Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

INTERNATIONAL/059: Pakistan - Vergessene Opfer, neue Flutkatastrophe stößt bei Spendern auf Desinteresse (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Oktober 2011

Pakistan: Vergessene Opfer - Neue Flutkatastrophe stößt bei Spendern auf Desinteresse

von Zofeen Ebrahim

Durch die Flut geschädigt, von Gebern im Stich gelassen - Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Durch die Flut geschädigt, von Gebern im Stich gelassen
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Karachi, 11. Oktober (IPS) - Männer und Frauen waten durch hüfthohes Wasser und müssen dabei ihre strampelnden Babys festhalten. Ein Konvoi aus Eselskarren, die mit den Habseligkeiten ganzer Familien beladen sind, bahnt sich mühsam den Weg zum trockenen Land. Manche Menschen müssen von Uniformierten in Schlauchbooten aufgenommen werden.

Weite Landstriche im Südosten Pakistans sind seit August überschwemmt. Nach der Flutkatastrophe im vorigen Jahr wurde das südasiatische Land erneut von heftigen Regenfällen heimgesucht. Im zweiten Jahr in Folge gerieten Menschen in 17 der 23 Distrikte der Provinz Sindh in akute Not. Elf Bezirke sind völlig überflutet.

Experten warnen davor, dass Sindh in diesem Jahr ein noch größeres Desaster bevorsteht als 2010, auch wenn das Hochwasser in den vergangenen Wochen nicht weiter gestiegen ist. Nach offiziellen Angaben kamen seit August 400 Menschen ums Leben. Insgesamt sind acht Millionen Einwohner der Region direkt von der Flut betroffen, rund 600.000 Häuser wurden zerstört.


Großteil der Ernten vernichtet

Nach Einschätzung der Welternährungsorganisation FAO hat der sintflutartige Regen 73 Prozent der Ernte und 67 Prozent der Nahrungsreserven vernichtet. "Ich rechne mit einer wachsenden Lebensmittelknappheit in Pakistan. Zuckerrohr- und Baumwollkulturen sind erheblich geschädigt, und Gemüsefelder wurden zerstört", sagte der Direktor des Instituts für das Management von Wasserressourcen an der Mehran-Universität in Jamshoro, Bakshal Lashari. "Die Wirtschaft in Sindh hängt von Ackerbau und Viehzucht ab. Beides ist stark geschädigt worden."

Nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde (NDMA) sind mehr als 94.000 Nutztiere verendet. "Viele weitere Tiere drohen zu sterben, wenn sie kein Futter bekommen und nicht gegen Krankheiten geimpft sind", warnt Lashari. Die hohen Schäden im Agrarsektor hätten nicht nur für die Flutopfer, sondern für das gesamte Land gravierende Folgen.

Die Spendenbereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft und der Pakistaner in anderen Landesteilen hält sich in diesem Jahr in Grenzen. Die Vereinten Nationen, die 357 Millionen US-Dollar sammeln wollten, haben gerade einmal 19 Millionen zusammengebracht.

Beobachter erklären sich die allgemeine Spendenzurückhaltung damit, dass kaum Nachrichten aus dem Katastrophengebiet in die Welt hinausdringen. Viele denken, dass die Überschwemmungen längst nicht so schlimm sind wie im vergangenen Jahr, als ein Fünftel Pakistans unter Wasser stand und 21 Millionen Menschen davon direkt betroffen waren.

"Die Leute sind sich der Schwere der Lage nicht bewusst, weil die Medien nicht so viel darüber berichten", meint Faisal Kapadia, ein junger Unternehmer, im Gespräch mit IPS. Überdies konzentrierten sich die großen Publikumsmedien auf Fälle von Korruption und Veruntreuung von Hilfsgeldern, anstatt zu Spenden und anderen Unterstützungsaktionen aufzurufen.

Vertreter unabhängiger Organisationen sind davon überzeugt, dass das schlechte Krisenmanagement der Behörden im letzten Jahr viele Menschen abgeschreckt hat. Mubashir Akram von der Hilfsorganisation 'Oxfam' warf der Regierung vor, einen von Experten entworfenen umfassenden Plan zur Reduzierung von Katastrophenrisiken nicht umgesetzt zu haben. Die Durchführung dieser Maßnahmen hätte etwa 30 Millionen Dollar gekostet und jetzt Milliarden Dollar einsparen können, so Akram.

Nach Angaben von NDMA verfügt die Regierung vom vergangenen Jahr noch über 56,8 Millionen Dollar aus einem Katastrophenfonds. Diese Gelder seien jedoch nicht freigegeben worden, als die Flutopfer sie dringend benötigt hätten. Der ehemalige Chef der Behörde, Nadeem Ahmed, machte "bürokratische Schwierigkeiten" für die Nichtverwendung der Mittel verantwortlich.


"Tragödien-Burnout"

Kapadia sieht die Spendenmüdigkeit als das größte Problem. "Die Menschen haben genug davon, dass das Land von einer Katastrophe nach der anderen getroffen wird." Nach Ansicht des Unternehmers haben auch die Wirtschaftskrisen dazu beigetragen, dass die Hilfsgelder spärlicher fließen.

Naeem Sadiq, ein Geschäftsmann aus der Hafenstadt Karachi, gründete hingegen mit anderen Leuten eine Hilfsorganisation, nachdem er das Elend mit eigenen Augen gesehen hatte. Auch er hat ein Abflauen des öffentlichen Interesses beobachtet und spricht von einer Art "Tragödien-Burnout".

Der Unternehmer Salim Tabani und eine Gruppe Gleichgesinnter arbeiten ebenfalls daran, den Flutopfern zu helfen. 2010 verteilte er über einen Zeitraum von drei Monaten Lebensmittel an 150.000 Menschen. "Außerdem haben wir 1.000 Holzhäuser und 30 Betongebäude für die Obdachlosen errichtet." In diesem Jahr haben die Helfer allerdings erst ein Fünftel des Geldbetrags zusammengebracht, den sie 2010 sammeln konnten. (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://www.fao.org/
http://ndma.gov.pk/
http://www.oxfam.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105359

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. Oktober 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2011