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AKTION/1007: Urgent Action - Syrien - 70-Jähriger ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-101/2012, AI-Index: MDE 24/034/2012, Datum: 5. April 2012 - gs

Syrien
70-Jähriger ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft


ISMA'IL OTHMAN AL-SALILAH, 70 Jahre alt, Lehrer im Ruhestand

Der 70 Jahre alte Isma'il Othman al-Salilah wird seit dem 19. März 2012‍ ‍ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, Berichten zufolge vom Nachrichtendienst der Luftwaffe. Die Festnahme des syrischen Staatsbürgers steht vermutlich mit dem Einsatz seines Sohnes für Reformen im Land in Zusammenhang. Isma'il Othman al-Salilah ist in schlechter gesundheitlicher Verfassung und muss täglich Medikamente zu sich nehmen. Ob ihm die Medikamente in der Haft verabreicht werden, ist nicht bekannt. Zudem besteht die Gefahr, dass Isma'il Othman al-Salilah gefoltert oder misshandelt wird.

Isma'il Othman al-Salilah ist in Maarat al-Numaan beheimatet, einer Ortschaft in der Provinz Idlib im Nordwesten des Landes. Seine Festnahme erfolgte am 18. März 2011. Ghassan al-Salilah, der Sohn des 70-Jährigen, erfuhr von einem/r AugenzeugenIn, dass sein Vater in der Nähe der Stadt Aleppo an einer dort zeitweilig errichteten Straßensperre verhaftet worden ist. Ortansässigen ist bekannt, dass die Straßensperre vom Luftwaffengeheimdienst kontrolliert wird. Ghassan al-Salihah, der sich an Demonstrationen und anderen Aktivitäten für Reformen in Syrien beteiligt hat und derzeit im Ausland lebt, vermutet, dass sein Vater im Zusammenhang mit dem Engagement von Familienmitgliedern für einen Reformprozess in Syrien festgenommen worden ist. Ghassan al-Salilah selbst war am 31. April 2011‍ ‍wegen seines Einsatzes für Reformen vom Staatssicherheitsdienst festgenommen, am 1. Juni 2011 aber im Zuge einer Generalamnestie ohne Anklageerhebung wieder frei gelassen worden. Die Amnestie hatte sich auf "alle Mitglieder politischer Bewegungen, einschließlich der Muslimbruderschaft" erstreckt.

Der im Ruhestand befindliche Sekundarschullehrer Isma'il Othman al-Salilah ist nach Auskunft seines Sohnes seit Beginn der Demonstrationen für Reformen im Jahr 2011 nicht mehr politisch aktiv. Sollte er allein wegen des Einsatzes seines Sohnes festgenommen worden sein, würde es sich bei ihm um einen gewaltlosen politischen Gefangenen handeln, der unverzüglich und bedingungslos frei gelassen werden muss. Sorge besteht zudem um die Gesundheit von Isma'il Othman al-Salilah, der an Diabetes und Bluthochdruck leidet und deshalb täglich Medikamente einnehmen muss.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Demonstrationen für Reformen in Syrien begannen im Februar 2011 und entwickelten sich im März, nachdem TeilnehmerInnen getötet worden waren, zu Massenprotesten. Obwohl die Demonstrationen weitgehend friedlich verliefen, reagierten die Behörden in ihrem Bestreben, die Proteste niederzuschlagen, mit großer Brutalität. Seitdem finden zwar auch weiterhin friedliche Demonstrationen statt, zunehmend nehmen die Proteste aber auch gewalttätige Züge an. Bewaffnete Oppositionsgruppen, von denen sich viele unter dem Namen "Freie Syrische Armee" (FSA) in einem losen Verbund zusammen geschlossen haben verüben Anschläge, die sich in erster Linie gegen die syrischen Sicherheitskräfte richten. Amnesty International verfügt über die Namen von mehr als 7600 Menschen, die Berichten zufolge seit Mitte März im Zusammenhang mit den Demonstrationen gestorben sind oder getötet wurden. Vermutlich sind viele von ihnen von den Sicherheitskräften, die mit scharfer Munition gegen die Protestierenden vorgegangen sind, erschossen worden, während sie an friedlichen Demonstrationen oder der Beisetzung von Opfern früherer Proteste teilnahmen. Auch Angehörige der Sicherheitskräfte sind getötet worden, einige von abtrünnigen Soldaten, die ihre Waffen nun gegen die Regierung einsetzen.

Tausende weitere Menschen wurden festgenommen und viele von ihnen ohne Kontakt zur Außenwelt an unbekannten Orten in Haft gehalten, an denen Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung sein sollen. Seit dem 1. April 2011 sind mehr als 300 Menschen unter Verdacht erregenden Umständen in der Haft zu Tode gekommen. Syrien verfügt über mehrere Sicherheits- und Nachrichtendienste sowie einige Gruppierungen mit unklaren Strukturen, die oftmals zwar bewaffnet, aber nicht immer uniformiert sind. Diese Gruppierungen sind für Entführungen, Tötungen und andere Straftaten verantwortlich, die offenbar von BehördenvertreterInnen koordiniert, zumindest aber geduldet werden. Amnesty International liegen Berichte vor, denen zufolge bewaffnete Personen Menschen, die als AnhängerInnen der Regierung gelten, bedrohen, misshandeln und in einigen Fällen töten. Seit April 2011 hat Amnesty International in Syrien systematische und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Die Organisation hat dazu aufgerufen, die Situation in Syrien der Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshof zu unterbreiten, ein internationales Waffenembargo gegen das Land verhängen und die Vermögenswerte von Präsident al-Assad und seinen engsten Vertrauten einzufrieren. Die syrische Regierung hat zwar am 27. März 2012 den von Kofi Annan, dem Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien, vorgelegten Sechs-Punkte-Plan akzeptiert, gleichwohl gehen bei Amnesty International auch weiterhin Meldungen über Festnahmen und anhaltende Inhaftierungen ein. Die Bedingungen, unter denen Menschen in Syrien in Haft gehalten werden, kommen dem Verschwindenlassen gleich. Seit dem 27. März sind Amnesty International die Namen von 393 getöteten Menschen zur Kenntnis gelangt.

Amnesty International hat bereits in der Vergangenheit Vorfälle dokumentiert, bei denen die Sicherheitskräfte Menschen allein wegen ihrer familiären Verbindungen zu vermeintlichen AktivistInnen in Haft genommen haben. Dazu zählen 'Abd al-Rahman Hammada und sein Bruder Wa'el Hammada (siehe Eilaktion 87/2011) sowie 'Awad Jassim 'Abbas (siehe Torture fear for dozens arrested in Damascus suburb, 18. Juli 2011, unter
www.amnesty.org/en/news-and-updates/syria-dozens-held-during-siege-damascus-suburb-2011-07-18).


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte meine Sorge darüber ausdrücken, dass Isma'il Othman al-Salilah seit dem 16. Februar ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten wird und von Folter und anderweitiger Misshandlung gefährdet ist.

- Stellen Sie bitte sicher, dass Isma'il Othman al-Salilah unverzüglich Kontakt zu seiner Familie und einem Rechtsbeistand eigener Wahl aufnehmen kann und medizinisch angemessen versorgt wird.

- Ich erwarte, dass Isma'il Othman al-Salilah unverzüglich und bedingungslos frei gelassen wird, sollte er sich ausschließlich aufgrund der Aktivitäten von Mitgliedern seiner Familie in Haft befinden. Anderenfalls muss er umgehend einer erkennbar strafbaren Handlung angeklagt sowie in zügiger und fairer Weise vor Gericht gestellt werden.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace, al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 332 3410

INNENMINISTER
Major General Mohamad Ibrahim al-Shaar
Ministry of Interior, 'Abd al-Rahman Shahbandar Street
Damascus, SYRIEN
Fax: (00 963) 11 311 0554


KOPIEN AN

JUSTIZMINISTER
Judge Tayseer Qala Awwad
Ministry of Justice
Al-Nasr Street, Damascus, SYRIEN
Fax: (00 963) 11 666 2460
BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
S.E. Herr Radwan Loutfi
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 17. Mai 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern that Isma'il Othman al-Salileh has been held incommunicado since 19 March 2012 and that he is at risk of torture or other ill-treatment.

- Calling on the Syrian authorities to allow him contact with his family, a lawyer of his choice and immediate and regular access to all necessary medical care.

- Calling for the immediate and unconditional release of Isma'il Othman al-Salileh if he is held solely in connection with the activities of family members, otherwise he should be released unless he is to be promptly charged with an internationally recognizable criminal offence and tried promptly in accordance with fair trial standards.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-101/2012, AI-Index: MDE 24/034/2012, Datum: 5. April 2012 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2012