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INTERNATIONAL/144: Chile - Mapuche wehren sich gegen Bau von Fernstraße (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Dezember 2012

Chile: Mapuche wehren sich gegen Bau von Fernstraße

von Marianela Jarroud


Die Brücke im Salzsee Budi führt hinüber zur Insel Huapi - Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Die Brücke im Salzsee Budi führt hinüber zur Insel Huapi
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Puerto Saavedra, Chile, 28. Dezember (IPS) - Seit mehr als 20 Jahren kämpfen die Mapuche in Chile gegen den Bau der sogenannten 'Ruta Costera', einer Fernstraße, die sich entlang der Küste des gesamten Landes ziehen soll. Das Projekt wurde unter Diktator Augusto Pinochet (1973 bis 1990) gestartet.

Insgesamt soll die Straße 3.340 Kilometer lang werden. Mittlerweile sind 2.600 Kilometer fertiggebaut. Ziel ist eine bessere Verkehrsanbindung abgelegener Teile des Landes und eine schnellere Verbindung zwischen Nord und Süd. Das soll unter anderem die ländliche Entwicklung fördern, um diese Regionen auch für den Tourismus attraktiver zu machen.

Der Teilabschnitt in der Region Araukanien, 674 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile, ist 41,6 Kilometer lang. Er verläuft mitten durch die Indigene Entwicklungszone Budi. Hier leben die Lafkenche ('Menschen des Meeres'), eine Untergruppe ethnischer Mapuche.

Einer von ihnen ist Leonardo Calfuneo, Vorsteher der Gemeinde Konin Budi, die aus rund 60 Familien besteht. "Wir stellen uns gegen das Megaprojekt, weil es für die Mapuche nicht Fortschritt und Entwicklung bedeutet, sondern die irreparable Zerstörung unserer Kultur", sagt er. Die Mapuche sind Kleinbauern. "Unser Leben war immer sehr eng mit der Erde verbunden."

Calfuneo musste bereits mitansehen, wie sein eigenes Land dem Bau der Ruta Costera zum Opfer fiel: Im März kamen die Baufahrzeuge ohne vorherige Genehmigung auf sein Grundstück und zerstörten zum einen wichtige Heilkräuter, zum anderen eine für sein Volk heilige Stätte.

In der Gemeinde Konin Budi haben die meisten Familien drei bis zehn Hektar Land. Das ist wenig angesichts der Tatsache, dass die Mapuche bis vor ein paar Jahrzehnten fast ausschließlich von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft lebten.

Doch 1979 erließ Pinochet per Dekret das Gesetz Nr. 2.568, mit dem das Land der Mapuche in kleine Parzellen aufgeteilt und ein Großteil davon verkauft wurde. Die Käufer waren Privatpersonen, die mit großen Unternehmen der Forst-, Energie- und Fischwirtschaft verbandelt waren.


Bürgermeister fordert Rentabilitätsstudie

"Bevor wir die Straße durch unsere Region verlegen lassen, wollen wir, dass eine Rentabilitätsstudie durchgeführt wird, die auch soziale Aspekte betrachtet", sagt Andrés Molina, Gouverneur von Araukanien. Er hofft, dass eine solche Studie noch Anfang 2013 in Auftrag gegeben werden kann.

Die Indigene Entwicklungszone Budi liegt in der Kommune Saavedra, ein Gebiet von 400 Quadratkilometern zwischen dem Pazifik und dem Salzsee Budi. Nach offiziellen Statistiken lebten hier 2009 13.481 Menschen: 80 Prozent in ländlichen Gegenden. 73,2 Prozent sind Mapuche. In der Indigenen Entwicklungszone Budi selbst sind 3.295 Menschen zu Hause. Diese machen fast ein Viertel der Bevölkerung Saavedras aus. Auf der Insel Huapi im Salzsee Budi leben noch einmal 43 Mapuche-Gemeinden mit 5.000 Einwohnern.

Nach einer Studie der 'Universidad de la Frontera' sprachen sich im Jahr 2001 45,2 Prozent der Bevölkerung Saavedras für den Bau der Fernstraße aus, 52,9 Prozent waren dagegen. Die Zahl der Fürsprecher nahm zu, nachdem der damalige Bürgermeister Saavedras, Ricardo Tripainao, die verschiedenen Gemeinden besucht und von den Vorzügen des Straßenbaus überzeugt hatte. Darunter nannte er höhere Marktpreise für die Produkte der Region und Millionen von Pesos, die der Staat an Entschädigung für die Enteignung von Land zahlen wolle.


Bewohner beklagen fehlende Entschädigungszahlungen

Doch von den Entschädigungszahlungen ist nicht viel in Saavedra angekommen. Und die ursprüngliche Fläche, die enteignet werden sollte, wurde nachträglich fast verdoppelt.

Für Luis Aillapán ist es "sehr schmerzhaft" mitanzusehen, was mit dem Land der Mapuche passiert. Aillapán ist der 'Gempin' von Konin Budi, der 'Mann des Wortes'. Er ist trägt das Wissen der Indigenen um ihre Sprache, Kultur, Spiritualität und Philosophie weiter. "Wir sind an die Natur gewöhnt und nehmen uns von ihr das, was wir zum Leben brauchen."

Aillapán hält ein paar Tiere und betreibt Landwirtschaft. Von seinem Haus aus kann er auf der einen Seite das Meer sehen. Auf der anderen Seite erstreckt sich weites grünes Land. Doch am Rande seines Territoriums sind bereits die Maschinen aufgefahren, die die Straße weiter ausbauen sollen. Vor zehn Jahren baten er und seiner Frau die Behörden, eine Machbarkeitsstudie für die Straße in Auftrag zu geben. Daraufhin wurden sie nach dem Antiterrorgesetz verklagt, das während der Pinochet-Diktatur erlassen worden war und heute fast ausschließlich auf Mapuche angewendet wird, die wegen Landrechten mit dem Staat im Konflikt stehen. (Ende/IPS/jt/2012)


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http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102131
http://www.conadi.gob.cl/index.php/nuestra-institucion/areas-de-desarrollo-indigena

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2013