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RUSSLAND/072: Russische Regierung verschärft Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen (ai journal)


amnesty journal 04/05/2013 - Das Magazin für die Menschenrechte

Agenten und Spione
Der Spielraum wird immer enger: Die russische Regierung verschärft die Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen drastisch.

von Peter Franck



Es ist noch nicht lange her, da berichtete das Amnesty Journal über den Prozess gegen die Musikerinnen von "Pussy Riot", die wegen einer "Punk-Performance" in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden (Amnesty Journal 10-11/2012). Das Exempel, das an ihnen ohne zureichende Rechtsgrundlage statuiert wurde, sollte allem Anschein nach dazu dienen, einer sich kritischer gebärdenden Öffentlichkeit in Russland Grenzen zu setzen. Nicht anders sind Gesetzesverschärfungen im Bereich der Demonstrations- und Meinungsfreiheit zu deuten. Die unter dem Stichwort "Agentengesetz" bekannt gewordenen Regelungen, die vor der Sommerpause des Parlaments im vergangenen Jahr verabschiedet wurden, sind seither bereits zweimal verschärft worden und engen den Spielraum unabhängiger Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiter ein.

Bereits das Ende 2005 verabschiedete sogenannte "NGO-Gesetz" enthält umfangreiche Berichtspflichten für entsprechende Organisationen und gewährt Behörden weitreichende Kontrollrechte. Unter vagen Voraussetzungen sind Sanktionen bis hin zur Schließung von NGOs möglich. In der Folge hat es nur vereinzelt Schließungen unabhängig arbeitender Organisationen gegeben. Ihre Arbeit ist aber durch das neu eingeführte Berichtswesen bürokratisiert worden, das sich wie Mehltau auf die Arbeit der Organisationen gelegt hat.

Während der Amtszeit von Präsident Medwedew sind die bürokratischen Belastungen durch das Gesetz verringert worden. Doch ungeachtet der liberaleren Rhetorik dieses Präsidenten zeigte "die Macht" gegenüber unabhängigen Nichtregierungs-Organisationen immer wieder Präsenz: Vor den Regionalwahlen im Oktober 2010 sahen sich vor allem aus dem Ausland finanzierte Organisationen - unter ihnen die für ihre unabhängige Wahlbeobachtung bekannte Organisation "Golos" - Ersuchen der Staatsanwaltschaft ausgesetzt, innerhalb von Stunden bestimmte Papiere und Buchhaltungsunterlagen vorzulegen. Das Vorgehen wurde damit begründet, dass man die Umsetzung des NGO-Gesetzes kontrollieren wolle.

Unter dem Eindruck sich verbreitender Proteste nach den von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlen im Dezember 2011 wurde es für die russischen NGOs dann wirklich ernst: Nach der Wahl Putins zum Präsidenten verabschiedete das Parlament 2012 Regelungen, die als "Agentengesetz" bekannt wurden. Sie zwingen NGOs, die sich "politisch" betätigen und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren und auf diesen Status in ihren offiziellen Publikationen hinzuweisen. Scheinheiligen Beteuerungen zum Trotz, das Wort "Agent" sei lediglich als "Vertreter" zu verstehen, ist die Botschaft eindeutig: Jegliche tatsächliche oder befürchtete Einflussnahme von außen wird in die Nähe von Spionage gerückt. Ein Muster, mit dem bereits Regierungen der Sowjetunion arbeiteten und mit dem die Bevölkerung erfolgreich hinter der Macht versammelt werden konnte. Die Angst vor ausländischen Spionen und insbesondere vor US-amerikanischer Einflussnahme spielt immer noch eine große Rolle.

Noch bevor das "Agentengesetz" im November 2012 in Kraft trat, unterzeichnete Präsident Putin schon das nächste Gesetz: Verschärfungen der Bestimmungen über den Landesverrat führen nun dazu, dass russische Staatsbürger, die Angestellte internationaler Organisationen sind oder mit diesen zusammenarbeiten, schnell in den Verdacht des Landesverrats geraten können: Machen sie diesen Organisationen Staatsgeheimnisse zugänglich oder arbeiten sie auf andere Weise mit internationalen Organisationen zusammen, die "russische Sicherheitsinteressen" beeinträchtigen, sind sie mit dem für Landesverrat vorgesehenen Strafrahmen von bis zu 20 Jahren Freiheitsstrafe konfrontiert. Es gibt keinerlei Garantien dafür, dass russische Behörden künftig nicht "russische Sicherheitsinteressen" durch die Arbeit internationaler Organisationen wie der OSZE oder nichtstaatlicher Organisationen wie Amnesty International beeinträchtigt sehen.

Präsident Putin unterzeichnete die neuen Bestimmungen über den Landesverrat unmittelbar vor dem Beginn des Mitte November 2012 in Moskau tagenden Forums des deutsch-russischen "Petersburger Dialogs". Dieser begreift sich als "offenes Diskussionsforum", das "die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder fördern will". Das hat Vertreter von in beiden Ländern tätigen NGOs dazu veranlasst, in einer gemeinsamen Erklärung die Verschärfungen der NGO-Gesetzgebung als Widerspruch zur Idee einer europäischen Zivilgesellschaft zu verurteilen und die Rücknahme der Gesetze zu fordern.

Auch die deutsch-russische Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft innerhalb des Petersburger Dialogs reagierte mit einer Grundsatzerklärung, nach der die grenzüberschreitende finanzielle Unterstützung von NGOs "natürlicher Ausdruck der moralischen Solidarität zivilgesellschaftlicher Strukturen auf der regionalen oder globalen Ebene" ist (www.amnesty.de/petersburg).

Vorläufiger Schlusspunkt der gesetzlichen Restriktionen gegen Nichtregierungsorganisationen ist das "Dima-Jakowlew-Gesetz", mit dem das russische Parlament auf den von US-Präsident Obama im Dezember 2012 unterzeichneten sogenannten "Sergei Magnitsky Rule of Law Accountability Act of 2012" reagiert hat. Das US-Gesetz ermöglicht es unter anderem, russischen Beamten, die im Verdacht stehen, schwere Menschenrechtsverletzungen verübt zu haben, die Einreise in die USA zu verbieten. In der Öffentlichkeit kaum diskutiert, verhindert das im Gegenzug verabschiedete russische Gesetz nicht nur Adoptionen russischer Waisenkinder durch US-Bürger, sondern richtet sich erneut gegen die Arbeit von russischen Nichtregierungsorganisationen: Nehmen sie an "politischen Aktivitäten" teil oder beeinträchtigen sie "russische Sicherheitsinteressen", müssen sie mit der Suspendierung ihrer Arbeit rechnen. Wer auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, kann weder Mitglied noch Führer einer "politischen" NGO sein. Das gilt auch für nationale Zweige internationaler Organisationen.

Russische Menschenrechtsorganisationen haben sich in ihrer großen Mehrheit nicht als "ausländische Agenten" registriert. Elf führende Organisationen sind Anfang Februar 2013 mit der Erklärung "Wir sind keine Agenten" an die Öffentlichkeit getreten und haben sich mit einem Gesuch gegen das "Agentengesetz" an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt.


Der Autor ist Sprecher der Koordinationsgruppe Russische Föderation der deutschen Amnesty-Sektion.

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Quelle:
amnesty journal, April/Mai 2013, S. 48-49
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2013