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GRUNDSÄTZLICHES/310: Die Macht des Portemonnaies (ai journal)


amnesty journal 01/2014 - Das Magazin für die Menschenrechte

Die Macht des Portemonnaies

von Maja Liebing



Unternehmen sind an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Den internationalen Vereinbarungen fehlt es an Sanktionsmechanismen und damit an Durchschlagskraft.


Dass Unternehmen an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, ist bekannt: In Bangladesch verbrannten Textilarbeiterinnen in Fabriken, weil minimale Sicherheitsstandards nicht eingehalten wurden. In Kolumbien werden Gewerkschafter ermordet, weil sie sich für die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte einsetzen. Handys und Computer laufen nur mit Rohstoffen, die im Kongo und anderswo Krisen und Konflikte anheizen. Natürlich wollen Verbraucher mit ihrem Konsumverhalten nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen - doch welche Möglichkeiten haben sie, Einfluss zu nehmen?

Unternehmen verfügen heute über mehr wirtschaftliche Macht und damit auch politischen Einfluss als jemals zuvor. Der gesellschaftlichen Verantwortung, die damit verbunden ist, werden sie jedoch oft nicht gerecht. Gleichzeitig ist die Macht der Unternehmen nicht den notwendigen demokratischen oder rechtlichen Kontrollen unterworfen, weil die Regulierung der Unternehmen nicht mit der Globalisierung der Wirtschaft Schritt gehalten hat. Dies ist nicht zuletzt für all die Menschen ein Problem, die Opfer werden von Unternehmen, die lediglich an Profit interessiert sind und sich nur ihren Aktionären verantwortlich fühlen. Zwar folgen auf einen menschenrechtlichen Skandal oft hehre Versprechen von Politikern und Unternehmensvertretern, teilweise werden auch einige oberflächliche Maßnahmen ergriffen. Doch wenn die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nachlässt, wird zumeist weitergemacht wie zuvor.

Wie ist es möglich, dass die Menschenrechte - die doch eigentlich universelle Gültigkeit haben - häufig wirtschaftlichen Interessen geopfert werden? Ein Grund dafür ist, dass Unternehmen keine Völkerrechtssubjekte sind. Das heißt, sie sind nicht dem Völkerrecht unterworfen und damit auch nicht direkt an Menschenrechtsabkommen gebunden. Zwar hat der UNO-Menschenrechtsrat 2011 einstimmig Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte angenommen, die erstmals auch die Unternehmensverantwortung zur Achtung der Menschenrechte anerkennen. Es ist jedoch in erster Linie Aufgabe des Staates, seine Bürger durch Politik, Regulierung und Rechtssprechung vor Menschenrechtsverstößen durch Dritte - also auch durch Unternehmen - zu schützen.

Die Staaten fühlen sich jedoch oftmals nicht zuständig. Gerade große Unternehmen sind oft weltweit tätig, haben verschiedene Rechtsformen, Tochterunternehmen und Zulieferer. Diese undurchsichtigen Geflechte machen es für Außenstehende oft schwer, Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten klar zu erkennen. Besonders problematisch ist es, die Unternehmensverantwortung entlang der globalen Lieferketten zu bestimmen. Wenn ein Unternehmen gar nicht selbst oder über eine Tochterfirma im Ausland produziert, sondern Produkte über einen Zulieferer oder eine ganze Kette von Zulieferern einkauft - zum Beispiel Textilien aus Bangladesch oder Rohstoffe aus dem Kongo - fühlt es sich nicht zuständig für die Produktionsbedingungen.

Es wäre Aufgabe der Staaten, die entsprechenden Gesetze zu erlassen und durchzusetzen. Doch die Heimatländer der Unternehmen - oft Industriestaaten mit funktionierenden Rechtssystemen - verweisen auf die Verantwortlichkeit der Gastländer. Dabei handelt es sich oft um Entwicklungsländer mit schwachen staatlichen Strukturen, die nicht willens oder in der Lage sind, die Menschenrechte ihrer Bevölkerung gegen unternehmerische Interessen zu schützen.

Auch auf juristischem Weg kommen die Betroffenen häufig nicht zu ihrem Recht, weil die Justiz ihres Landes nicht unabhängig ist und das Heimatland des Unternehmens ihnen den Rechtsweg verwehrt oder durch hohe (finanzielle) Hürden praktisch versperrt. Menschenrechtler fordern seit langem, dass die Heimatstaaten ihre Unternehmen stärker regulieren müssen, um zu gewährleisten, dass diese ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht weltweit nachkommen, auch in ihren Tochterunternehmen und entlang der globalen Lieferketten. Außerdem müssen die Opfer zu ihrem Recht kommen. Ihnen muss auch in den Heimatländern der Unternehmen der Rechtsweg offen stehen und eine Klage praktisch möglich sein. Bislang haben diese Forderungen jedoch noch zu keinen substanziellen Verbesserungen geführt.

Dabei haben sich die Staaten sogar auf eine Reihe internationaler Standards für Unternehmensverantwortung geeinigt. Mit den Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte hat 2011 erstmals ein UNO-Gremium substanziell zum Thema Unternehmensverantwortung Stellung genommen. Die Leitlinien definieren sowohl die Pflicht der Staaten zum Schutz der Menschenrechte als auch die Unternehmensverantwortung zur Achtung der Menschenrechte sowie das Recht der Betroffenen auf Zugang zu effektiven Rechtsmitteln. Ein weiteres Beispiel sind die Leitsätze für multinationale Unternehmen, in denen die OECD-Staaten ihre Erwartungen an global agierende Unternehmen formulieren. Auch gibt es eine Reihe von Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die arbeitsrechtliche Standards definieren.

Doch es fehlt all diesen Standards an Verbindlichkeit bzw. an Sanktionsmechanismen. Beschwerdemechanismen wie die Nationalen Kontaktstellen, die die Einhaltung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sicherstellen sollen, sind häufig ineffizient und nicht unabhängig. Während die unternehmerischen Interessen im Handels- und Wettbewerbsrecht detailliert reguliert und durchgesetzt werden, finden sich menschenrechtliche Standards nur in unverbindlichen Absichtserklärungen wieder, nicht jedoch in verbindlichen und durchsetzbaren Gesetzen.

Angesichts dieser Ausgangslage kapitulieren viele Verbraucher. Niemand möchte, dass das eigene Konsumverhalten zu Menschenrechtsverletzungen beiträgt. Doch was kann der einzelne Verbraucher ändern angesichts übermächtiger globaler Konzerne und tatenloser Politik? Die Antwort lautet: Sicherlich nicht alles, aber doch so einiges. Wichtig ist es, sich der Macht des eigenen Portemonnaies und der Auswirkungen der eigenen Kaufentscheidungen bewusst zu werden und entsprechend zu handeln. Es gibt eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen, die kritischen Verbrauchern Hilfestellungen für den fairen Einkauf bieten. Auch viele Unternehmen wollen es besser machen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen (siehe Seite 35). Dies sollten Verbraucher honorieren.

Gerade im Textilbereich gibt es Unternehmen, die ihre Produkte unter menschenrechtskonformen Bedingungen produzieren lassen. Entweder, indem sie kritische Produktionsländer meiden und nur in ihrem Heimatland produzieren lassen. Oder indem sie dafür Sorge tragen, dass im Produktionsland bestimmte Mindeststandards eingehalten werden. Sie formulieren Bedingungen an die Zulieferer und die Regierungen der Länder und stellen durch Kontrollen die Einhaltung sicher. Unterstützung finden sie bei lokalen Organisationen oder weltweiten Initiativen wie der "Fair Wear Foundation" oder der "Clean Clothes Campaign". Diese sind auch gute Anlaufstellen für Verbraucher, denn sie bieten Informationen rund um das Thema saubere Kleidung und verweisen auf teilnehmende Unternehmen, bei denen Verbraucher guten Gewissens einkaufen können.

Verbraucher können aber auch selbst im Internet recherchieren. Auf den Webseiten der Unternehmen kann geprüft werden, ob es einen Verhaltenskodex gibt und ob über dessen Umsetzung berichtet wird. Mithilfe von Suchmaschinen kann geprüft werden, ob ein Unternehmen an menschenrechtlichen Skandalen beteiligt war. Hilfreich ist dabei auch das Online-Portal "Business & Human Rights". Es dokumentiert Berichte über die Beteiligung von Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen, bietet diesen aber auch die Möglichkeit, schriftlich auf diese Anschuldigungen zu reagieren. Beide Positionen werden auf der Webseite veröffentlicht.

Einen weiteren Anhaltspunkt kann die Zertifizierung von Produkten bieten. Allerdings haben viele Unternehmen Gütesiegel inzwischen als Hilfsmittel für Image-Kampagnen entdeckt, was zu vielen Zertifikaten und Labeln geführt hat, deren Aussagekraft fragwürdig ist. Daher sollten Zertifikate und Label immer kritisch hinterfragt werden. Wird tatsächlich die Einhaltung bestimmter sozialer, menschenrechtlicher oder ökologischer Standards garantiert? Oder handelt es sich um reines "Green-washing", also um den Versuch des Unternehmens, sich in einem besseren Licht zu präsentieren? Handelt es sich um eine rein unternehmerische Initiative, oder sind auch Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften beteiligt? Welche sozialen, menschenrechtlichen und Umweltstandards werden geprüft? Wie weit erstreckt sich die Prüfung, wird auch die weltweite Lieferkette mit einbezogen? Gibt es unabhängige Kontrollen, oder ist nur das Unternehmen selbst für die Einhaltung der Kriterien verantwortlich? Und nicht zuletzt: Wie relevant ist das Label für ein Produkt? Werden bei einem T-Shirt beispielsweise auch die Arbeitsbedingungen der Näherinnen zertifiziert oder nur die Baumwolle?

Klar ist: Das eine, richtige "Menschenrechts-Label" gibt es nicht. Doch gibt es durchaus Label, die in bestimmten Bereichen einen sehr hohen Standard garantieren. Damit können sie eine wichtige Hilfestellung für die Kaufentscheidung bieten. Orientierung im Dschungel der Label und Zertifikate bieten zum Beispiel die Webseiten "Label Online" der Verbraucher-Initiative oder "Grüne Mode" der Christlichen Initiative Romero.

Früher oder später stoßen Verbraucher mit ihren Recherchen jedoch an Grenzen. Denn bei vielen Unternehmen mangelt es an Transparenz, und Nichtregierungsorganisationen können mit ihren begrenzten Mitteln nur die Spitze des Eisbergs aufdecken. Solange es keine rechtlichen Vorgaben für mehr Transparenz gibt, wird sich ein Großteil unternehmerischen Handelns im Dunkeln abspielen. Mit diesem Zustand sollten sich Verbraucher jedoch nicht abfinden. Wenn ihnen Informationen über Unternehmen fehlen, sollten sie diese anschreiben und kritisch nachfragen, wie der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, auch in der weltweiten Lieferkette, nachgekommen wird. Verbraucher müssen zeigen, dass dieses Thema wichtig und kaufentscheidend ist.

Neben der Macht ihres Portemonnaies sollten sich Verbraucher aber auch ihrer Macht als Wähler bewusst sein und die Politik in die Pflicht nehmen. Gerade die deutsche Regierung spielt auf internationaler Ebene eine bremsende Rolle, wenn es um die stärkere Regulierung von Unternehmen geht. So etwa bei den Verhandlungen über verbindliche Richtlinien auf EU-Ebene.

Auch auf nationaler Ebene gibt es noch viele Gesetzeslücken, die geschlossen werden müssen. So sollte bei Menschenrechtsverstößen im Ausland, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind, deutsches Recht zur Anwendung kommen und eine Unternehmensstrafbarkeit möglich sein. Auch muss eine Durchgriffshaftung von Unternehmen für ihre ausländischen Tochter- und Zulieferbetriebe sowie Vertriebspartner rechtlich verankert werden, um zu verhindern, dass sich Unternehmen mit Hilfe juristischer Tricks aus der Verantwortung stehlen können. Durch Einführung eines entsprechenden Gesetzes muss sichergestellt werden, dass jegliche staatliche Unterstützung von Unternehmen - etwa durch Außenwirtschaftsförderung oder öffentliche Beschaffung - von der strikten Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfalt abhängig gemacht wird. Zudem müssen Klagen durch Betroffene aus dem Ausland in Deutschland rechtlich ermöglicht und die finanziellen und prozessualen Hürden verringert werden.

Freiwillige unternehmerische Initiativen sind wichtig und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen ist nicht zu unterschätzen - die verbindliche Regulierung von Unternehmen ersetzen können sie jedoch nicht.


Die Autorin ist Amerika-Referentin der deutschen Amnesty-Sektion und arbeitet auch zu Themen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte.


Informative Webseiten:

Business & Human Rights
- www.business-humanrights.org

Clean Clothes Campaign
- www.cleanclothes.org

Fair Wear Foundation
- www.fairwear.org

Label Online
- www.label-online.de

Online-Portal Grüne Mode
- www.ci-romero.de/gruenemode-Label

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Quelle:
amnesty journal, Dezember/Januar 2014, S. 26-28
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2014