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AKTION/444: Solidaritätsaktion für Elias Bierdel und Stefan Schmidt (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. - Pressemitteilung vom 15. Mai 2009

Solidaritätsaktion für Elias Bierdel und Stefan Schmidt vor der italienischen Botschaft

Keine Verurteilung im Cap Anamur Prozess !

Damit Italien im Namen Europas mit Flüchtlingen auf hoher See "kurzen Prozess" machen kann, wird ein jahrelanger gegen Seenotretter geführt


Gemeint ist das im sizilianischen Agrigento geführte Strafverfahren gegen Elias Bierdel, seinerzeit Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur, und seinen Kapitän Stefan Schmidt. Im Jahr 2004 hatten sie 37 Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot gerettet. Dieser politische Schauprozess geht mit den Plädoyers der Verteidigung Anfang Juni seinem Ende entgegen. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits im April diesen Jahres in einem dreistündigen Plädoyer 4 Jahre Haft und eine Strafe von jeweils 400.000 Euro für die beiden Angeklagten gefordert.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln und "kein mensch ist illegal" Hamburg protestieren in einem offenen Brief an das italienische Innen- und Justizministerium gegen den durchsichtigen Versuch, humanitär selbstverständliche und menschenrechtlich allein angemessene Nothilfe mit diesem abschreckenden Verfahren zu kriminalisieren. In dem Brief, der von zahlreichen Wissenschaftler/innen, Künstler/innen, Politiker/innen und Intellektuellen unterzeichnet wurde, heißt es: "Den italienischen Strafverfolgungsbehörden scheint das human Naheliegende ebenso fern zu liegen wie der europäischen Flüchtlingspolitik insgesamt. Das nährt den Verdacht, dass sie sich zum Erfüllungsgehilfen derselben machen wollen." Hier wird "das Recht" zur Magd der europäischen Abschottungspolitik.

Während die italienische Regierung in den letzten Tagen über 500 auf dem Meer aufgegriffene Flüchtlinge umgehend und geradewegs in die libyschen Internierungslager deportierte, sollen die Menschen, die sich dieser menschenrechtswidrigen Politik verweigern, zu hohen Strafen verurteilt werden.

Das Protestschreiben soll am Montag, den 18. Mai 2009, 11.00 Uhr dem italienischen Botschafter im Rahmen einer öffentlichen Protestaktion übergeben werden:
Italienische Botschaft, Hiroshimastraße 1, 10785 Berlin

gez. Margret Geitner (kein mensch ist illegal)
gez. Dirk Vogelskamp (Komitee für Grundrechte und Demokratie)


*


Köln/Hamburg, im Mai 2009

kein Mensch ist illegal
Hamburg
Kontakt: kmii-hh@kein.org

Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7-11
50670 Köln
Telefon: 0221 / 97269 -30
Fax: 0221 / 97269 -31
info@grundrechtekomitee.de
www.grundrechtekomitee.de

Italienische Botschaft
Seine Exzellenz Antonio Puri Purini
Hiroshimastraße 1
10785 Berlin
Deutschland

Minstero dell'Interno
Sig. Roberto Maroni
Piazza del Viminale n. 1
00184 Roma
Italia

Ministro della Giustizia
Sig. Angelino Alfano
Via Arenula, 70
00186 Roma
Italia


Offener Brief an den Justiz- und den Innenminister Italiens

Menschenretter werden angeklagt
Das Selbstverständliche wird kriminalisiert: Menschen aus Seenot zu retten.
Angeklagt gehört hingegen die Abschottungspolitik der europäischen Regierungen

Wie verhielten Sie sich, wenn Ihnen auf dem offenen Meer ein in Seenot geratenes Schiff mit verängstigten und von der beschwerlichen Seereise gezeichneten Passagieren begegnete? Für uns Unterzeichnende gibt es nur eine human selbstverständliche und menschenrechtlich angemessene Antwort: Alles tun, um die Schiffbrüchigen zu retten! Das haben Elias Bierdel, Stefan Schmidt und die gesamte Besatzung der Cap Anamur getan, als sie sich im Sommer 2004 spontan entschlossen, 37 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zu retten, da deren überladenes Schlauchboot den nächsten lebensrettenden Hafen allein nicht mehr erreicht hätte. Den damals Geretteten wäre ansonsten das gleiche "Schicksal" widerfahren wie den geschätzten 11.000 Menschen, die in den letzten zehn Jahren auf der Flucht vor der Gewalt aus Armut, Elend und Krieg in überfüllten und seeuntüchtigen Booten auf dem Weg ins "Europa der Menschenrechte" ihr Leben verloren. Man könnte meinen, die Rettung der verzweifelten Passagiere durch die Cap Anamur-Crew wäre eine humanitäre Selbstverständlichkeit. Schiffbrüchigen aus Afrika jedoch soll diese offensichtlich nicht entgegengebracht werden. Hätten sie die Menschen wissenden Verstandes und sehenden Auges ertrinken lassen sollen? Elias Bierdel der damalige Geschäftsführer der Hilfsorganisation Cap Anamur und der Kapitän Stefan Schmidt müssen sich seit nunmehr zwei Jahren einmal im Monat in Sizilien vor Gericht verantworten. Zuerst wurden sie angeklagt, die Flüchtlinge vorsätzlich aufgenommen und sie bei der "illegalen Einreise" unterstützt zu haben. Doch den haltlosen Vorwurf der "Beihilfe zur illegalen Einreise" musste die Staatsanwaltschaft inzwischen fallen lassen. Dennoch fordert sie vier Jahre Haft und 400.000 Euro Strafe für jeden der beiden. Der Vorwurf lautet nun: Elias Bierdel und Stefan Schmidt hätten die Flüchtlinge nur an Bord genommen, um aus ihnen mediale "Aufmerksamkeit und Profit" zu schlagen. Den italienischen Strafverfolgungsbehörden scheint das human Naheliegende ebenso fern zu liegen wie der europäischen Flüchtlingspolitik insgesamt. Das nährt den Verdacht, dass sie sich zum Erfüllungsgehilfen derselben machen wollen. Anfang Juni 2009 soll das politische Justizschauspiel ein Ende finden!

Die Regierungen der Europäischen Union versuchen seit Jahren, mit Unterstützung der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX sowie mit immensem technischen und finanziellen Aufwand, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Dabei nehmen sie ihren Tod auf dem Meer nicht nur in Kauf, sondern sind durch ihre mörderischen Abschottungsmaßnahmen für das Massensterben an den europäischen Außengrenzen verantwortlich. Die Kriminalisierung und Bestrafung derjenigen, die in Seenot geratenen Flüchtlingen helfen, stellen einen durchsichtigen Versuch der italienischen Justiz dar, andere Menschen von dieser humanitären Selbstverständlichkeit abzuschrecken.

Deshalb ist das einzig Angemessene, Elias Bierdel und Stefan Schmidt sofort freizusprechen. Wir protestieren gegen eine politische Justiz, die sich zum Handlager einer inhumanen europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik macht.

Freispruch für das Selbstverständliche:
Menschen in Seenot müssen gerettet werden!
Freispruch für Elias Bierdel und Stefan Schmidt!

gez. Dr. Heiner Busch / Dirk Vogelskamp (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
gez. Margret Geitner ("kein Mensch ist illegal"/Hamburg)


Den offenen Brief haben unterzeichnet:

Hüseyin Avgan, Vorsitzender DIDF (Föderation demokratischer Arbeitervereine e.V.)
Evrim Helin Baba , Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, Die Linke
Rolf Becker, Schauspieler, Vorstand Verdi Hamburg
Esther Bejarano, Autorin, Musikerin, Vorsitzende des Internationalen Auschwitzkomitees
Prof. Dr. Adelheid Biesecker, Bremen
Peter Bremme, ver.di, Fachbereichsleiter
Prof. Dr. Micha Brumlik, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt a. Main
Sevim Dadelen, Abgeordnete des deutschen Bundestages, Die Linke
Dr. Dietmar Dehm, Abgeordneter des deutschen Bundestages, Die Linke Thomas Ebermann, Publizist
Prof. Dr. Johannes Feest, Strafvollzugsarchiv, Bremen
Prof. Dr. Michel Flitner, Bremen
Thomas Gebauer, Geschäftsführer von "medico international"
Corinna Genschel, Politikwissenschaftlerin, Kontaktstelle soziale Bewegungen (Die Linke)
Sven Giegold, Wirtschaftswissenschaftler, Bündnis 90/Die Grünen, Düsseldorf
Martin Glasenapp, medico international
Dr. Carmen Gransee, Vertretungsprofessorin, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg
Hermann L. Gremliza, Herausgeber der Zeitschrift "konkret", Hamburg
Prof. Dr. Marianne Gronemeyer, Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin
Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer, Soziologe, Gießen
Dr. Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender, Abgeordneter des deutschen Bundestages, Die Linke
Dr. Roman Herzog, Dokumentarautor
Prof. Dr. Joachim Hirsch, Frankfurt a. Main
Inge Höger, Abgeordnete des deutschen Bundestages, Die Linke
Jens Huckeriede, Filmemacher
Ulla Jelpke, Abgeordnete des deutschen Bundestages, Die Linke
Prof. Dr. Reinhart Kößler, Arnold Bergstraesser Institut, Freiburg
Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff, FU Berlin
Gernot-Michael Krüger, Beamter der Europäischen Kommission i.R., Sospel, Frankreich
Ulla Lötzer, Abgeordnete des deutschen Bundestages, Die Linke
Barbara Lucas, Pädagogin, z.Zt. Málaga, Spanien
Ulrich Maurer, Parlamentarischer Geschäftsführer, MdB Die Linke
Dirk Mescher, Geschäftsführer Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Hamburg
Britta Mittwollen, Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin
Kornelia Möller, Abgeordnete des deutschen Bundestages, Die Linke
Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr, Politikwissenschaftler, FU Berlin
Bruder Jürgen Neitzert, Franziskaner
Helga Obens, AK Bücherverbrennungen "Nie-Wieder"
Dr. Norman Paech, Abgeordneter des deutschen Bundestages, Die Linke
Tobias Pflüger, Abgeordneter des Europaparlaments, Die Linke
Lisa Politt, Kabarettistin
Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin, Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte
Susanne Rössler, Pfarrerin, Düren
Dr. Albert Scharenberg, Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik
Prof. Dr. Albert Scherr, PH Freiburg
Gunter Schmitt, Kabarettist
Martin Singe, Theologe, Redakteur der Zeitschrift FriedensForum, Bonn
Robert Stadlober, Schauspieler
Prof. Dr. Sabine Stövesand, Hochschule für angewandte Wissenschaften, Hamburg
Prof. Dr. Hans-Guenter Thien, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster
Rainer Trampert, Publizist
Dr. Susanne Uhl, DGB
Sahra Wagenknecht, Abgeordnete des Europaparlaments, Die Linke
Konstantin Wecker, Musiker
PD Dr. Uta v. Winterfeld, Politikwissenschaftlerin, Wuppertal

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Quelle:
Pressemitteilung vom 15.09.2009
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Aquinostr. 7-11, 50670 Köln
Telefon: 0221/9726920
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2009