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EUROPA/291: Polizist und Mitglied von Amnesty International - Konstruktive Spannung (ai journal)


amnesty journal 08/09/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Konstruktive Spannung
Warum es nicht immer einfach ist, Polizist und Mitglied von Amnesty International zu sein.

Von Olaf Diedrich


"Die Polizei ist übrigens die größte Menschenrechtsorganisation." Diesen Satz des ehemaligen Leiters der Landespolizeischule Hamburg, Gerhard Müller, würde meine kleine Tochter wahrscheinlich unterschreiben. Für sie wie für zwei Drittel der Bundesbürger ist die Polizei etwas Gutes. Wenn sie Polizisten in den Medien sieht, die Menschenrechte verletzt haben, ist sie verunsichert. Der Hinweis auf "gemeine Polizisten", auf Ausnahmen von der Regel, beruhigt sie kaum. Ihr Gerechtigkeitsgefühl ist schwer getroffen. Und tatsächlich: Setzt sich die Polizei, z.B. im Falle von häuslicher Gewalt, nicht genau für die Rechte ein, die Amnesty International immer fordert: Die körperliche Unversehrtheit der von Gewalt Betroffenen?

Dennoch erleben Amnesty-Mitglieder Polizisten eher in einer anderen Rolle: als Exekutive einer repressiven Politik, die sich vielfacher Menschenrechtsverletzungen bedient, um autoritäre Ziele durchzusetzen. Gleichzeitig Polizist und Mitglied von Amnesty zu sein, ist nicht immer einfach. Menschenrechtsbildung für Polizisten anzubieten, hielt mancher bei Amnesty für ein sinnloses Unterfangen. Andere fragten besorgt: "Darfst du als Polizist eigentlich bei Amnesty mitarbeiten?" Ein Polizeigewerkschafter versicherte mir vorauseilend seine Solidarität für den Fall, "...dass man dir mal was will...!" Doch beim Amnesty-Infostand meiner Gruppe erschienen kürzlich wieder drei Kollegen. Das Interesse ist also vorhanden.

Wir haben innerhalb der deutschen Amnesty-Sektion 1993 eine Gruppe zum Thema Polizei gegründet. Seitdem beschäftigten wir uns unter anderem mit den Folgen von deutscher Polizeientwicklungshilfe im Ausland. Nicht immer wird diese Ausrüstungs- oder Ausbildungshilfe dazu verwendet, den menschenrechtlichen Standard im Zielland zu verbessern. Oft führt das zusätzliche Wissen lediglich zu einer effektiveren Verfolgung von "Abweichlern".

Wir engagieren uns auch für Kollegen und Kolleginnen im Ausland, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden, weil sie sich gewerkschaftlich engagierten oder Missstände in den eigenen Reihen aufdeckten. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Briefappellen, um Beamte, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, von "Kollege zu Kollege" anzusprechen. So wollen wir vermeiden, als realitätsferne Gutmenschen angesehen zu werden. Denn machen wir uns nichts vor: Zur Durchsetzung des (immens wichtigen) staatlichen Gewaltmonopols gehört manchmal auch eigene Gewaltanwendung! Aber: Wenn die Hände auf dem Rücken sind, ist Schluss. Nachtreten haben wir nicht nötig!

Was aber, wenn das polizeiliche Gegenüber zum Angriff übergeht? Wenn ein Ultra glaubt, er könne seinen Fußballverein unterstützen, indem er Polizisten mit Holzlatten attackiert? Nach der aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur "Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte " nehmen solche Angriffe ebenso zu wie die Schwere der dabei erlittenen Verletzungen. Die Polizei bleibt von der steigenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft ebenso wenig verschont wie couragierte S-Bahn-Fahrer. Hier hat der Staat gegenüber seinen Beamten einen Schutzauftrag.

Im Einzelfall darf der Angriff aber nicht dazu führen, dass aus verständlicher Empörung die Verhältnismäßigkeit aus dem Blick gerät und ein Beamter, der rechtswidrig Gewalt anwendet, anschließend nicht zu ermitteln ist. Denn aus menschenrechtlicher Sicht ist ein (zu viel) schlagender Polizist etwas völlig anderes als ein betrunkener und gewalttätiger Fußballhooligan.

Dem gewöhnlichen Straftäter steht ein Repräsentant des Staates gegenüber, dessen Handeln verantwortlich und überprüfbar sein muss. Daher nimmt Amnesty International auch in ihrem neuen Bericht "Täter unbekannt" lediglich zu polizeilichen Misshandlungen Stellung. Schließlich ist der Staat dazu verpflichtet, mögliche Menschenrechtsverletzungen schnell und effektiv zu untersuchen - auch und gerade bei denjenigen, deren Beruf es ist, die Gesetze zu hüten.


Der Autor ist Polizist in Bielefeld und seit 1988 Mitglied von Amnesty International.


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2010, S. 33
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2010