Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → BEDROHTE VÖLKER


AFRIKA/602: Neue erschreckende Zahlen zu Blutbad in Äthiopien


Presseerklärung vom 4. Oktober 2016

Bis zu 678 Tote bei Blutbad am Wochenende - Neue Proteste der Oromo

Massenmord in Äthiopien nicht verharmlosen


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat davor gewarnt, den Massenmord an Oromo in Äthiopien zu verharmlosen. "Das tragische Ende des Erntedankfests der Oromo markiert eine Zäsur", sagte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Dienstag in Göttingen. "Wir befürchten, dass die Proteste weiter zunehmen und weniger friedlich sein werden, weil nicht nur die Oromo, sondern eine breite Bevölkerungsmehrheit in Äthiopien über das menschenverachtende Verhalten der Regierung tief verärgert ist. Denn die Pilger mussten nicht sterben wegen einer bedauerlichen Massenpanik bei einem Großereignis, sondern wegen einer gezielten Provokation der äthiopischen Regierung."

Bis zu 678 Menschen sind nach Informationen der bedeutendsten Oromo-Partei, des Oromo Federalist Congress (OFC), beim Einsatz von Sicherheitskräften beim Erecha-Fest am Sonntag getötet worden. Die Zahl der Opfer drohe noch weiter zu steigen, da sich in den Krankenhäusern noch 400 Schwerverletzte befinden würden, weitere 900 Oromo hätten leichtere Verletzungen erlitten, erklärte heute Mulatu Gemechu, der stellvertretende OFC-Vorsitzende. Die Behörden räumen bisher nur den Tod von 55 Menschen ein.

"Die Behörden trifft eine direkte Verantwortung für den Tod der vielen Menschen, weil sie sich nicht an die mit den Veranstaltern vereinbarten Vorgaben gehalten haben, sich bei diesem religiösen und kulturellen Fest jeder politischen Vereinnahmung zu enthalten", erklärte Delius. Als der Regierung nahestehende Politiker eine Rede vor den Pilgern halten wollten, erhoben sich Sprechchöre für Gerechtigkeit und Demokratie. Auf diese Proteste reagierten die Sicherheitskräfte mit dem Einsatz von Tränengas und scharfer Munition, so dass Panik unter den hunderttausenden Oromo-Pilgern ausbrach.

"Die Situation ist nicht nur für Äthiopiens Regierung hochbrisant, sondern auch für die EU, da bei einer Eskalation der Spannungen und Menschenrechtsverletzungen eine weitere Zunahme der Massenflucht von Oromo und anderen verfolgten ethnischen Gruppen nach Europa zu erwarten ist," erklärte Delius. "Die Repression zu ignorieren hilft nicht, sondern ermutigt Äthiopiens Sicherheitskräfte nur zu noch mehr Willkür und Gewalt", erklärte die Menschenrechtsorganisation vor der am kommenden Sonntag beginnenden Afrika-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sie auch nach Äthiopien führen wird.

Im Vorfeld des Erntedankfestes hatten die Verantwortlichen für die Ausrichtung der Zeremonie im Rahmen des traditionellen Gadaa-Systems der Oromo die Behörden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um ein religiöses und kulturelles Fest handele, bei der Politik keinen Platz habe. Doch die Behörden bestanden auf Reden offizieller Vertreter und wollten sogar durchsetzen, alle Oromo-Pilger namentlich zu erfassen. Auch mobilisierten sie massiv regierungstreue Oromo und Funktionäre, um bei dem Fest für die Regierungspolitik zu werben. "Diese Provokationen führten dazu, dass zehntausende Oromo lautstark Gerechtigkeit forderten", sagte Delius.

Am Montag brachen dann Proteste unter anderem in den Städten Ambo, Shashamene, Bischoftu, Arsi Negele, Zway, Gimbi, Meta Robi aus, bei denen weitere Personen getötet und zahlreiche Oromo verhaftet wurden. Wütende Demonstranten bewarfen Autos mit Steinen und blockierten Straßen, eine Zollstation und eine Polizei-Dienststelle wurden niedergebrannt.

*

Presseerklärung vom 2. Oktober 2016

Äthiopien: Mehr als 200 Tote bei neuerlichem Blutbad überschatten bevorstehende Reise der Bundeskanzlerin (9.-11.10.)

- Merkel darf zu Massenmord nicht schweigen
- Äthiopien muss unabhängige internationale Untersuchung zulassen


Nach dem gewaltsamen Tod von mehr als 200 Oromo bei den Feiern zu ihrem Erntedankfest in Äthiopien hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gefordert, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Klartext zur dramatischen Menschenrechtslage sprechen muss, wenn sie am kommenden Wochenende in das Land am Horn von Afrika reist. "Fast jeden Monat wird ein neuer Massenmord von Sicherheitskräften an friedlichen Demonstranten in Äthiopien verübt. Wer aus Hubschraubern auf unbewaffnete Frauen, Männer und Kinder schießen lässt, darf kein privilegierter Partner der EU und Deutschlands sein", erklärte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Sonntag in Göttingen.

Nachdrücklich forderte die GfbV eine unabhängige internationale Untersuchung der Gewalt und eine Bestrafung der Verantwortlichen. Als die Vereinten Nationen nach dem letzten Massaker der Sicherheitskräfte in Äthiopien, bei dem 104 Menschen am 5./6. August 2016 getötet wurden, eine unabhängige Untersuchung verlangten, wiesen die äthiopischen Behörden die Forderung entrüstet zurück. "Als Mitglied des UN-Menschenrechtsrates ist es das Mindeste, das Äthiopien UN-Menschenrechtsexperten einreisen und die Gewalt untersuchen lässt. Bei der blutigen Niederschlagung von Protesten wurden in Äthiopien bereits mindestens 570 Oromo und Amhara zwischen November 2015 und September 2016 getötet.

Bei einem der bedeutendsten kulturellen und religiösen Feste der Oromo-Bevölkerungsgruppe kamen heute mehr als 200 Menschen zu Tode, als nach Protestrufen gegen Äthiopiens Regierung Soldaten aus Hubschraubern Tränengas über der Menschenmenge abwarfen und das Feuer aus Maschinengewehren eröffneten. Einige Augenzeugen berichteten auch vom Schusswaffen-Einsatz von auf dem Boden stationierten Soldaten. Noch ist die Zahl der Opfer ungewiss. Augenzeugen sprechen von bis zu 300 Toten. Nach Angaben von Oromo-Menschenrechtlern sollen 295 Leichname in mehreren Krankenhäusern und Leichenhallen in der Region gezählt worden sein.

Regelmäßig nehmen zwei bis drei Millionen Oromo an den Feiern des Erecha-Festes an dem Hora-See in der Umgebung der Hauptstadt Addis Abeba teil. Durch den Einsatz der exzessiven Gewalt kam es zu einer Massenpanik, in deren Verlauf viele Menschen getötet wurden, als sie von der Steilküste in den See stürzten.

ACHTUNG: Die GfbV wird am kommenden Mittwoch (5.10.) in Berlin am Brandenburger Tor zwischen 11 und 13 Uhr gegen das Schweigen der deutschen Bundesregierung und der EU zu den Verbrechen in Äthiopien demonstrieren. Mit phantasievollen Aktionen werden wir gegen die Kooperation der EU und Deutschlands mit Äthiopien und dem Sudan in Flüchtlingsfragen protestieren und auf die katastrophale Menschenrechtslage in beiden Ländern aufmerksam machen.

*

Quelle:
Presseerklärung Göttingen, vom 2. und 4. Oktober 2016
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang