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MELDUNG/228: Kritik am neuen Mikrozensusgesetz (AK Vorrat)


Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung

Pressemitteilung des Arbeitskreises Zensus vom 14. Juni 2012

Kritik am neuen Mikrozensusgesetz

Bürgerrechtler warnen vor bürokratischem Automatismus



In der am kommenden Freitag stattfindenden Sitzung des Bundesrats soll die erneute Verlängerung des Mikrozensus beschlossen werden. Der Arbeitskreis Zensus bemängelt den bürokratischen Automatismus des Gesetzentwurfs und weist auf die große Belastung für die von diesen umfangreichen Befragungen betroffenen Bürger hin. Außerdem bemängeln die Bürgerrechtler die bis heute unaufgearbeitete Entstehungs- und Begründungsgeschichte des Mikrozensus im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.

Beim "Mikrozensus" [1] handelt es sich um eine von den Statistikämtern organisierte und durchgeführte Befragung, von der jährlich rund 800.000 Bürger direkt betroffen sind. Sich der Beantwortung der Fragen verweigern wird mit Zwangsgeldern von bis zu 5.000 Euro bzw. Beugehaft bestraft. Trotz alledem gibt es zum Mikrozensus bislang so gut wie gar kein öffentliches Bewusstsein, geschweige denn eine Diskussion. Im Rahmen des Engagements zur letzten Volkszählung ("Zensus 2011") sind der Bürgerinitiative Arbeitskreis Zensus [2] eine Reihe von Berichten über unwürdige Befragungspraktiken im Rahmen des Mikrozensus zugetragen worden. Darauf weist der Arbeitskreis hin und warnt vor dem bürokratischen Automatismus der alle vier Jahre stattfindenden Verlängerung der Gesetzesgrundlage.

In dem für den kommenden Freitag auf der Tagesordnung des Bundesrats [3] stehenden Gesetzentwurf [4] hierzu heißt es: "Mikrozensusgesetze werden befristet, um regelmäßig das Erhebungsverfahren prüfen und die Merkmale an den aktuellen Informationsbedarf anpassen zu können." Von einer tatsächlichen Prüfung des Erhebungsverfahrens insbesondere hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der Befragungen ist aber keine Spur zu sehen. Immerhin werden beim 59 Seiten langen Fragebogen [5] des derzeitigen Mikrozensus 200 Fragen ("Stichprobenerhebung über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt Mikrozensus 2012 und Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union mit Zusatzprogramm der Europäischen Union") zahlreiche detaillierte persönliche Angaben zwangsweise abgefragt.

Zum Sinn von Statistiken schreibt das statistische Landesamt Rheinland-Pfalz [6] beispielsweise: "[Statistiken] dienen der Orientierung und Positionsbestimmung, sie sind Teil eines gesellschaftlichen Controllings (...)"

Eingeführt wurden die Mikrozensus-Befragungen 1957 durch Siegfried Koller [7], der als einer der führenden NS-Statistiker verantwortlich für die Einführung und "wissenschaftliche" Behandlung menschenverachtender Begriffe und Kategorien wie "Rassenhygiene" oder "Asoziale" zeichnete. Zitat: "Die Gruppe der Gemeinschaftsunfähigen zeigt biologisch durchaus eine Sonderstellung; es ist daher berechtigt und notwendig, für sie im Rahmen der rassenhygienischen Maßnahmen auch eine Sonderbehandlung zu fordern." [8] Mikrozensus-Fragen wie "Haben Sie Kinder geboren?" und "Wie viele Kinder haben Sie insgesamt geboren?" erinnern frappierend an die Fragen zur Fruchtbarkeitsstatistik aus der NS-Zeit, die Siegfried Koller noch bei der Volkszählung 1961 wiedereinzuführen gedrängt hatte [9].

"Die Gleichgültigkeit der Behörden bei der Durchsetzung intimster Befragungen mittels Androhung von Zwangsgeldern und Haft ist nicht weniger empörend als die bis heute sturköpfige Verweigerung einer Aufklärung der mit NS-Verbrechern verknüpften Entstehungsgeschichte des Mikrozensus," sagt Michael Ebeling vom Arbeitskreis Zensus."Der Umgang der Statistikämter mit den Befragten ist unserem Gemeinwesen vielfach unwürdig und muss ausgesetzt werden, bis ein klarer und verständlicher Nachweis über Sinn, Nützlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Befragungen vorgelegt worden ist."


Verweise:
[1] https://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Mikrozensus
[2] http://zensus11.de
[3] http://www.bundesrat.de/cln_235/nn_8338/DE/parlamentsmaterial/to-plenum/897-sitzung/to-node.html?__nnn=true
[4] http://www.bundesrat.de/cln_235/SharedDocs/Drucksachen/2012/0201-300/251-12,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/251-12.pdf
[5] http://www.statistik.rlp.de/staat-und-gesellschaft/mikrozensus/was-und-wie-wird-gefragt/
dort: Grundprogramm 2012: http://www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/nach_themen/mik/Fragebogen_Mikrozensus_2012.pdf
Zusatzprogramm der EU: http://www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/nach_themen/mik/Fragebogen_Mikrozensus_2012_EU.pdf
[6] http://www.statistik.rlp.de/ueber-uns/
[7] https://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/NS-Volkszaehlung#Siegfried_Koller
[8] Heinrich Wilhelm Kranz und Siegfried Koller: "Die Gemeinschaftsunfähigen, Teil II", Gießen 1941, Seite 113
[9] Götz Aly und Karl Heinz Roth: "Die restlose Erfassung", Frankfurt/Main 2000, Seite 129

Über den Arbeiskreis Zensus
Die Kampagne gegen die Volkszählung 2011 ist eine Initiative des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, einem Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern der in Zusammenarbeit mit weiteren zivilgesellschaftlichen Initiativen überparteilich und unabhängig agiert.
Wir sind der Meinung, dass die geplante Datensammlung weit über eventuelle Notwendigkeiten einer Volkszählung hinausgeht und außerdem wichtige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts z. B. zur informationellen Selbstbestimmung verletzt werden und die Volkszählung 2011 deshalb verfassungswidrig ist.
Weitere Informationen über den Arbeitskreis Zensus:
http://zensus11.de/

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern, die sich in Zusammenarbeit mit weiteren zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen die ausufernde Überwachung im Allgemeinen und gegen die Vollprotokollierung der Telekommunikation und anderer Verhaltensdaten im Besonderen einsetzen. Verhaltensdaten im Besonderen einsetzen.
http://www.vorratsdatenspeicherung.de

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Quelle:
Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 14.06.2012
E-Mail: presse@vorratsdatenspeicherung.de
Internet: www.vorratsdatenspeicherung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012