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ASIEN/646: Indien - Chance vertan ... Menschenrechtler enttäuscht von Merkel-Besuch


Presseerklärung vom 6. Oktober 2015

Deutsch-indische Regierungskonsultationen:

"Chance vertan" - Menschenrechtler enttäuscht von Merkels Indien-Besuch
Viel Wirtschaft, keine Menschenrechte


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat eine kritische Bilanz des bisherigen Indien-Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel und weiteren Kabinettsmitgliedern gezogen. "Bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen spielten Menschenrechte offenbar keine Rolle, obwohl Asiens größte Demokratie vor einer Zerreißprobe steht. Denn Indiens Hindu-nationalistische Regierung schürt systematisch Übergriffe auf Christen und Muslime. Doch Deutschland schaut weg und denkt an seine Wirtschaftsbeziehungen. Weltpolitisch Verantwortung zu übernehmen sieht anders aus", erklärte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius am Dienstag in Göttingen. "Es wurde eine Chance vertan, sich für Glaubensfreiheit in Indien stark zu machen, so wie es US-Präsident Barack Obama beispielhaft bei seinem Indien-Besuch im Februar 2015 getan hat." Nach den deutlichen Mahnungen Obamas musste sich Premierminister Narendra Modi nach monatelangem Schweigen erstmals öffentlich zur Religionsfreiheit bekennen.

Ganz Indien streitet seit Tagen hitzig über den Lynchmord an einem Muslim, der wenige Tage vor Ankunft der Bundeskanzlerin sterben musste. Hindu-Nationalisten hatten gezielt Gerüchte verbreitet, er habe eine "heilige Kuh" geschlachtet und ihr Fleisch gegessen. Führende indische Oppositionspolitiker fordern inzwischen die Einschaltung der Vereinten Nationen, um die Mitverantwortung von Modis Hindu-nationalistischer BJP-Partei für die Gewalt und die Übergriffe gegen Minderheiten zu untersuchen. Der 50-jährige Muslim Mohd Akhlaque war am 28. September in dem Dorf Dadri (Bundesstaat Uttar Pradesh) von aufgebrachten Hindu-Nationalisten gesteinigt worden. Sein Sohn wurde bei dem Überfall schwer verletzt. Seine überlebende Tochter, die vergeblich bei den Nachbarn um Hilfe gebeten hatte, beteuert, sie hätten nur Hammelfleisch gegessen. Hindu-Nationalisten schüren seit Monaten den Streit um Fleisch, in dem sie auch das Schlachten von Rindern, Kälbern, Ochsen und Stieren sowie den Verzehr ihres Fleisches verbieten lassen. Muslime sind von diesen Verboten existentiell betroffen, weil sie oft in der Fleischindustrie arbeiten.

Der eskalierende Streit um das Fleisch zeigt, wie schlecht es in Indien um den Schutz von religiösen Minderheiten und Glaubensfreiheit steht. "Die 180 Millionen Muslime und 30 Millionen Christen müssen um ihre Existenz fürchten", warnte Delius. Denn ein führender Hindu-nationalistische Aktivist, der eng mit der BJP vernetzt ist, gab Ende des Jahres 2014 das Motto aus, Indien müsse bis Ende des Jahres 2021 frei von Christen und Muslimen sein. "Wer langfristig Fluchtursachen bekämpfen will, muss jetzt in Indien aktiv werden und nicht erst in sechs Jahren klagen, weil viele Christen und Muslime fliehen werden."

Die GfbV hatte in der vergangenen Woche einen 45-seitigen-Report über die Verletzung der Religionsfreiheit in Indien veröffentlicht. Darin dokumentierte die Menschenrechtsorganisation 160 Übergriffe, die seit März 2015 auf Christen, Muslime und Sikhs verübt wurden. Dazu zählten Einschüchterungen, Vertreibungen, Zwangskonversionen, Verhaftungen, Morde sowie Zerstörungen von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen. Insgesamt wurden in Indien seit Modis Machtantritt 760 Übergriffe auf religiöse Minderheiten registriert.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 6. Oktober 2015
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2015

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