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LATEINAMERIKA/069: Paraguay - Der lange Kampf der Sawhoyamaxa um das Land ihrer Vorfahren (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

In Reden hoch gepriesen, in Wirklichkeit mit Füßen getreten
Der lange Kampf der Sawhoyamaxa um das Land ihrer Vorfahren

von Jürgen Stahn


Wenn in Ländern Lateinamerikas - und nicht nur dort - die Rede auf die Urbevölkerung des Subkontinents kommt, mangelt es meist nicht an Überschwang, Bewunderung und Anerkennung. In den alltäglichen Auseinandersetzungen um Land, Rohstoffe und Edelhölzer dagegen werden indigene Völker zu "Menschen von gestern", zu "Entwicklungshemmnissen", zu "Störfaktoren bei der Modernisierung des Landes".


Dieses Schicksal teilt auch eine Gemeinschaft aus dem Volk der Enxet in Paraguay, etwa 100 Familien, 400 Menschen, die seit 20 Jahren an den Rändern der Überlandstraße Concepción-Pozo Colorado im paraguayischen Chaco vegetieren.

Das Land ihrer Vorfahren haben sie vor langer Zeit an Eroberer aus aller Herren Länder verloren. Auf ihm lebten sie lange als Hilfsarbeiter und Viehtreiber im Dienst von Großgrundbesitzern, auch deutscher Herkunft und Nationalität. Die Gruppe der Indigenen, durch Familienbande verbunden, nennt sich heute Sawhoyamaxa, "Ort, an dem es keine Kokosnüsse mehr gibt". Ihr Recht auf Nahrung und andere Menschenrechte wird seit vielen Jahren mit Füßen getreten. Misshandlungen, schlechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung, mangelhafte Ernährung und vergebliche Protestaktionen veranlassten die Gemeinschaft Anfang der 1990er Jahre den Kampf um das Land ihrer Vorfahren aufzunehmen, etwa 14.500 Hektar, ein kleiner Teil der Ländereien des deutschstämmigen Heriberto Roedel.


Ein bemerkenswertes Urteil

Die damaligen Regierungen des Landes, in ihrer Ideologie und politischen Haltung weiterhin Anhänger der "Colorados", der Partei des Diktators General Alfredo Stroessner, hatten bestenfalls Lippenbekenntnisse für die Urbevölkerung Paraguays übrig. Ihre wichtigsten Anliegen waren Machterhalt und Sicherung der bestehenden Verhältnisse, so auch der Verteilung von Grund und Boden. Kleinbauern, Landlose und Indigene rannten gegen eine Mauer aus Schweigen, Missachtung und Abwehr. Die Sawhoyamaxa wandten sich im Jahre 2001 auf Anraten der paraguayischen Menschenrechtsorganisation Tierraviva an die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und im Jahr 2005 an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser fällte im Jahr 2006 ein bemerkenswertes Urteil, mit welchem der paraguayische Staat zur Rückerstattung des Landes ihrer Vorfahren an die Sawhoyamaxa, zur Wahrnehmung der Gesundheitsvorsorge, zur Gewährleistung von Ernährung und Trinkwasser, zum Bau und Unterhalt von Schulen für die Kinder, zur Bereitstellung von Kommunikationsmitteln und zur Einrichtung eines Entwicklungsfonds in Höhe von einer Million US Dollar verurteilt wurde. Nach seiner Verurteilung unternahm der paraguayische Staat in der ihm gesetzten Frist von drei Jahren zunächst wenig, um die Auflagen des Urteils zu erfüllen.


Wichtiger Erfolg für die Sawhoyamaxa

Der im Jahr 2008 mit hohen Erwartungen seitens der Mehrheit der Bevölkerung gewählte Präsident und ehemalige Bischof, Fernando Armindo Lugo Méndez stieß bei den alten Colorado-Seilschaften auf Granit. Landenteignungen sind nur über Gesetz möglich und vor allem die zweite Kammer, der Senat, wurde und wird weiterhin von den Colorados beherrscht. Der Staat bot den Sawhoyamaxa angesichts seiner Machtlosigkeit "alternatives Land" an. Während einige der gewählten Führer der Gemeinschaft bereit waren, auch diese bittere Pille zu schlucken, beharrten vor allem Frauen auf Verhandlungen mit dem Landeigentümer Roedel, um das Land ihrer Vorfahren und nicht irgendeines zu erhalten. Wiederholte Mahnungen des Gerichtshofes, unermüdliche Arbeit von Tierraviva und starker internationaler Druck durch FIAN und amnesty international führten schließlich am 15. September 2011 zum Abschluss eines Vertrages über Verkauf und Übereignung des Landes. Am Verhandlungstisch saßen Vertreter des Verkäufers, der Generalstaatsanwalt Paraguays, die Direktorin des Institutes für Indigene Angelegenheiten und VertreterInnen der Sawhoyamaxa. Damit ist die erste große Hürde auf dem Weg der Rückkehr der Menschen vom Volk der Enxet auf das Land ihrer Vorfahren getan. Viele weitere werden folgen müssen. FIAN, insbesondere die Gruppe Hamburg wird "am Ball" bleiben.


Jürgen Stahn ist aktives Mitglied der Hamburger Lokalgruppe


Der Fall Sawhoyamaxa - die Hamburger Gruppe in Aktion

Im Februar 2007 übernimmt die FIAN-Gruppe Hamburg den "Fall Comunidad Indígena Sawhoyamaxa". Neben den übergebenen Dokumenten sucht und findet die Gruppe weitere Unterlagen zu Paraguay, zur Landsituation, zur indigenen Bevölkerung und auch zu den Sawhoyamaxa. Es folgen zahlreiche Schreiben mit Anfragen an Mitglieder der Legislative und Exekutive Paraguays und Versuche, mit dem Besitzer des von den Sawhoyamaxa geforderten Landes ihrer Vorfahren, dem deutschstämmigen Dr.jur. Heriberto Roedel, in Kontakt zu kommen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Fall einem Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und Paraguay aus dem Jahr 1993 zu. Deshalb folgen Anfragen und Besuche beim Auswärtigen Amt, und beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, beim Menschenrechtsausschuss und dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit des Deutschen Bundestages. Zudem organisiert die Gruppe Veranstaltungen mit Besuchern aus Paraguay und eine Rundreise mit einem Vertreter der Comunidad Indígena Sawhoyamaxa, die sie auch zu Gesprächen mit VertreterInnen von Legislative und Exekutive in Bonn und Berlin begleitete.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2011, November 2011, S. 14
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012