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EUROPA/354: Ungarn - Stacheldraht und Gesetze gegen Flüchtlinge


Amnesty International - Mitteilung vom 15. September 2015

Ungarn: Stacheldraht und Gesetze gegen Flüchtlinge


15. September 2015 - Ungarn hat seine Grenze zu Serbien für Menschen, die vor bewaffneten Konflikten und Verfolgung fliehen, nahezu komplett abgeriegelt und setzt Stacheldraht, Truppen und drakonische Gesetze zur Abschottung ein. Damit zeigt Ungarn das hässliche Gesicht eines Europas, das teilweise mit chaotischen Maßnahmen auf die zunehmende Zahl an Flüchtlingen reagiert.

Amnesty International hat ein Ermittlungsteam an die Grenze zwischen Ungarn und Serbien entsandt. Dort sind zahlreiche Angehörige des Militärs, der Bereitschaftspolizei und Hundestaffeln stationiert. Auch Hubschrauber überwachen den nun geschlossenen und mit Stacheldraht gesicherten Grenzzaun. Neue Gesetze, die am 15. September in Kraft getreten sind, sehen Haftstrafen von bis zu drei Jahren für Flüchtlinge vor, die versuchen, den Grenzzaun zu durchbrechen.

"Flüchtlingen, die aus furchtbaren Konfliktgebieten fliehen, auf so einschüchternde Weise mit einem großen Militäraufgebot entgegen zu treten, ist eine schockierende und erschreckend unverantwortliche Reaktion gegenüber Menschen, die bereits durch Krieg und Brutalität traumatisiert sind", erklärt Gauri van Gulik, die stellvertretende Direktorin für die Region Europa bei Amnesty International.

"Wenn sich jetzt, wie angenommen, Tausende weitere auf den Weg nach Ungarn machen, wird diese Abschottungsmentalität lediglich dafür sorgen, dass sich die Flüchtenden neue Routen suchen, sie aber keinesfalls davon abhalten, aus Verzweiflung die gefährlichen Reisen anzutreten."

Obwohl die Grenze nun fast vollständig geschlossen ist, haben die Ermittlerinnen und Ermittler von Amnesty International beobachtet, wie sich hunderte Flüchtlinge auf die Grenze zubewegten in dem Irrglauben, der Grenzübertritt sei nach wie vor möglich. Sie sahen außerdem eine Gruppe junger Syrer, die am Grenzzaun verzweifelt nach Stellen suchten, wo man ihn vielleicht durchbrechen könne.

"Zäune und drakonische Gesetze sind keine Lösungen. Es geht hier um Menschen, die versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Die einzige Lösung ist jetzt, dass Ungarn und die EU endlich ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen, ihre Solidarität zeigen und sicherstellen, dass die Asylsuchende einen geordneten Zugang zu einem Land und ein ordnungsgemäßes Asylverfahren erhalten", sagte Gauri van Gulik.

"Während die EU wie gelähmt erscheint und keine schnellen und nachhaltigen Lösungen findet, bewegt sich Ungarn weiter in die völlig falsche Richtung."

Entlang der Grenze zu Serbien sind neue Transitzonen eingerichtet worden, wo Flüchtlinge registriert und festgehalten werden. Auf Grundlage der neuen Gesetze befinden sich diese Transitzonen allerdings nicht auf ungarischem Staatsgebiet.

Die Inhaftierung von Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten sollte immer nur das letzte Mittel sein. Amnesty International wendet sich gegen die Kriminalisierung von Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten, wenn sie die Grenze in die eine oder andere Richtung ohne Genehmigung überschreiten. Die illegale Einreise sollte als Ordnungswidrigkeit, nicht als Straftat behandelt werden.

Da Serbien von Ungarn als sicheres Transitland betrachtet wird, befürchtet Amnesty International, dass die Asylanträge der meisten in den Transitzonen inhaftierten Flüchtlinge umgehende abgelehnt werden. Zudem geht Amnesty davon aus, dass die Menschen kein individuelles Asylverfahren erhalten, sondern lediglich erfasst und dann gruppenweise nach Serbien rückgeführt werden.

Wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, haben die Antragstellerinnen und Antragssteller das Recht auf eine rechtliche Überprüfung, müssen aber innerhalb von drei Tagen Rechtsmittel einlegen. Amnesty International kritisiert diese kurze Frist und befürchtet, dass die Menschen in den geschlossenen Transitzonen keinen Zugang zu rechtlichem Beistand haben. Die neuen Gesetze stellen zudem unter Strafe, wenn Menschen Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten beim Grenzübertritt unterstützen. Die Hilfe beim Grenzübertritt kann mit Gefängnisstrafe zwischen einem und fünf Jahren geahndet werden.

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Quelle:
Mitteilung vom 15. September 2015
http://www.amnesty.de/2015/9/16/ungarn-stacheldraht-und-gesetze-gegen-fluechtlinge?destination=node%2F2817
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2015

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