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NORDAMERIKA/091: "Viele Amerikaner sehnen einen Wechsel herbei" (ai journal)


amnesty journal 08/09/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Viele Amerikaner sehnen einen Wechsel herbei"

Christoph Strässer, Mitglied im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, begleitete zusammen mit seinem britischen Kollegen Menzies Campbell eine Delegation von Amnesty International nach Washington. In ihren Gesprächen forderten sie die Schließung von Guantánamo und die Entlassung der dort inhaftierten Gefangenen.


FRAGE: Wie wurde Ihr Anliegen in Washington aufgenommen?

CHRISTOPH STRÄSSER: Die Reise stand unter dem Motto "Guantánamo schließen". Dazu gab es ja eine Initiative von Amnesty International mit 13 programmatischen Punkten, die wir in Washington vorgestellt haben. Die Reaktionen waren durchaus unterschiedlich. Mein Eindruck war, dass uns die hohen Vertreter aus dem State Department nicht richtig ernst genommen haben. Sie haben uns zwar zugehört, aber gleichzeitig zu verstehen gegeben, wir "Alten Europäer" wüssten nicht, was die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wirklich bedeutet. Das einzige Zugeständnis war, dass man Guantánamo schließen würde, wenn die Europäer alle dort einsitzenden Häftlinge übernehmen würden. Mein Eindruck war daher, dass sich im State Department derzeit nicht wirklich viel bewegt.

FRAGE: Guantánamo hat dem Ansehen der USA weltweit einen enormen Schaden zugefügt. Spielt das in Washington keine Rolle?

CHRISTOPH STRÄSSER: Wir hatten zum Glück auch Gesprächspartner aus dem Kongress. Sowohl den Demokraten als auch den Republikanern war klar, dass das Bild der USA als Staat, der für Freiheit und Demokratie steht, durch Guantánamo mehr als gefährdet ist. Sowohl aus dem Lager von McCain als auch bei den Demokraten gibt es ernsthafte Bemühungen, einen Richtungswechsel einzuleiten. McCain wurde ja mit den Worten zitiert, dass er im Falle seiner Wahl zum Präsidenten Guantánamo schließen und alle Inhaftierten vor ein amerikanisches Gericht stellen würde. Das Problem ist, dass jetzt alle auf die Präsidentschaftswahlen fixiert sind und sich in Bezug auf Guantánamo bis dahin nichts bewegen wird.

FRAGE: Ist das Thema im Wahlkampf präsent?

CHRISTOPH STRÄSSER: Es ist auf jeden Fall präsent. Auf republikanischer Seite gibt es die vage Hoffnung, dass der Amtsinhaber Bush dem republikanischen Kandidaten McCain einen Gefallen tun und in seiner verbleibenden Amtszeit Guantánamo schließen wird. Ich teile diese Hoffnung nicht. Aber ich gehe davon aus, dass dies auch im Wahlkampf thematisiert wird.

FRAGE: Sie trauen den Demokraten also eher den Richtungswechsel zu?

CHRISTOPH STRÄSSER: Ja. Es wurde während all unserer Gespräche sehr klar, dass viele fortschrittlich und liberal eingestellten Amerikanerinnen und Amerikaner einen Politikwechsel herbeisehnen, auch um das Ansehen der USA in der Welt wieder zu verbessern.

FRAGE: Wie wurde die Frage nach der Aufnahme von Guantánamo-Gefangenen diskutiert?

CHRISTOPH STRÄSSER: Dieses Thema stand praktisch bei allen Gesprächen im Mittelpunkt. Es wurde sehr deutlich, dass auch eine neue Administration die in Guantánamo einsitzenden Häftlinge nicht in die USA einreisen lassen wird. Und davon sind selbst diejenigen Gefangenen betroffen, die ohne Zweifel unschuldig sind. Diese Botschaft ist uns an allen Stellen immer wieder vermittelt worden. Wir wiederum haben darauf hingewiesen, dass man dieses Problem, das die Amerikaner geschaffen haben, nicht auf die Europäer abladen kann. Die Lage ist sehr kompliziert, da viele der dort Einsitzenden nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Das gilt zum Beispiel für die Uiguren, die man eben nicht nach China zurückschicken kann. Darüber herrscht Einigkeit. Daher muss Europa und auch Deutschland sich darüber verständigen, dass wir aus Gründen der Humanität und der Menschenrechte bereit sind, einen Teil dieser Menschen in Europa und auch in Deutschland aufzunehmen.

FRAGE: Ihr Abgeordnetenkollege Christian Ströbele fordert, Deutschland solle vorangehen und z.B. die Uiguren aufnehmen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier fordert erst eine Übereinkunft über eine gesamteuropäische Lösung. Was ist die richtige Vorgehensweise?]

CHRISTOPH STRÄSSER: Albanien hat ja bereits einige Uiguren aufgenommen. Dabei ist Albanien nun nicht gerade ein europäisches Musterland, auch was die soziale Situation von Flüchtlingen anbelangt. In jedem Fall wäre eine europäische Lösung sinnvoll, wie es auch in anderen Fällen diskutiert wird. Derzeit sind wir mit dem UNHCR im Gespräch über ein Resettlement-Programm für irakische Flüchtlinge. Wir müssen aber immer daran denken, dass in Guantánamo Menschen unter unwürdigen Umständen leben müssen, die nicht noch lange auf eine europäische Lösung warten können. In diesem Fall sollte Deutschland selbst initiativ werden und aus menschenrechtlichen und humanitären Gründen unschuldig Inhaftierte aufnehmen.

FRAGE: Wurde auch das Thema Folter im Zusammenhang mit Guantánamo diskutiert?

CHRISTOPH STRÄSSER: Wir haben über alles gesprochen, was mit Guantánamo zusammenhängt. Es ist schon sehr deutlich, dass die Auffassung von Präsident George W. Bush, Waterboarding sei keine Folter, von der breiten Mehrheit der Kongressabgeordneten nicht geteilt wird.

FRAGE: Ist der politische Wille erkennbar, spätestens nach der Präsidentschaftswahl solche Praktiken einzustellen?

CHRISTOPH STRÄSSER: Es war den Arbeitsstäben der Ausschüsse klar, dass die Ablehnung von Folter bedeutet, dass auch andere Formen der unwürdigen Behandlung nicht akzeptiert werden können. Ich bin optimistisch, dass sich nach den Wahlen in der Gesetzgebung etwas ändern wird.

FRAGE: Haben Sie auch über die CIA-Flüge gesprochen?

CHRISTOPH STRÄSSER: Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass wir als Parlamentarier aus Europa mit unseren Möglichkeiten auf Aufklärung drängen. Wir wissen ja, dass wir in Deutschland einen US-Stützpunkt haben, über den vermutlich Gefangene in Länder transportiert wurden, in denen sie aller Wahrscheinlichkeit nach gefoltert wurden. Es steht außer Frage, dass auch die Europäer eine Verantwortung für die Einhaltung rechtstaatlicher Standards haben.

FRAGE: Wie bewerten Sie den Stand der Aufklärung dieser Flüge?

CHRISTOPH STRÄSSER: Es hat die Untersuchungen des Europarats gegeben, deren Ergebnisse von dem Ermittler Dick Marty veröffentlicht wurden. Wir haben in Deutschland diese Angelegenheit sowohl im Parlamentarischen Kontrollgremium als auch im Untersuchungsausschuss diskutiert. Zum Teil sind die Erkenntnisse wegen Geheimhaltungsvorschriften nicht öffentlich. Es muss sich aber noch zeigen, ob diese Form der Aufklärung ausreicht. Ich würde mir wünschen, dass die Standards der Überprüfung der Geheimdienste verbessert werden.

FRAGE: Sind die Geheimdienste ein Staat im Staat?

CHRISTOPH STRÄSSER: Ich bin schon lange davon überzeugt, dass Geheimdienste dazu neigen, sich zu verselbstständigen. Es sagt schon ihr Name, dass sie in einer Grauzone arbeiten und auch arbeiten müssen, sonst könnten sie ihre Aufgabe nicht erfüllen. Dennoch glaube ich, dass auch die Arbeit der Geheimdienste menschenrechtlichen Standards genügen muss. Sie muss jederzeit von den dafür vorgesehenen Kontrollinstanzen überprüfbar sein. Wir dürfen insbesondere in der Zusammenarbeit mit jenen Staaten, die wir zu Recht wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen kritisieren, keine Methoden zulassen, die unseren eigenen Ansprüchen an Rechtstaatlichkeit und Humanität nicht gerecht werden.

FRAGE: Reicht das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) aus, um Menschenrechtsverletzungen der Geheimdienste wirksam zu verhindern?

CHRISTOPH STRÄSSER: Parlamentarier, die nicht im PKG sind, erfahren nichts über die Arbeit dieser Dienste, Mitglieder können zumindest gezielt nachfragen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Vorfälle öffentlich gemacht werden müssen, bei denen parlamentarisches oder gar strafrechtliches Handeln nötig ist. Es darf nicht sein, dass Geheimdienste außerhalb unserer Rechtsordnung stehen. Die Wahrung der Menschenrechte ist die Basis unseres politischen Handelns. Und das muss auch für die Geheimdienste gelten.


Interview: Ali Al-Nasani

Christoph Strässer
Der Rechtsanwalt aus Münster ist Mitglied des Bundestages sowie Sprecher der Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe der SPD-Bundestagsfraktion.


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2008, S. 34-35
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2008