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AKTION/189: Kampf gegen Genozid muß Leitlinie deutscher und EU-Außenpolitik werden


Presseerklärung vom 8. Dezember 2008

60 Jahre UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

Kampf gegen Genozid muss Leitlinie deutscher und EU-Außenpolitik werden


Mit Blick auf den 60. Jahrestag der UN-Konvention gegen Völkermord (9.12.2008) hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Bundesregierung aufgefordert, den Kampf gegen Genozid zur Leitlinie deutscher und europäischer Außenpolitik zu machen. "Kaum ein UN-Vertragswerk hat so wenig Beachtung gefunden wie die Genozidkonvention von 1948. Die Kette der Völkermorde ist auch nach dem Holocaust nicht abgerissen. Dieses Versagen der internationalen Staatengemeinschaft hat Millionen von Menschen das Leben gekostet", sagte der GfbV-Bundesvorsitzende Tilman Zülch zum Abschluss der Mitgliederversammlung der GfbV am Montag in Göttingen, bei der auch das 40-jährige Bestehen der 1968 gegründeten Menschenrechtsorganisation gefeiert wurde. Deutschland müsse darauf dringen, dass die internationale Staatengemeinschaft endlich ihrer Verantwortung zum Schutz bedrohter ethnischer und religiöser Gemeinschaften nachkommt.

Mit einer Gedenkstunde im Berliner Dom wird die GfbV am Dienstag gemeinsam mit dem Domkirchenkollegium sowie Augenzeugen des Genozids aus Tschetschenien, Srebrenica in Bosnien-Herzegowina, Halabja in Irakisch-Kurdistan, Biafra/Ostnigeria sowie Ruanda an die Verabschiedung der Konvention vor 60 Jahren sowie an ihren Initiator Raphael Lemkin erinnern.

In 41 deutschen Städten und Gemeinden wird es am Dienstag Mahnwachen unter dem Motto "Rettet Darfur! Genozid beenden jetzt!" für die bisher rund 400.000 Opfer des aktuellen Völkermordes in Darfur geben. Die GfbV hatte anlässlich des 60.Jahrestages der UN-Konvention gegen Völkermord bundesweit zu dieser vorweihnachtlichen Menschenrechtsaktion aufgerufen.

Immer wieder? Niemals wieder!
Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der UN-Konvention gegen Völkermord
am Dienstag, 9.12.2008, um 11 Uhr im Berliner Dom

Als besonderen Gast erwartet die GfbV die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. Es sprechen:

Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann und GfbV-Gründer Tilman Zülch - Begrüßung und Einführung
Dr. Shimon Samuels, Paris, Direktor des "Simon Wiesenthal Zentrums", Europa
Prof. Gregory H. Stanton, Washington, Präsident des "International Association of Genocide Scholars"
Augenzeugen des Genozids aus Tschetschenien, Bosniens-Herzegowina (Srebrenica), Irakisch-Kurdistan (Bürgermeister von Halabja sowie ein Vertreter der assyro-chalädischen Christen), Biafra /Ostnigeria, Ruanda
Auslandsbischof der EKD Martin Schindehütte
Berliner Schülern, die Passagen der Konvention verlesen
Prof. Dr. Claudia Kraft, Universität Erfurt: "Das Werk Raphael Lemkins"
Prof. Gunnar Heinsohn, Universität Bremen
Moderation, Hg. des Lexikons der Völkermorde

Zum Hintergrund: 60 Jahre Genozid-Konvention - 60 Jahre Völkermordverbrechen

1948 bis 1950 Forstsetzung von genozidalen und Sozialschichtenmorden in der Sowjetunion unter Stalin und in Jugoslawien unter Tito;

1950 über eine Million Opfer in Tibet durch die chinesische Volksarmee Mao Tse Tungs, der in den folgenden Jahren für die Vernichtung von mehreren zehn Millionen Menschen aller Nationalitäten und Religionsgemeinschaften Chinas verantwortlich war.

Zwischen 1955 und 2003 sind mindestens 2,5 Millionen Angehörige schwarzafrikanischer Völker des Südsudan wie der Dinka, Nuer, Schilluk, Bari, Zande und vieler anderer ethnischer Gruppen durch die Politik der arabischen Regimes in Khartum vernichtet worden. Im Laufe der Jahre stellten sowohl die DDR als auch die BRD den Genozid-Regimes Militärberater und Waffen zur Verfügung.

Seit dem indonesischen Einmarsch in West-Papua 1963 wurden mehr als 100.000 Angehörige der 250 indigenen Völker durch indonesische Truppen getötet.

1963 initiierten führende Persönlichkeiten der schwarzafrikanischen Bevölkerung Zanzibars nach Erhalt der Unabhängigkeit einen Genozid an etwa 10.000 arabischsprachigen Zanzibaris und an indischen Einwanderern.

1967 bis 1969 kamen beim Unabhängigkeitskrieg Biafras mehr als zwei Millionen Ostnigerianer/Biafraner ums Leben. Die UdSSR und Großbritannien machten diesen Völkermord möglich.

1968 bis 1996 wurden während des Bürgerkrieges in Guatemala über 200.000 Menschen ermordet. 90 % waren Angehörige der Maya-Völker. Mitschuldig waren Regierungen der USA.

März bis Dezember 1971 kamen während des Unabhängigkeitskrieges in Bangladesch durch pakistanische Truppen bis zu drei Millionen Ost- Bengalen ums Leben. Die Regierung Mao Tse Tungs und Richard Nixons unterstützten Pakistans Militärregime.

Im April und Mai 1972 fielen in Burundi über 100.000 Hutu der Führung der Tutsi-Minderheit zum Opfer.

1972 bis 1973 ließ die Regierung in Paraguay Aceh-Indianer einfangen und in ein Konzentrationslager sperren, das von der Firma "Hoechst" mitfinanziert wurde. Viele Angehörige dieses kleinen Indianer-Volkes kamen ums Leben.

1974 machte der Ethnologe Mark Münzel zahlreiche Massaker an Indianer-Völkern der Amazonas-Region bekannt, die von Regierungen lateinamerikanischer Staaten toleriert wurden.

1975 bis 1979 wurden mehr als zwei Millionen Menschen, Angehörige der Mehrheitsbevölkerung und der Minderheiten der Vietnamesen, Chinesen, Chams und Thais durch die Politik der Roten Khmer in Kambodscha ermordet. Rot-China unterstützte diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

1975 bis 1999 mussten 180.000 Ost-Timoresen und Chinesen die Vernichtungsaktion der indonesischen Besatzungstruppen mit ihrem Leben bezahlen. Die USA unterstützten diese indonesische Politik.

Zwischen 1968 und 1999 werden in Kurdistan etwa 500.000 Kurden, mit ihnen Yeziden, Assyro-Chaldäer und auch Turkmenen durch das Regime von Saddam Hussein ums Leben gekommen sein. Allein bei der "Anfal Operation" Saddams geht man von 182.000 Opfern aus. Mehr als 10.000 Menschen starben in Halabja und Umgebung durch das Bombardement mit Giftgas. Am Aufbau der irakischen Giftgasindustrie waren deutsche und europäische Firmen beteiligt.

1987 bis 2003 wurden in der Nuba-Region Kordofans durch den sudanesischen Staatsapparat etwa 500.000 Angehörige schwarz-afrikanischer Volksgruppen ermordet.

1993 wurden in Burundi innerhalb von zehn Tagen mehr als 100.000 Tutsi und gemäßigte Hutu getötet. Protegiert von Frankreich, konnte eine extremistische Bewegung der Hutu-Mehrheit bis zu 400.000 Tutsi und auch Oppositionelle Hutus vernichten.

April bis Mitte Juli 1994 töteten in Ruanda Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit. Der Völkermord kostete bis zu einer Million Menschen das Leben. Seit einigen Jahren beteiligen sich Hutu-, wie Tutsi-Milizen an den furchtbaren Mordaktionen an Zivilisten im Nord-Kongo.

1991 liquidierten serbische Truppen in Ostslawonien in Kroatien über 10.000 Kroaten, unter ihnen Minderheitenangehörige der Ungarn und letzten Donauschwaben.

Seit 1994 sind russische Truppen unter den Regierungen Jelzin und Putin für je 80.000 Opfer in Tschetschenien verantwortlich. Bundeskanzler Schröder protegierte seit seinem Amtsantritt 1999 die Untaten Putins durch Verschweigen und Nichthandeln. Bereits unter Stalin kamen bei den Deportationen von Tschetschenen und Inguschen nach Zentralasien ein Drittel dieser Nationalitäten ums Leben.

1992 bis 1995 unternahmen serbische Truppen in Bosnien-Herzegowina so genannte "ethnische Säuberungen", bombardierten eingeschlossene Städte, versuchten deren Bevölkerung auszuhungern und eröffneten Konzentrations- und Vergewaltigungslager. Etwa 150.000 Menschen, unter ihnen 8376 Knaben und Männer der Stadt Srebrenica, wurden ermordet oder starben an den Folgen der Repression. Die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens sympathisierten während des Austrottungskrieges mit Belgrad. Die deutsche Bundesregierung erkannte zwar Bosnien Herzegowina nach serbischen Untaten an, unternahm aber nichts, um das befreundete Tudjman-Regime an dem Einmarsch in Bosnien auf Seiten Serbiens zu hindern.

Seit 2003 verüben Luftwaffe, Armee und Milizen des sudanesischen Präsidenten Omar Hassan Al-Bashir Völkermord in Darfur. Etwa 400.000 Angehörige schwarz-afrikanischer muslimischer Völker, u.a. der Fur, Masalit und Zaghawa, fielen ihm bereits zum Opfer. Bis zu drei Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen.

Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


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Quelle:
Presseerklärung Berlin/Göttingen vom 8. Dezember 2008
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2008