Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSBRIGADEN

MITTELAMERIKA/124: "Es war wichtig, sich diese Meinungsfreiheit in Guatemala zu erkämpfen"


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/11

"Es war wichtig, sich diese Meinungsfreiheit in Guatemala zu erkämpfen"

Ein Interview mit dem Filmemacher Uli Stelzner


Als bisher einziger Filmemacher durfte ULI STELZNER im Archiv der Nationalpolizei Guatemalas drehen. So entstand der Dokumentarfilm "La Isla - Achive einer Tragödie". Der Film erzählt die Geschichte des Archivs, das um die 80 Millionen Dokumente aus über 100 Jahren umfasst, darunter die gesamte Zeit des Bürgerkriegs (1960-1996).
Die meisten Verbrechen des damaligen Regimes sind bis heute nicht aufgeklärt. Viele der Täter nehmen noch heute hochrangige Posten in Politik und Militär ein. Welche Brisanz der Dokumentarfilm hat, zeigte die Premiere des Films im April 2010 in Guatemala-Stadt vor etwa 6000 ZuschauerInnen, die von Bombendrohungen und Sabotage der Stromversorgung begleitet war. SUHELA BEHBOUD und ANDREAS KNÖRRER sprachen mit dem Regisseur in Hamburg.


PBI-RUNDBRIEF: La Isla ist nicht der erste Film, den du in Guatemala gedreht hast. Wie kam deine Verbindung nach Guatemala zustande?

ULI STELZNER: 1989 sind in Guatemala zehn StudierendenvertreterInnen entführt und ermordet worden. Es gab einen Überlebenden, der eine Informations- und Rundreise in Deutschland gemacht hat. Ich war damals im ASTA in Kassel. Er hat uns nach Abschluss seiner Reise gebeten, eine bundesdeutsche Studierendendelegation nach Guatemala zu schicken. Die haben wir zusammengestellt und sind nach Guatemala gefahren, um dort Gespräche mit dem Präsidenten, Innenminister, der Polizei und dem Menschenrechtsprokurator zu führen. Das war 1990. Seither besteht diese Verbindung.

PBI-RUNDBRIEF: Das Archiv liegt auf dem Gelände einer Polizeischule in Guatemala Stadt. Im Film sieht man Sequenzen von marschierenden Polizeieinheiten auf dem Übungsplatz. Warum diese Bilder?

ULI STELZNER: Die Einheiten praktizieren ihre Übungen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Polizeiarchiv und das hört man im Archiv permanent. Um diesen psychologischen Druck zu veranschaulichen, haben wir sie gefilmt. Man kann es natürlich auch als ein abstraktes Bild für die Militarisierung Guatemalas nehmen.

PBI-RUNDBRIEF: Wenige Tage vor der Aufführung im Nationaltheater von Guatemala Stadt hat es Auseinandersetzungen zwischen Regierung, Diplomatie und rechter Opposition um die Erstaufführung deines Filmes gegeben. Was ist passiert?

ULI STELZNER: Zum einen zeigten gewisse Regierungsstellen Interesse an einer Kopie des Films. Der Druck kam von der Partido Patriota, der Oppositionspartei in Guatemala. Die Befürchtung dieser Partei war, dass die Regierung den Film instrumentalisieren werde, um die Opposition zu diskreditieren. Auf Anraten des Botschafters habe ich dann mit einem Abgeordneten der Opposition zehn Minuten am Telefon gesprochen, und das war es dann. Der Druck der Opposition auf die deutsche Botschaft hat aber zumindest dazu geführt, dass es keine offiziellen Ansprachen im Nationaltheater, weder von Seiten der Bundesrepublik noch von Seiten der guatemaltekischen Regierung gab.
Der US-Botschafter wollte ebenfalls eine Kopie des Films haben. Auch das habe ich abgelehnt. Wie sich später herausstellte, führte ein Treffen am Vortag zwischen dem US-Botschafter, dem Leiter des Entschädigungsprogrammes und dem Friedenssekretär dazu, dass nur wenige Diplomaten der Einladung zur Erstaufführung gefolgt waren.
Auch als das Polizeiarchiv erstmals einen großen Bericht veröffentlichte, schien die Rolle der USA nicht unbedeutend gewesen zu sein. So wurde das gesamte Kapitel über die Beteiligung der USA bei der Ausbildung der Polizei zensiert. Der Einfluss der USA geht auch heute noch sehr weit. Das sagt jeder im Land. Derjenige, der bestimmt, wo es langgeht, ist der US-Botschafter.

PBI-RUNDBRIEF: Waren offizielle Genehmigungen seitens der Regierung nötig, um den Film drehen zu dürfen?

ULI STELZNER: Notwendig war nur das Einverständnis des Menschenrechtsprokurators, weil der ein vom Kongress gewählter Staatsvertreter ist. Er gehörte dann auch neben dem Friedenssekretariat zu den Institutionen, die uns unterstützt haben - sowohl logistisch als auch politisch. Man muss wissen, dass unter der Regierung Colom mehr für die Vergangenheitsbewältigung und das historische Gedächtnis getan wurde als in allen anderen Regierungen zuvor. Colom ist ja auch betroffen, da sein Onkel in den 70er Jahren Politiker war, und erschossen wurde. Der politische Wille hat sich dadurch geäußert, dass ich im Archiv arbeiten konnte.

PBI-RUNDBRIEF: Wie geht die Bevölkerung mit dem Archiv um? Und was für Erfahrungen machen die MitarbeiterInnen?

ULI STELZNER: Die Leitung des Archivs hat das Archiv nicht publik gemacht. Bis vor einigen Monaten hatten sie noch keine Email Adresse. Es gibt keinen Empfangsraum, keine einführenden Broschüren. Bis man Informationen aus dem Polizeiarchiv bekommt, kann es Tagen oder Wochen dauern. Es ist offiziell geöffnet, man kann Anfragen stellen und diese werden bearbeitet, aber das dauert. Das Archiv ist mit einer Gedenkstätte nicht zu vergleichen.

PBI-RUNDBRIEF: Welche Ziele verfolgst du mit deinem Film?

ULI STELZNER: Einen Film zu machen ist immer ein langer Prozess, aber mein Gespür sagte mir, dass der Film wichtig ist. In Guatemala ist es so, dass die meisten Menschen keine Lesekultur haben und ganz viel über Bilder funktioniert. Der Film ist jetzt ein Teil der visuellen Geschichtsschreibung Guatemalas. Es war wichtig, sich diese Meinungsfreiheit in Guatemala zu erkämpfen. Und es passiert jetzt eine ganze Menge.
Diese ganzen Grausamkeiten, diese Verbrechen, auch die Zahl der Toten sind eine Statistik. Was 45.000 Verschwundene für ein kleines Land bedeuten, ahnt man anfangs nicht. Unabhängig von den persönlichen und menschlichen Verlusten wird die Psyche einer Gesellschaft und das gesamte soziale Netzwerk völlig zerstört, und das über mehrere Generationen. Ich kenne Leute aus dem Archiv, ich kenne auch ihre Generation ganz gut und wollte dieser oft als verloren bezeichneten Generation eine Stimme geben. Ich fand es wichtig, ihre Geschichte zu erzählen. Wenn man das in so einem Film leisten kann, der zwei Generationen umfasst, dann ist das wunderbar.

PBI-RUNDBRIEF: Du hast einen kritischen Umgang mit deiner Rolle als ausländischer Filmemacher. Was bedeutet das?

ULI STELZNER: Es ist natürlich ein Problem, wenn du als Ausländer kommst, wobei ich mich inzwischen gar nicht mehr als solcher verstehe, weil ich schon mit 19 Jahren auf diesen Kontinent gegangen bin und dort länger gelebt habe. Aber ich habe natürlich Möglichkeiten, die dortige FilmemacherInnen nicht haben, weil es zum Beispiel keine Filmförderung gibt. Das ist ein Ungleichgewicht.
Wir haben mit unseren Filmen erreicht, dass es zu einem Austausch, zu einem gegenseitigen Lernen kommt. Es gibt jetzt auch einen Filmverband, den ich mit gegründet habe. Wir haben die Filme dort viel gezeigt. Die Leute haben gesehen, dass man mit Dokumentarfilmen viel machen kann. So sind ganz viele FilmemacherInnen nachgekommen, die auch unabhängig arbeiten. Es ist schön, so einen Prozess mit unterstützt zu haben.
Als wir "La Isla" im Nationaltheater gezeigt haben, habe ich daran gedacht, dass wir 18 Jahre vorher unsere Filme vor 15-20 Leuten hinter verschlossenen Türen zeigen mussten. Und heutzutage füllst du mit einem brisanten Film ein ganzes Theater. Das bedeutet, dass etwas passiert ist. Die Dinge brauchen einfach viel Zeit und wenn man sich da von außen in diesen Prozess mit einbringen kann, ist das einfach wunderbar.

Vielen Dank für das Gespräch!


*


Quelle:
pbi Rundbrief 01/11, S. 12-13
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
Tel.: 040/38 90 437, Fax: 040/38 90 437-29
E-Mail: info@pbi-deutschland.de,
Internet: www.pbi-deutschland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2011