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MELDUNG/220: Bonner Völkerrechtler will Türkei wegen Verfolgung von Oppositionsführer vor Gericht verteidigen


Gesellschaft für bedrohte Völker - Pressemitteilung vom 17. September 2019

Menschenrechtler: Professor darf nicht türkische Willkürjustiz vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte rechtfertigen


Göttingen - Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn appelliert, zu verhindern, dass der Leiter des Lehrstuhls für Völkerrecht, Prof. Dr. Stefan Talmon, die Türkei in einem Verfahren gegen den inhaftierten türkischen Oppositionsführer Selahattin Demirtas vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vertritt. Die Menschenrechtsorganisation forderte die Universitätsleitung auf, die Genehmigung dieser Nebentätigkeit zurückzunehmen. "Wer in führender Position Recht an der Universität Bonn lehrt, kann nicht zugleich die Willkürjustiz eines autoritär geführten Staates vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verteidigen. So eine Nebentätigkeit schadet dem Ansehen der Bonner Universität und dem Respekt der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland", erklärte der GfbV-Nahostexperte Kamal Sido am Dienstag in Göttingen. Prof. Talmon soll als Völkerrechtler die Interessen der Türkei in einem am Mittwoch stattfindenden Verfahren zu Demirtas Inhaftierung vor der Großen Kammer des EGMR vertreten, berichten türkische und armenische Medien.

Der türkisch-kurdische Politiker und Rechtsanwalt Selahattin Demirtas wird seit dem 3. November 2016 in einem Hochsicherheitsgefängnis in Edirne in Untersuchungshaft festgehalten. Deutsche Parlamentarier und Menschenrechtler kritisieren seit Jahren die Haft des Gewissensgefangenen als unrechtmäßig und setzen sich für seine sofortige Freilassung ein. Der angesehene Politiker und Jurist war früher im Vorstand des Menschenrechtvereins IHD und leitete dessen Zweigstelle in der kurdischen Stadt Dyarbakir. Er engagierte sich für politische Gefangene, Menschenrechte und Frieden in Türkisch-Kurdistan. Auch trat er für die Glaubensfreiheit von Christen, Aleviten und Yeziden ein. Das EGMR forderte nach einer juristischen Überprüfung der Verhaftung Demirtas im November 2018 die sofortige Beendigung seiner Untersuchungshaft.

Die Genehmigung von Nebentätigkeiten ist gemäß § 49, Absatz 2, Nummer 6 des Landesbeamtengesetzes Nordrhein-Westfalens zu versagen, wenn sie "dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich sein kann". Auch kann die Genehmigung verweigert werden, wenn durch die Nebentätigkeit die "Unparteilichkeit des Beamten" beeinflusst werden kann. "Wer Präsident Erdogans Hexenjagd auf kritische Politiker und Menschenrechtler vor höchsten Gerichten in der Europäischen Union offiziell verteidigt, ist in seinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nicht mehr glaubwürdig. Als Leiter des Lehrstuhles für Völkerrecht wird er seiner Vorbildfunktion für Studentinnen und Studenten nicht gerecht", erklärte Sido.

Die GfbV erinnerte daran, dass Prof. Talmon bereits im Jahr 2015 mit seinen Nebentätigkeiten im Kreuzfeuer der Kritik stand, als er die Türkei als Völkerrechtler in einem Gerichtsverfahren in der Schweiz vertrat und die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern und anderen Christen, Aleviten und Yeziden im Jahr 1915 rechtfertigte. In dem Prozess ging es um die Frage, ob die Leugnung des Genozides durch den Ultranationalisten Doğu Perinçek in der Schweiz strafbar ist.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 17. September 2019
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2019

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