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AKTION/167: Offener Brief - Vertreibung ist immer und überall ein Verbrechen


Presseerklärung vom 29. Juni 2007

Vertreibung ist immer und überall ein Verbrechen

Offener Brief an Ministerpräsident Christian Wulff


OFFENER BRIEF
An Ministerpräsident Christian Wulff
Staatskanzlei, Planckstraße 2
30169 Hannover

Vertreibung ist immer und überall ein Verbrechen


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

Sie werden auf dem Schlesiertreffen in Hannover sprechen.

Schlesien war Jahrhunderte bis 1945 ein deutsches Land wie Niedersachsen und ist durch Krieg - vor allem durch Vertreibung - leider untergegangen. Nur im äußersten Osten leben noch alle Oberschlesier. Die Schlesier haben gelitten als Opfer von Vergewaltigung, Zwangsarbeit, Inhaftierung, viele wurden ermordet oder vertrieben. Angesichts dieses traurigen Schicksals gibt es in der Tat keinen Grund dort nicht zu sprechen.

Meine Familie mütterlicherseits kam aus Bunzlau in Niederschlesien. Meine Mutter war dort Keramikerin. Mein Großvater, der dort Stadtbaurat und als Architekt den Freimaurern angehörte, war mit schlesischen, jüdischen Persönlichkeiten eng befreundet. Zu ihnen gehörte ein bekannter wohlhabender Unternehmer und großzügiger Mäzen in Bunzlau, der Stipendien vergab, Schulen und Museen unterstützte, kurzum, der alles für diese Stadt getan hat. Er und andere jüdische schlesische Einwohner, stolz auf ihre Region, wurden Opfer des Holocaust oder konnten sich in die Schweiz retten. Auch ihrer sollte man morgen gedenken.

Der Gründer der SPD Ferdinand Lassalle aus Breslau hätte er später gelebt, hätte dieses Schicksal geteilt.

Verbrechen, deutsche, polnische, kann man nicht gegeneinander aufrechnen. Massenvertreibung, Massenmord, Konzentrations- und Arbeitslager, sind immer und überall ein Verbrechen. Alle Opfer mahnen uns zur Versöhnung. Die jüngsten Verhaltensweisen polnischer Politiker weisen darauf hin, dass manche unserer europäischen, polnischen Landsleute diesen Schritt noch nicht getan haben.

Mit freundlichem Gruß,

Tilman Zülch
(Generalsekretär)

PS: Wenn Ihr von Millionen Deutschen abgelehnter und von heutigen Flüchtlingen gefürchteter Innenminister Menschen, die seit vielen Jahren meist als politische Flüchtlinge oder als Minderheitenangehörige in Deutschland ansässig sind, mit ihren deutschsprachigen und oft hier geborenen Kindern aus dem Land jagt, obwohl sich ganze Schulen und Lehrerschaften dagegen wenden und denen Kirchengemeinden zur Hilfe kommen wollen, dann ist auch das Vertreibung!

Wir bedauern es, dass Ihre Kanzlei Briefe, die sich gegen solches Unrecht aussprechen, oft nicht beantwortet.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 29. Juni 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-0, Fax: 0551/58028
E-Mail: info@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2007