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EUROPA/335: Griechenland - Flüchtlingstragödie untersuchen


Amnesty International - 21. Januar 2015

Griechenland: Flüchtlingstragödie untersuchen



21. Januar 2015 - Nach wie vor versagen griechische Behörden dabei, die Todesfälle von elf afghanischen Staatsbürgern, die im Januar 2014 in der Agäis ertrunken waren, zu untersuchen. Dies zeigt sowohl die offensichtliche Missachtung der Opfer und ihrer Familien als auch die kompromisslose Haltung der griechischen Behörden zum Thema Asyl und Migration, erklärt Amnesty International anlässlich des Jahrestags der Tragödie von Farmakonisi.

Am 20. Januar 2014 haben elf Menschen aus Afghanistan, darunter acht Kinder, ihr Leben verloren, als ihr Fischerboot in der Nähe der griechischen Insel Farmakonisi sank. Überlebende berichten davon, dass ihr Boot von der griechischen Küstenwache mit großer Geschwindigkeit zurück zur türkischen Grenze gezogen wurde. Die griechischen Behörden haben die Untersuchung der Tragödie beendet. Seither sind über 100 Flüchtlinge und Migranten beim Durchqueren der Ägäis gestorben.

"Es ist ungeheuerlich, dass angesichts der Zeugenaussagen der Überlebenden und der Widersprüchlichkeiten in den von der Küstenwache zur Verfügung gestellten Beweisen, die griechischen Behörden keine sorgfältige Untersuchungen dieser Tragödie durchgeführt haben. Schutzbedürftige Menschen, die gezwungen sind, aus ihrem eigenen Land zu fliehen, sind allein gelassen worden mit ihrer Trauer um ihre Nächsten, mit wenig Hoffnung auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachung", sagt John Dalhuisen, Experte für die Region Europa und Zentralasien bei Amnesty International.

Ein afghanischer Überlebender, Sabur Azizi, der seine Frau und seinen zehnjährigen Sohn während des Ereignisses verloren hatte, erklärte: "Jemand hat ihnen ein Baby gezeigt und um Hilfe gebeten, aber die Küstenwachen beschimpfte uns, anstatt zu helfen (...) Als die Küstenwache das Abschleppseil durchschnitt und versuchte uns wegzudrücken, fingen wir an zu sinken."

Er und ein anderer Überlebender, der ebenfalls seine Frau und vier Kinder verlor, waren unter den 16 Flüchtlingen, die es geschafft haben, auf das Schiff der Küstenwache zu gelangen, nachdem ihr Boot gekentert war. Sie berichteten Amnesty International, dass sie geschlagen und mit vorgehaltener Schusswaffe bedroht wurden. Weiter sagten sie, dass der Kapitän gedroht habe, ihnen Schwierigkeiten zu verursachen, wenn sie es wagten über die Geschehnisse der Nacht zu berichten.

Die griechischen Behörden haben die Untersuchung der Tragödie mit der Begründung beendet, dass die Zeugenaussagen unzutreffend seien. Vier NGOs, einschließlich des griechischen Flüchtlingsrates und einer Gruppe von Rechtsanwälten, machen darauf aufmerksam, dass die Untersuchung des Staatsanwaltes allein auf den Zeugenaussagen der Küstenwache und ihren Vorgesetzten basierte. Andere wichtige Beweise, einschließlich ernsthafter Widersprüche in den von der Küstenwache zur Verfügung gestellten Beweisen, blieben außer Betracht.

Experten haben bewiesen, dass das Boot kenterte, weil es unsachgemäß abgeschleppt, und vor allem mit einem viel zu kurzen Abschleppseil gezogen worden ist.


Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Die Überlebenden reichen nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen Griechenland ein und machen vor allem eine Verletzung des Artikels 2 (Recht auf Leben), des Artikels 3 (Folterverbot) und des Artikels 13 (Recht auf eine wirksame Beschwerde) geltend.

Amnesty International hat wiederholt auf die schweren Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge und Migranten an der griechisch-türkischen Grenze aufmerksam gemacht und hat die griechische Regierung aufgerufen, "Push-backs" (illegale Zurückweisung) an der griechisch-türkischen Grenze zu unterlassen.

"Push-backs widersprechen nicht nur den griechischen Menschenrechtsverpflichtungen, sie sind zudem lebensgefährlich", erklärte John Dalhuisen.

Amnesty International ist der Auffassung, dass Push-backs zudem gegen europäisches Recht verstoßen und fordert die Europäische Kommission auf, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einzuleiten.

Das ist besonders wichtig, weil durch die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen an der Landesgrenze Griechenlands zur Türkei in der Evros-Region - einschließlich des Aufbaus eines 10,50 Meter hohen Zauns - immer mehr Flüchtlinge und Migranten gezwungen sind, den gefährlichen Seeweg mit überfüllten Booten zu nehmen.

"Die mangelhafte Untersuchung der Ereignisse vor Farmakonisi zeigt die gefühllose Missachtung für den tragischen Verlust von Leben. Dies verbunden mit Griechenlands Vorhaben, seine Grenzen abzuschotten, führt zu der ernsten Befürchtung, dass Flüchtlinge und Migranten weiterhin in der Ägäis unnötig ertrinken werden", sagte John Dalhuisen.

"Die Opfer und ihre Familien haben das Recht auf Schadensersatz, und den Anspruch auf Wahrheit und Gerechtigkeit."


Online-Petition von Amnesty International für einen besseren Schutz für Flüchtlinge:
http://action.amnesty.de/l/ger/p/dia/action3/common/public/?action_KEY=9703&d=1

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Quelle:
Meldung vom 21. Januar 2015
http://www.amnesty.de/2015/1/21/griechenland-fluechtlingstragoedie-nach-einem-jahr-immer-noch-keine-gerechtigkeit-fuer-die?destination=node%2F2817
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2015


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