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INTERNATIONAL/138: Brasilien - Soja und Zuckerrohr bedrohen indigenes Leben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. November 2012

Brasilien: Soja und Zuckerrohr bedrohen indigenes Leben - Drohung zu kollektivem Selbstmord als Weckruf

von Fabiana Frayssinet


Die Guaraní-Kaiowá-Indigenen haben die Hoffnung auf staatliche Hilfe aufgegeben - Bild: © Cléber Buzatto/CIMI

Die Guaraní-Kaiowá-Indigenen haben die Hoffnung auf staatliche Hilfe aufgegeben
Bild: © Cléber Buzatto/CIMI

Rio de Janeiro, 14. November (IPS) - Der Streit um Landrechte ist in Brasilien in eine neue Runde gegangen: 30 indigene Familien haben damit gedroht, kollektiven Selbstmord zu begehen, wenn sie ihr angestammtes Land verlassen müssen. Dort sollen vor allem Soja und Zuckerrohr angebaut werden.

44.000 Guaraní-Kaiowá-Indigene leben verstreut im südwestlichen Bundesstaat Mato Grosso do Sul zwischen Soja- und Zuckerrohrplantagen. Wie sich die Ausbreitung dieser Plantagen auf das Leben der Indigenen auswirkt, hat die Nichtregierungsorganisation (NGO) 'Repórter Brasil' untersucht. Die Studie "Auf fremder Erde" wurde am 24. Oktober veröffentlicht.

Die NGO stützt sich auf offizielle Statistiken sowie auf eigene Forschungen in Mato Grosso do Sul und Umgebung. Das Ergebnis: Das indigene Leben ist bedroht. "Wenn der internationale Marktpreis für eine Ware steigt, bauen die Produzenten mehr an, weil sie sich einen höheren Gewinn erhoffen. Dadurch steigt auch der Preis für das Land", erklärt Verena Glass, Mitautorin der Untersuchung. "Wenn die Nachfrage nach Land steigt, wollen die Landbesitzer die Indigenen, die darauf siedeln, loswerden, um größere Anbauflächen zu erhalten."

Weil die Indigenen sich das nicht gefallen lassen wollen, kommt es schließlich zum Konflikt zwischen ihnen und dem Großgrundbesitzer. So auch im August dieses Jahres: Den Guaraní-Kaiowá zufolge wurden 400 von ihnen von bewaffneten Männern angegriffen, wobei einer der Indigenen ums Leben gekommen sein soll.

Nun haben 30 Familien mit kollektivem Selbstmord gedroht. Zuvor hatten sie einen kleinen Teil ihrer ursprünglich angestammten Fläche besetzt, weil sie es leid waren, in notdürftigen Lagern am Rande von Schnellstraßen zu leben. Einem Gerichtsentscheid zufolge sollten sie die Besatzung im Oktober allerdings aufgeben. Daraufhin gaben sie eine Erklärung ab, die als kollektiver Selbstmord verstanden wurde. Und das ist keine leere Drohung: Laut dem katholischen Missionarsrat für Indigene (CIMI) haben sich zwischen 2003 und 2010 mehr als 550 Guaraní-Indigene selbst umgebracht. Die meisten von ihnen waren Jugendliche.


Regierung reagiert auf Selbstmorddrohung

Die Nachricht der Selbstmorddrohung zirkulierte vor allem über die sozialen Netzwerke im Internet, woraufhin die Regierung schließlich reagierte: Sie sorgte dafür, dass der Gerichtsbeschluss vorläufig solange aufgehoben wurde, bis die Regierung eine Entscheidung über die Besitzverhältnisse getroffen hat.

Die Kaiowá stimmte das nur teilweise zufrieden: Zwar konnten sie auf ihrem angestammten Territorium bleiben, allerdings nur auf unbestimmte Zeit und lediglich auf einer Fläche von einem Hektar. "Es gibt hier ein juristisches Vakuum. So lange das nicht gefüllt ist, wird es auch weiter Konflikte geben", sagt Maurício Santoro von der Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International' in Brasilien.

"Die Indigenen leben in der Verbannung - und das bereits seit dem letzten Jahrhundert", sagt Egon Heck, Mitarbeiter des CIMI. Es handele sich hier um 200 Indigene. "Wie kann eine solch große Menge an Menschen auf nur einem Hektar überleben?"

Die Verfassung Brasiliens spreche den Indigenen das Recht zu, auf dem Land zu leben. "Wird dieses Recht privaten Interessen untergeordnet?" fragt Heck.

Seit 1991 wurden den Guaraní, der zweitgrößten indigenen Gruppe des Landes, lediglich acht Gebiete zugesprochen. Auch die Angehörigen dieser Volksgruppe leben auf viel zu kleinem Raum. Die von der Regierung geförderte Ausweitung der Landwirtschaft hat das Problem noch verschärft. Es werden giftige Pestizide und Düngemittel eingesetzt, die Böden, Wald und Flüssen schaden und dadurch den Indigenen ihre Lebensgrundlage nehmen.


Arbeitslosigkeit erschwert Lebensbedingungen

Durch die verstärkte Nutzung landwirtschaftlicher Technologien werden außerdem immer mehr Indigene arbeitslos. "Wenn die Landarbeit auch fast Sklavenarbeit ist, so ist es doch fast die einzige Einnahmequelle der Indigenen", sagt Heck.

Repórter Brasil hat vor kurzem eine Kampagne gestartet, um die großen transnationalen Unternehmen davon abzuhalten, Rohstoffe zu kaufen, die von Land stammen, das entweder offiziell als indigenes Territorium gilt oder dessen Besitzverhältnisse nicht eindeutig geklärt sind. Tatsächlich haben zwei Ethanolfirmen angekündigt, vom Kauf solcher Rohstoffe abzusehen.

Und nun hat auch die Regierung unter Präsidentin Dilma Rousseff versprochen, die Landfrage prioritär zu behandeln. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.reporterbrasil.org.br/documentos/emterrasalheias.pdf
http://www.cimi.org.br/site/pt-br/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101879

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2012