Zeitpunkt des Vorfalls einen Helm oder eine Maske trug. In einem Fall, den Amnesty dokumentiert hat, ermittelte sogar ein Polizist zu Vorwürfen, die sich gegen ihn selber richteten.

Dass der Eindruck der Befangenheit entsteht, wenn die Polizei gegen sich selbst ermittelt, ist in den vergangenen Jahren international anerkannt worden. So erstaunt es nicht, dass immer mehr Menschenrechtsexperten, wie der Menschenrechtskommissar des Europarates, empfehlen, institutionell und personell unabhängige Untersuchungsstellen einzurichten, die an Stelle der Polizei ermitteln. Einige europäische Länder sind dieser Empfehlung bereits gefolgt, zum Beispiel England, Norwegen und Irland. Auch Deutschland sollte sich diesem Modell anschließen, damit Fälle wie die des jungen Mannes schnell und umfassend aufgeklärt werden können.


Katharina Spieß ist Referentin für Polizei und Menschenrechte der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2010, S. 23
Herausgeber: amnesty international
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Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
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Internet: www.amnesty.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010