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GRUNDSÄTZLICHES/257: Menschenrechtsverletzungen an Kindern (ai journal)


amnesty journal 11/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Gewehre statt Bücher
In zahlreichen Ländern sind Menschenrechtsverletzungen an Kindern alltäglich.

Von Else Engel


John ist froh, wieder bei seiner Familie zu sein. Als er zehn Jahre alt war, wurde er von Mayi-Mayi Rebellen im Kongo aus der Schule entführt und musste diesen fünf Jahre als Kindersoldat dienen. Viele ehemalige Kindersoldaten haben kein Zuhause und keine Familie, zu der sie zurückkehren können. Doch auch für John ist es nicht leicht, denn es gibt nichts zu tun für ihn. "Ich würde gerne zur Schule gehen oder arbeiten", erklärt er, "aber ich habe kein Geld, es gibt keine Ausbildung und keine Arbeit. Ich bin traurig, da ich meiner Familie nicht helfen kann." Und dann sind da die Erinnerungen an die Zeit als Kindersoldat, die er zu verdrängen versucht.

Der Einsatz von Kindersoldaten ist nach internationalem Recht verboten, und jedes Kind hat ein Recht auf Bildung. Festgehalten sind diese Rechte unter anderem in der Kinderrechtskonvention. Diese wurde am 20. November 1989 durch die UNO-Generalversammlung angenommen und feiert in diesem Jahr ihren 18. "Geburtstag". Die Konvention legt unter anderem fest, dass kein Mensch unter 18 Jahren zum Tode oder zu lebenslanger Haftstrafe ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung verurteilt werden darf.

Alle UNO-Mitgliedsstaaten außer Somalia und den USA haben die Konvention ratifiziert. Sie haben sich damit verpflichtet, aktiv für das Wohl eines jeden Kindes einzutreten und bei allen Entscheidungen dieses Wohl vorrangig zu berücksichtigen.

Die Realität bietet jedoch auch 18 Jahre nach der Annahme der Konvention ein erschreckend düsteres Bild - schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen an Kindern sind auch heute weit verbreitet. Die Zahl der Minderjährigen, die von Regierungstruppen und bewaffneten Gruppen als Kindersoldaten eingesetzt werden, wird auf weltweit 250.000 geschätzt. Einige der Kinder werden wie John gewaltsam entführt und rekrutiert, andere treten freiwillig bei. Darin sehen sie oft ihre einzige Chance zu überleben und Hunger, Armut oder Arbeitslosigkeit entgehen zu können. Aus Sicht der Befehlshaber sind Kinder leicht zu unkritischem Gehorsam und furchtlosem Töten zu erziehen. Zu diesem Zweck werden die Kinder geschlagen, gefoltert und mit Hilfe von Drogen gefügig gemacht. Kinder werden auch als Spione, Wachposten oder Diener sowie für besonders gefährliche Aufgaben, wie das Auslegen oder Entschärfen von Landminen, eingesetzt. Unter den Kindersoldaten befinden sich sowohl Jungen als auch Mädchen, wobei insbesondere die Mädchen sexuell missbraucht werden.

Kindersoldaten sind jedoch nicht die einzigen Minderjährigen, die im Zusammenhang mit gewaltsamen Konflikten Menschenrechtsverletzungen erleiden. Fast die Hälfte der Vertriebenen und Flüchtlinge weltweit sind Minderjährige, schätzt der UNHCR. Diese Kinder sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalt und anderen Verbrechen zu werden.

Seit über neun Monaten werden rund 150 Flüchtlinge der Hmong-Minderheit aus Laos, darunter 77 Kinder und neun Säuglinge, von der thailändischen Einwanderungsbehörde inhaftiert, in kleinen fensterlosen Zellen und ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. Im Januar versuchten die thailändischen Behörden, die Gruppe gegen ihren Willen abzuschieben und das, obwohl die Flüchtlinge vom UNHCR als solche anerkannt sind.

Auch in Friedenszeiten können die Rechte der Kinder schwer verletzt werden. Allein in den USA sind tausend zur Tatzeit Minderjährige zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung verurteilt. Im Iran sitzen derzeit mindestens 70 zur Tatzeit Minderjährige in der Todeszelle. Beides steht im Widerspruch zum internationalen Recht, das Kindern eine menschliche und altersgerechte Behandlung im Strafjustizsystem zusichert.

Weltweit befinden sich rund eine Million Kinder im Gefängnis, viele unter unmenschlichen Bedingungen und ohne Gerichtsverfahren. Auch wenn man es nicht wahrhaben möchte, auch Kinder werden vorsätzlich gefoltert, meist von Polizei oder Sicherheitskräften. Dies hat gravierende Folgen für ihre physische und psychische Entwicklung.

Minderjährige aus diskriminierten Gruppen, wie armen Familien oder ethnischen Minderheiten, sind besonders schutzbedürftig. Armut und Verletzungen sozialer, kultureller oder wirtschaftlicher Rechte gehen häufig Hand in Hand. In Peru hat ein Viertel der Bevölkerung keinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung. Dies trifft insbesondere die Kinder hart. Ungefähr 45 Prozent der Todesfälle im Land betreffen Kinder unter fünf Jahren. Dabei wäre der Großteil dieser Todesfälle bei entsprechender medizinischer Versorgung vermeidbar, denn die meisten Kinder leiden unter Durchfallerkrankungen oder Unterernährung. Grund hierfür sind zum einen die hohen Kosten für medizinische Dienste und Fahrtwege. Selbst die Ausstellung einer Geburtsurkunde ist für viele Familien unerschwinglich, was wiederum dazu führt, dass die Kinder später nicht in die Krankenversicherung aufgenommen werden können.

Fehlende Geburtsurkunden können sich auch auf den Zugang zu Bildung auswirken. Kinder der ethnischen Gruppe der Roma erhalten in vielen Staaten Osteuropas keine Schulbildung, nicht nur aufgrund von Diskriminierung, sondern auch, weil die schulpflichtigen Kinder schwer zu identifizieren sind. Damit schließt sich der Teufelskreis aus Armut, fehlender Bildung und Diskriminierung. Betrachtet man die Zahl der 115 Millionen Kinder weltweit, die ohne jegliche Schulbildung aufwachsen, wird deutlich, dass auch heute eine Umsetzung des Rechts auf Bildung für jedes Kind in weiter Ferne liegt.

Doch es gibt auch Hoffnung, nicht zuletzt auch durch die betroffenen Kinder selbst: Natascha, die eine der wenigen Roma in Slowenien ist, die die Schule beendet hat, hilft nun, die Situation anderer Roma-Kinder aus ihrer Gemeinde zu verbessern. Sie berät und unterstützt deren Familien in allen Fragen, die sich um die Schulbildung drehen.

Auch Kindersoldaten wie John haben einen "Botschafter" erhalten: Ishmael Beah schrieb ein Buch über seine Erfahrungen als Kindersoldat in Sierra Leone, das in viele Sprachen übersetzt und so einer großen Öffentlichkeit zugänglich wurde. Er hatte die Chance, vor den Vereinten Nationen zu sprechen und die Staaten an ihre Verpflichtung zu erinnern, das Wohl des Kindes an erste Stelle zu setzen.


Die Autorin ist Mitglied der ai-Sektionsgruppe Kinderrechte.

Weitere Informationen unter www.amnesty-kinderrechte.de sowie unter:
Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe-AGJ www.agj.de
Children's Rights Information Network www.crin.org
Coalition to Stop the Use of Child Soldiers www.child-soldiers.org
Save the Children www.savethechildren.de
UNICEF www.unicef.de


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Quelle:
amnesty journal, November 2007, S. 16-17
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2007