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FRAGEN/021: Dr. Ulrich J. Wilken zu Blockupy - "Es ist blanker Hass, der einem entgegenschlägt" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 14 vom 3. April 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Es ist blanker Hass, der einem entgegenschlägt"

Dr. Ulrich J. Wilken ist Mitglied des hessischen Landtags und dessen Vizepräsident. Er engagiert sich außerdem im antikapitalistischen Blockupy-Bündnis

Das Gespräch führte Markus Bernhardt


UZ: Mehr als 20.000 Menschen haben am 18. März an den antikapitalistischen Protesten des Blockupy-Bündnisses in Frankfurt am Main teilgenommen. Die Medien skandalisierten "gewalttätige Ausschreitungen". Haben aber nicht Medien, Polizei und etablierte Politik einiges zur Eskalation beigetragen?

Ulrich Wilken: So einfach können wir es uns auch nicht machen. Klar sind Proteste, Wut und Empörung Reaktionen auf die Auswirkungen der Verelendungspolitik. Oder wie es ein Frankfurter Verleger in einem offenen Brief an den hessischen SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel letzte Woche schrieb: "Im konkreten Fall (also von EZB und Griechenland-Krise) hätte ich von Ihnen beispielsweise Demut erwartet angesichts der mittlerweile Hunderten von Toten in Griechenland, die wegen Hungers und wegen fehlender Medikamente in den Krankenhäusern gestorben sind oder die sich aus Verzweiflung das Leben genommen haben. Ihnen, den Opfern einer verfehlten Politik von EU, EZB und Weltbank, verlieh Blockupy eine Stimme. Eine Stimme, die Sie gemeinsam mit Ihren Verbündeten in CDU, Grünen und FDP zum Schweigen bringen wollen."

Und ja, die Stimmung in der Stadt war durch das Bürgerkriegsszenario und die Erfahrungen der Blockupy-Vorjahre angeheizt. Aber ich meine das sehr ernst, dass ich diese Gewalttaten, die Attacken auf Menschen, nicht gutheiße, sie schaden unserer Politik; und selbstverständlich habe ich sie nicht geplant. Aber ich nehme durchaus auch eine Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung wahr. Menschen ärgert es, immer wieder dasselbe brennende Auto in den Nachrichten zu sehen, aber keinen einzigen Redeausschnitt von der Kundgebung gezeigt zu bekommen.

UZ: Fernab der Diskussion um die Ausschreitungen: Sie sind zufrieden mit dem Protestverlauf?

Ulrich Wilken: Als erstes ist das für mich noch lange nicht "fernab". Der Druck, dass ich mein Vizepräsidentenamt im Landtag ablegen soll, ist sehr real. Außerdem stehen noch einige Gespräche mit Geschädigten an, die ich suchen werde, nicht weil ich verantwortlich für die Ausschreitungen bin, sondern weil ich ein verantwortungsbewusster Mensch bin.

Am Tag der Blockupy-Aktionen selbst ist meine Laune ab den Mittagsstunden immer besser geworden, und ich bin froh, dass ich mich entschieden habe, entgegen allen Drucks die Kundgebung und Demo am Nachmittag durchzuführen. Über 20 000 Menschen an einem Werktagnachmittag in Frankfurt am Main - das ist schon ein Riesenerfolg.

UZ: Wie soll es nun mit Blockupy weitergehen?

Ulrich Wilken: Wir haben im Ko-Kreis von Blockupy beraten, dass es auf jeden Fall weitergeht. Zunächst mit einer Aktivenkonferenz am 9./10. Mai in Berlin, die dann das weitere Vorgehen entscheiden wird.

UZ: Also gehen Sie davon aus, dass antikapitalistische Aktionen und Proteste zukünftig wieder verstärkt eine Rolle in der politischen Linken spielen werden?

Ulrich Wilken: Ja, und das ist auch dringend notwendig, um die herrschende Politik in den Zentren - allen voran der deutschen Bundesregierung - zu verändern und auch aus Solidarität mit Syriza oder auch Podemos.

UZ: Bündnis 90/Die Grünen stellen in Hessen gemeinsam mit der CDU die dortige Landesregierung. Auch seitens der Grünen wurden Sie aufgrund Ihres Engagements bei Blockupy harsch angegriffen. Müssen Sie sich überhaupt Ratschläge von einer Partei erteilen lassen, die mit einem der reaktionärsten Landesverbände der CDU koaliert?

Ulrich Wilken: Das sind keine Ratschläge, die von dort kommen; ebenso wie bei SPD, FDP und CDU ist es blanker Hass, der einem entgegenschlägt. Strukturell hat die Gewaltdebatte immer dazu gedient, von den Inhalten der Proteste abzulenken. Das ist selbstverständlich umso schärfer, wenn es darum geht, den Kapitalismus und seine Regierungen zu überwinden. Letztendlich stehen alle diese Parteien für die Austeritätspolitik in Vergangenheit und Zukunft; infolgedessen müssen sie uns diskreditieren, weil sie ihre Politik als alternativlos erscheinen lassen möchten.

UZ: Und wie bewerten Sie die bisherige Arbeit der "schwarz-grünen" Landesregierung insgesamt?

Ulrich Wilken: Bündnis 90/Die Schwarzen, wie ich es nenne, ist die vollkommen geräuschlose Fortsetzung der CDU-Politik der letzten Jahre in unterschiedlichen Konstellationen. Manchmal zuckt man noch zusammen, dass die Grünen es mitmachen, einen homophoben und rassistischen Landespolitiker namens Irmer in Abstimmungen im Plenarsaal zu decken; aber alles in allem machen sie eine konsequente konservative Klientelpolitik und werden vom grünen Landesverband getragen. Was sollte auch am "New Green Deal" antikapitalistisch sein? Und als Frankfurter Bürger erlebe ich es ja bereits seit Jahren, dass die Grünen quasi als Jugendorganisation der CDU - obwohl die meisten mittlerweile auch mein Alter haben - zusammen agieren können, ohne dass die von dieser Politik in Mitleidenschaft Gezogenen aufmucken. Das ist das Problem, die machen ihr Ding und niemand regt es auf.

UZ: Im Vorfeld der letzten Landtagswahl wurde auch über die Möglichkeit eines "rot-rot-grünen" Regierungsbündnisses diskutiert. Sehen Sie vor dem Hintergrund der aktuellen Politik der Grünen überhaupt eine Möglichkeit der Zusammenarbeit?

Ulrich Wilken: Aktuell sind es sowohl Grüne als auch SPD in Hessen, die für eine Veränderung der Politik nicht zur Verfügung stehen. Sie sind im Block der Schuldenbremser, sprich der weiteren Verschlechterung öffentlicher Dienstleistung. Das Zeitfenster von 2008, das aufgrund der SPD-Abweichlerinnen und -Abweichler nicht genutzt werden konnte, ist so was von zu und weg. Um das wieder zu öffnen, bedarf es noch einiger großer antikapitalistischer Demonstrationen und vor allem mehr Umbrüche in Südeuropa, die auch SPD und Grüne dann nicht mehr ignorieren können.

UZ: Die FDP verfügte stets über einen Bürgerrechtsflügel, der unter anderem von Burkhard Hirsch oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger repräsentiert wurde. Bei den Grünen existiert ein solcher Flügel nicht. Ist sie die neue FDP nur ohne Bürgerrechtler?

Ulrich Wilken: Funktional haben die Grünen die Rolle als Mehrheitsbeschaffer für eine größere "Volkspartei" von der FDP übernommen, die diese Funktion auf absehbare Zeit wohl nicht wahrnehmen kann. In der inhaltlichen Ausrichtung sind die hessischen Grünen - aber wohl nicht nur diese - die adäquate politische Vertretung eines neuen Mittelstandes, wohlsituiert, gutverdienend, moralisch überheblich, weil ja immer noch die Welt rettend, zwar nicht aus Armut, aber doch vor der Erderwärmung. Dabei treten "weiche" Themen wie Antirassismus, Antihomophobie oder auch nur Lärmschutz am Frankfurter Flughafen schon mal hinter die Regierungsdisziplin zurück.

Bundespolitisch ist aus meiner Sicht auch die Bereitschaft, die Bundeswehr nicht nur weiter aufzurüsten, sondern auch in Einsätze weltweit zu schicken, ein riesengroßes Problem. Also Bündnis90/Die Schwarzen in Hessen und Olivgrün im Bund - da kommt keine Freude und auch kaum eine Perspektive auf.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 14 vom 3. April 2015, Seite 9
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2015

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