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EUROPA/345: "Racial Profiling" in Deutschland (ai journal)


amnesty journal 04/05/2015 - Das Magazin für die Menschenrechte

Falsches Raster

von Anja Feth


Kontrollieren Polizisten Personen etwa wegen ihrer Hautfarbe, handelt es sich um ein unzulässiges Vorgehen, das "Racial Profiling" genannt wird.


Gehen deutsche Polizisten und Polizistinnen bei ihrer Arbeit rassistisch vor? Ja, sagen antirassistische Initiativen wie die "Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt" oder die "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland". Keinesfalls, heißt es von Seiten der Polizei oder der Politik.

Auch Amnesty International beteiligt sich an der Debatte über das sogenannte "Racial Profiling". Der Begriff bezeichnet rassistische Diskriminierung im Rahmen der Polizeiarbeit. Wohl am häufigsten kommt es zu "Racial Profiling", wenn Personen im öffentlichen Raum wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert werden.

Aber auch im Zusammenhang mit der terroristischen Mordserie des NSU tauchte das Phänomen auf: Polizei und Staatsanwaltschaften hatten die mutmaßlichen Täterinnen und Täter kategorisch im Familien- und Bekanntenkreis der Opfer vermutet bzw. die Taten kriminellen Netzwerken aus Osteuropa und der Türkei zugeordnet. Entsprechend einseitig fielen die jahrelangen Ermittlungen aus.

Wenn bei der Ausübung polizeilicher Kontroll-, Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen an die vermeintliche "Rasse", "Hautfarbe", "ethnische Herkunft", Sprache, Religion oder Nationalität von Personen angeknüpft wird, ohne dass es dafür einen konkreten, objektiven Rechtfertigungsgrund gibt, spricht die "Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz" von "Racial Profiling".

Das Phänomen kann bei Durchsuchungen, Razzien oder bei der Auswertung elektronischer Daten auftreten, besonders häufig ist es jedoch bei Fahrzeug- und Personenkontrollen.

Eine solche Personenkontrolle brachte ein Betroffener 2012 bis vor das Oberverwaltungsgericht Koblenz. In der Verhandlung versuchte ein Bundespolizist zu erklären, warum er in einem Regionalzug ausgerechnet einen dunkelhäutigen Fahrgast angesprochen hatte. Dafür konnte er keinen konkreten Verdacht angeben.

Im Gegenteil: Der Polizist berief sich unter anderem auf "ein nicht beschreibbares Gefühl", das er manchmal habe. Auch wenn der Polizist, anders als noch in der ersten Instanz, nicht mehr mit der "Hautfarbe" des Mannes argumentierte: Das Gericht zeigte sich überzeugt, dass eben jene den Ausschlag für die Kontrolle gegeben hatte und stellte einen Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (Diskriminierungsverbot) fest. Ähnliche Klagen sind derzeit auch in Köln, München und Stuttgart anhängig.

Statistiken zu "Racial Profiling" in Deutschland gibt es nicht. Unklar ist, wie häufig rassistische Diskriminierung bei der täglichen Polizeiarbeit vorkommt. Entsprechende Hinweise gibt es viele. Jeder Vorfall ist ein ernst zu nehmender Verstoß gegen die Menschenwürde. Die Antirassismuskonvention der Vereinten Nationen und die Europäische Menschenrechtskonvention verbieten rassistische Diskriminierung. Und auch das Grundgesetz ist in dieser Frage eindeutig.

Strukturell begünstigt werden diskriminierende Kontrollen allerdings durch besondere Befugnisse der Polizei, Personen "verdachtsunabhängig" zu befragen. Entsprechende Normen sind in den meisten Landespolizeigesetzen, aber auch im Bundespolizeigesetz verankert. Besonders intensiv diskutiert wurde zuletzt der erste Absatz aus Paragraf 22 im Bundespolizeigesetz. Danach darf die Bundespolizei "jede Person" anhalten und befragen, die sich an Bahnhöfen, Flughäfen sowie in Zügen aufhält, die erfahrungsgemäß zur unerlaubten Einreise genutzt werden.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellt dazu fest, dass diese Norm nur auf den ersten Blick diskriminierungsfrei sei. Da sie auf die Kontrolle von "Nicht-Deutschen" ziele, richte sie sich faktisch gegen jene, die gängigen Stereotypen zufolge "nicht-deutsch" aussehen.

Das Phänomen "Racial Profiling" ernst zu nehmen, heißt nicht, der Polizei plumpen Rassismus zu unterstellen. Den mag es hier und da auch geben. "Racial Profiling" basiert hingegen meist auf unbewussten rassistischen Stereotypen und Vorurteilen. Die sind in der deutschen Gesellschaft nachweislich fest verankert und folglich auch bei Polizistinnen und Polizisten vorhanden.

Zudem gilt: Damit eine rassistische Diskriminierung vorliegt, ist es unerheblich, welche Handlungsabsicht besteht. Ausschlaggebend ist allein die Wirkung: die ungleiche Behandlung von Menschen entsprechend rassistischer Kriterien.

Diejenigen, die diskriminiert werden, verzichten häufig darauf, sich bei den Behörden zu beschweren oder gar rechtliche Schritte einzuleiten. Das geschieht nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil sie den finanziellen und zeitlichen Aufwand ebenso scheuen wie eine weitere psychische Belastung. Zumal ihre Erfolgsaussichten gering sind. Der Polizei eine rassistische Diskriminierung nachzuweisen, ist in der Regel schwer. Auch haben es die Verwaltungsgerichte bislang vermieden, entsprechende Vorwürfe explizit zu erörtern.


Die Autorin ist Mitglied der Themengruppe "Polizei & Menschenrechte" der deutschen Amnesty-Sektion.



Ziele für die Politische Agenda

In einem Positionspapier fordert Amnesty International die Bundes- und Landesregierungen auf:

  • öffentlich anzuerkennen, dass "Racial Profiling" in Deutschland existiert und klarzustellen, dass Diskriminierungen dieser Art niemals gerechtfertigt sind.
  • quantitative und qualitative Daten zum Ausmaß von "Racial Profiling" erheben und auswerten zu lassen.
  • Paragraf 22 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes zu streichen und ähnliche Bestimmungen auf der Länderebene grund- und menschenrechtlich zu prüfen. Sie sind gegebenenfalls aufzuheben.
  • unabhängige Beschwerdestellen für Fälle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei einzurichten. Diese müssen leicht zugänglich sein, zum Beispiel über ein Internetformular.
  • die interkulturelle Aus- und Fortbildung von Polizisten zu verbessern. Zusätzlich sind verpflichtende Antirassismus-Trainings einzuführen.

"Das Rassismus-Problem muss auf institutioneller Ebene anerkannt werden. Von 'Racial Profiling' Betroffene sollen - nach Befinden und Möglichkeiten - rechtlichen Rat einholen und juristisch gegen die Praxis vorgehen." Tahir Della, Vorstand der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland"


Sprache und Rassismus

Wie ist es möglich, rassismussensibel über Rassismus zu sprechen? Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren, schlagen verschiedene Bezeichnungen vor, um sichtbar zu machen, dass Kategorien wie "Rasse" oder "Hautfarbe" nicht auf biologischen Gegebenheiten, sondern vielmehr auf sozialen Zuschreibungen beruhen. In vielen Texten über Rassismus wird das Adjektiv schwarz groß geschrieben - als Selbstbezeichnung für Schwarze Menschen; das Adjektiv weiß wird kursiv gesetzt - um auf die von weißen Menschen oft nicht wahrgenommenen sozialen und politischen Vorteile hinzuweisen. Der Anglizismus "People" oder "Person of Color" drückt die gemeinsame rassistische Diskriminierungserfahrung aus und kann wegen der negativen Konnotation von "farbig" nicht ins Deutsche übersetzt werden.

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Quelle:
amnesty journal, April/Mai 2015, S. 46-47
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2015

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