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EUROPA/300: Systematische Diskriminierung von Roma im Kosovo (ai journal)


amnesty journal 01/2011 - Das Magazin für die Menschenrechte

Abgeschoben ins Nirgendwo
Ein aktueller Bericht von Amnesty International
dokumentiert die systematische Diskriminierung von Roma im Kosovo.

Von Imke Dierßen


Besim Ayolli hat lange in Deutschland gelebt, bevor er aufgefordert wurde, in den Kosovo zurückzukehren. 2007 ist er mit seiner Familie abgeschoben worden. Für die Kinder ist das Leben in der kleinen Balkanrepublik besonders schwierig, denn sie sind nicht in den Kosovo "zurückgekehrt", sondern wurden in Deutschland geboren. Die 17-jährige Tochter hat immer noch keine kosovarischen Dokumente erhalten und ohne Papiere kann sie im Kosovo nicht zur Schule gehen. Doch selbst wenn sie entsprechende Dokumente besitzen, haben Roma-Kinder, die aus dem Ausland abgeschoben wurden, oft keinen Zugang zu Bildung. Die verarmten Familien können das Schulmaterial nicht bezahlen, auch für den Schulbus reicht das Geld meistens nicht. Sprachbarrieren kommen hinzu, weil die Kinder kein Albanisch gelernt haben. Förderprogramme für diese Kinder existieren nicht. So schätzt UNICEF, dass etwa drei Viertel der Roma-Kinder, die aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben wurden, dort keine Schule mehr besuchen. Eine Abschiebung beendet ihre Bildungskarriere.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat im Oktober vor der parlamentarischen Versammlung des Europarates zurecht deutlich gemacht, dass Roma-Kinder nur dann in die Gesellschaft integriert werden, wenn sie zur Schule gehen können. Nur wenige Tage später forderte die Versammlung in einer Resolution, Roma nicht in den Kosovo abzuschieben. Diese Aufforderung ist nicht neu. Der Menschenrechtskommissar des Europarates fordert schon seit langem, die zwangsweisen Rückführungen auszusetzen. UNICEF hat sich dem angeschlossen und auch der UNHCR hat erklärt, dass Kosovo-Roma Schutz brauchen.

Trotzdem hält Deutschland daran fest, Roma abzuschieben. Fast 10.000 Kosovo-Roma, die oft seit zehn Jahren oder länger hier leben, sind davon betroffen. Sowohl die Mehrheit der Bundesländer als auch die Bundesregierung bestreiten, dass Roma im Kosovo verfolgt werden, obwohl sie dort systematisch diskriminiert werden. Roma werden nicht nur bei der Bildung, sondern auch beim Zugang zu Arbeit, zu einer Unterkunft, zu Sozialleistungen und zum Gesundheitswesen diskriminiert. Eine Reintegration der Roma, die jahrelang im Ausland gelebt haben, weil sie vor Krieg und Gewalt fliehen mussten, findet nicht statt.

In vielen Fällen können zurückkehrende Roma nicht in ihre alten Häuser einziehen, da sie zerstört oder von anderen besetzt wurden. Die zahlreichen, durch den Krieg bedingten, ungelösten Eigentumsfragen betreffen vor allem ethnische Minderheiten, denn Roma verfügen traditionell oft nicht über einen Nachweis für ihren Besitz. Viele haben nach wie vor Angst, in ihre ehemaligen Heimatdörfer zurückzukehren. Sie mussten Vertreibung und Gewalt am eigenen Leib erfahren - im Krieg von 1999 und noch einmal im März 2004 - und erkennen, dass die Täter nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Manche Rückkehrer sind mangels Alternativen in die mit Blei verseuchten Lager im Norden der Stadt Mitrovica gezogen, weil sie sonst keinen Ort haben, an dem sie willkommen sind.

Den vollständigen Bericht "Not welcome anywhere" finden Sie auf www.amnesty.org

Die Autorin ist Europa-Referentin der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2010/Januar 2011, S. 16
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2011