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NAHOST/308: Nordsyrien - Schicksal der Christen von Afrin ungewiss


Gesellschaft für bedrohte Völker - Pressemitteilung vom 19. April 2018

Bischöfe von Aleppo vor fünf Jahren verschleppt (23.4.2013)

Auch Schicksal der Christen in Afrin nach Einmarsch der türkischen Armee ungewiss


Göttingen, den 19. April 2018 - Fünf Jahre nach der Verschleppung der beiden Bischöfe von Aleppo durch radikale Islamisten erinnert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) auch an die rund 1.000 Christen aus dem nordsyrischen Afrin. Ihr Schicksal ist nach dem Einmarsch der türkischen Armee und verbündeter islamistischer Milizen ungewiss. "Wir müssen befürchten, dass diese Christen das Schlimmste erleiden müssen, wenn sie von Radikalislamisten erkannt werden", warnte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido am Donnerstag in Göttingen. Unter den Angehörigen der kleinen christlichen Gemeinde von Afrin sind viele konvertierte Muslime. Sie fanden die Gräueltaten islamistischer Terrormilizen so abstoßend, dass sie zum christlichen Glauben übergetreten sind. Für Islamisten müssen "Abtrünnige", die vom Islam abgefallen sind, "beseitigt" werden.

"Die türkischen Soldaten werden und wollen die Zivilbevölkerung nicht vor Islamisten schützen. Augenzeugen berichten uns, dass islamistische Milizen ungehindert marodierend durch die Straßen ziehen, in regelrechten Raubzügen Häuser ausplündern, Zivilisten schikanieren, sie in Angst und Schrecken versetzen", berichtete Sido. "In Afrin gilt praktisch schon die Scharia, das islamische Recht. Dort werden selbst 13-jährige muslimische Mädchen, die zwar ein Kopftuch tragen, aber kein langes Gewand angezogen haben, bereits böse ermahnt. Für Christen bleibt da nur die gefahrvolle Flucht, wenn sie ihren Glauben nicht verleugnen wollen."

Insgesamt sei die Lage der Christen in Syrien, aber auch in der benachbarten Türkei äußerst besorgniserregend, bedauerte der Menschenrechtler. 103 Jahre nach Beginn des Völkermordes an den Armeniern und den assyrisch-aramäischen Christen im Osmanischen Reich (24.4.1915) müssten sie nun wieder um ihr Überleben bangen. Mit dem einzigen Armenier, der im nordsyrischen Afrin wohnte, hatte Sido 2015 noch gesprochen. Seit dem Fall der Stadt gibt es keine Verbindung mehr zu ihm.

Von den beiden am 23. April 2013 in Nordsyrien verschleppten geistlichen Würdenträgern, dem Erzbischof der syrisch-orthodoxen Kirche, Mor Gregorius Yohanna Ibrahim, und dem Erzbischof der griechisch-orthodoxen Kirche, Boulos Yazigi, gibt es bis heute kein Lebenszeichen. Bisher hat sich niemand zu der Tat bekannt. Da jedoch schon damals islamistische Gruppierungen im Nordwesten Syriens nahe der türkischen Grenze ihr Unwesen trieben, Christen als Geiseln nahmen und Lösegeld erpressten, liegt der Verdacht nahe, dass die beiden Bischöfe Opfer dieser Terrormilizen wurden. Dafür spricht auch die Skrupellosig-keit, mit der die Täter vorgingen. Der Fahrer der beiden entführten Würdenträger, ein Diakon, wurde bei dem Überfall kaltblütig erschossen. Auf Vorschlag der GfbV wurden die beiden Bischöfe 2014 in Abwesenheit für ihren Einsatz als Vermittler, Botschafter und Kämpfer für die Menschenrechte in dem anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien mit dem Weimarer Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 19. April 2018
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2018

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