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NAHOST/376: Wahlen in der Türkei - Unregelmäßigkeiten in kurdischen Gebieten


Gesellschaft für bedrohte Völker - Pressemitteilung vom 15. Mai 2023

Wahlen in der Türkei - Unregelmäßigkeiten in kurdischen Gebieten:
- Sicherheitskräfte schossen wahllos mit Tränengasgranaten in Wohnviertel
- Auch bewaffneten Anhänger Erdoğans wollten Menschen einschüchtern
- Kurden betrachten Oppositionskandidat Kılıçdaroğlu als kleineres Übel


Die gestrigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen waren vor allem in den kurdischen Gebieten der Türkei weder fair noch demokratisch. Wie die Gesellschaft für bedrohte Völker berichtet, wurden in der kurdischen Provinz Siirt am Wahltag zwei Mitglieder einer spanischen Wahlbeobachtungsdelegation festgenommen. "In der kurdischen Provinz Sirnak sollen türkische Sicherheitskräfte aus gepanzerten Fahrzeugen wahllos Tränengasgranaten in Straßen und Wohnviertel geschossen haben. Auch bewaffnete Anhänger Erdoğans hätten wahllos das Feuer eröffnet", berichtete GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido im Nachgang der Wahl. "Das Militär und die bewaffneten Anhänger Erdoğgans wollten die Menschen einschüchtern, damit sie nicht wählen gehen. Denn die Kurden unterstützen mehrheitlich das kleinere Übel: den Oppositionskandidaten Kılıçdaroğlu." Auch wenn die Mehrheit der Kurden in der Türkei nicht viel von der Opposition halte, die eine friedliche Lösung der Kurdenfrage ablehnt, wollten die Kurden einen politischen Wechsel in der Türkei.

Während sich der Oppositionskandidat Kılıçdaroğlu auf die säkularen, aber extrem türkisch-nationalistischen Ideen des türkischen Staatsgründers Atatürk beruft, setzt Erdoğan sowohl auf einen aggressiven türkischen Nationalismus als auch auf einen sunnitischen Islamismus. Im Wahlkampf spielt Erdoğan immer wieder die sunnitisch-islamische Karte und hetzt gegen die alevitische Bevölkerung in der Türkei. Erdoğan ist Sunnit, Kılıçdaroğlu Alevit. Schützenhilfe erhielt Erdoğgan auch vom internationalen sunnitischen Islamismus. Der Führer der Internationalen Union der muslimischen Gelehrten (IUMS), Ali Al-Qaradaghi, und rund 65 Islamisten weltweit riefen kurz vor den Wahlen die Gläubigen in der Türkei auf, für Erdoğan und seine Partei AKP zu stimmen. "Al-Qaradaghi ist Kurde aus Sulaimaniya, Irakisch-Kurdistan, besitzt aber wie führende Köpfe der IUMS die katarische Staatsbürgerschaft und dient Erdoğan und dem Emir von Katar", erklärte Sido. "Die IUMS ist bekannt für ihre Hetze gegen Aleviten, Yeziden, Christen, aber auch gegen Juden und Israel." Die IUMS finanziere auch islamistische Siedlungen, unter anderem in yezidischen Dörfern im syrisch-kurdischen Afrin, das seit 2018 von der Türkei besetzt ist.

In den kurdischen Gebieten der Türkei herrschen seit jeher das türkische Militär, die Gendarmerie und die Polizei mit harter Hand. Nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 wurden die wenigen kurdischen Medien verboten und tausende Medienschaffende, gewählte Bürgermeister und andere Volksvertreter unter Terrorismusverdacht für viele Jahre inhaftiert. Kurz vor den Wahlen wurde die prokurdische Partei HDP mit einem Parteiverbot bedroht. Darum musste die HDP auf Listen einer anderen Partei, "Yeşil Sol Parti", an den Wahlen teilnehmen. Im Vorfeld der Wahlen kam es immer wieder zu Razzien der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Wahlkämpfer, von denen viele verhaftet wurden.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 15. Mai 2023
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 16. Mai 2023

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