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EUROPA/371: Polen - Anschlag auf die Demokratie (ai journal)


amnesty journal 02/03/2016 - Das Magazin für die Menschenrechte

Anschlag auf die Demokratie


Polen - Im Eiltempo treibt Polens rechtsnationale Regierung Reformen voran, die die Rechtsstaatlichkeit Polens infrage stellen. Ob Geheimdienste, Verfassungsgericht oder öffentlich-rechtliche Medien - die Maßnahmen der seit November 2015 amtierenden Regierung betreffen demokratische Grundpfeiler. Ende 2015 beschloss das polnische Parlament eine von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eingebrachte Medienreform, die vor allem die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage stellt. Anstatt des Rundfunkrats bestimmt künftig der Minister für Staatsvermögen die Direktoren der öffentlichrechtlichen Rundfunksender und kann sie auch jederzeit grundlos entlassen. Mehrere amtierende Direktoren traten aus Protest gegen das Gesetz zurück und wurden inzwischen durch regierungsnahe Personen ersetzt.

Auf ein weiteres Gesetzesvorhaben weist die Organisation »Reporter ohne Grenzen« hin: Geplant ist demnach, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Nachrichtenagentur PAP »in staatliche Institutionen umzuwandeln, die traditionelle und christliche Werte vermitteln«. Außerdem würden mit Inkrafttreten des Gesetzes die Arbeitsverträge aller bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten aufgehoben.

Ähnlich fragwürdige Reformen betreffen die Arbeit des Verfassungsgerichts. Dessen Urteile benötigen jetzt eine Zweidrittelmehrheit - zuvor reichte eine einfache Mehrheit. Wichtige Fälle müssen in einem Gremium von mindestens 13 der insgesamt 15 Verfassungsrichter verhandelt werden, bisher waren es neun. Alle Fälle werden künftig in der Reihenfolge ihres Eingangs bearbeitet, unabhängig davon, ob sie dringlich sind. Zudem können Präsident und Justizminister Disziplinarverfahren gegen einzelne Verfassungsrichter einleiten - was in einem Fall bereits geschehen ist. Mit diesen Veränderungen scheint eine effektive und unabhängige Arbeit des Verfassungsgerichts unmöglich und damit auch seine Funktion als letzte wichtige demokratische Kontrollinstanz gefährdet.

Polens Präsident Andrzej Duda steht der Regierungspartei PiS nahe und unterstützt den propagierten Umbau des politischen Systems. Die Partei hatte bei der Parlamentswahl im Oktober 2015 die absolute Mehrheit erhalten. Gegen die neue Regierung hatten zuletzt wiederholt Zehntausende Menschen im ganzen Land demonstriert. Auch die EU-Kommission leitete ein Verfahren ein, um die Rechtsstaatlichkeit Polens zu überprüfen - es handelt sich um einen 2014 eingeführten Kontrollmechanismus, der nun erstmals angewendet wird.

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Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2016, S. 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2016

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