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ARTIKEL/343: War Resisters' Konferenz - Wichtige Inhalte und Infos aus den Workshops (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 4 / 2019
Magazin der DFG-VK

Wichtige Inhalte und Infos aus den Workshops
Stichworte und Skizzen aus einigen Arbeitsgruppen bei der WRI-Konferenz

Von Gernot Lennert


Bei der Konferenz gab es Workshops, z.B. zu Kriegsdienstverweigerungskampagnen in Südkorea und Kolumbien und zu Menschenrechten in Mexiko.

"Selbstbestimmung, Gewissensgefangene und Entkolonialisierung heute": In diesem Workshop präsentierten gewaltfreie Aktive aus Ambazonia, Westpapua und Westsahara ihre jeweiligen Kämpfe. Auch Puerto Rico war Thema.

Ambazonia nennt die dortige separatistische Bewegung den englischsprachigen Teil Kameruns. 1961 hatte die Bevölkerung Britisch-Kameruns die Wahl zwischen dem Anschluss an Nigeria oder dem ans frankophone Kamerun. Der Norden stimmte für Nigeria, Britisch-Südkamerun entschied sich für einen föderativen zweisprachigen Staat Kamerun. Doch Kamerun wurde allmählich in einen Einheitsstaat umgewandelt, die kulturelle und politische Autonomie des anglophonen Teils beseitigt. Gegenwärtig sind der Erhalt des englischsprachigen Bildungssystems und des Rechtssystems Hauptkonfliktpunkte. 2017 eskalierten die Auseinandersetzungen: mehr als 1000 Tote, Tausende von Flüchtlingen, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen von beiden Seiten.

Die WRI hat das Ambazonia Prisoners of Conscience Support Network sowie den Réseau des Défenseurs des Droits Humains en Afrique Centrale (Redhac) aufgenommen. Für den Internationalen Tag der Gefangenen für den Frieden am 1. Dezember wurde beschlossen, das Schicksal der gewaltfreien ambazonischen Gefangenen zum Schwerpunktthema zu machen.

In Westpapua, der westlichen Hälfte von Neuguinea, setzt sich die neue WRI-Mitgliedsorganisation Pasifika für Gewaltfreiheit, Menschenrechte und die Unabhängigkeit Westpapuas von Indonesien ein.

Schon kurz nach der WRI-Konferenz gab es Massenproteste in Westpapua anlässlich rassistischer Verfolgung papuanischer Studenten in Java. Der indonesische Staat schickte Truppen und tötete sechs Demonstranten. Militär und Polizei Indonesiens beziehen Waffen für die Repression in Westpapua auch aus Europa. Deutschland beteiligt sich zusätzlich an der Ausbildung der indonesischen Polizei: ein Hebel, um gegen die menschenrechtsverletzende Politik Indonesiens vorzugehen.

Gegen Rückkehr der Zwangsdienste. In den letzten Jahren haben einige Staaten die sogenannte Wehrpflicht reaktiviert oder erstmals eingeführt: Ukraine, Georgien, Litauen, Schweden, Marokko, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Staaten.

Anderswo, wie in Deutschland oder den Niederlanden, werden eine Wiederbelebung und Ausweitung der Zwangsdienste gefordert. Die beiden westsaharischen Aktivist*innen berichteten von der Härte des von den Jugendlichen gefürchteten Militärdienstes in Marokko, wo die Zwangsrekrutierten zum Minenräumen eingesetzt werden und generell als Werkzeuge eingesetzt werden, um deren Wohlergehen sich der Staat, wenn sie z.B. in Gefangenschaft geraten, nicht kümmert.

Den Workshop hatte ich für den Austausch über die aktuellen Entwicklungen und von Gegenstrategien in verschiedenen Ländern vorbereitet. Es nahmen zwar kenntnisreiche Aktive aus der Westsahara, Großbritannien, Deutschland und Finnland teil, doch es fehlten Leute aus den von Reaktivierung der Zwangsdienste oder der Diskussion darüber betroffenen Ländern. Niemand konnte über die sogenannte Auswahlwehrplicht in Schweden und den neuen Service national universel in Frankreich und etwaigen Widerstand dagegen informieren.

Ein Antrag aus dem Workshop bat die WRI, die Recherchen über den gegenwärtigen Stand der Entwicklung in verschiedenen Ländern, den Austausch von Information und die Koordination von Widerstand zu erleichtern, z.B. mittels einer Arbeitsgruppe und eines Seminars.

Im WRI-Programm The Right to Refuse to Kill hatte man schon zuvor ein solches Seminar erwogen, eventuell in Kroatien oder Serbien.

Kolumbien: Wiederaufflammen des Krieges? Ende August erklärte ein Teil der Farc, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Sie hatten 2017 die Waffen niedergelegt, um sich als legale politische Partei zu konstituieren. Doch 150 Politiker der Farc sind seit dem Friedensabkommen vor zwei Jahren ermordet worden.

Am 26. Juli, kurz vor Konferenzbeginn, konnte ich in Bogotá eine Demonstration von mehr als 15.000 Menschen gegen die Morde an Hunderten von Aktiven sozialer Bewegungen erleben. Im August stieß ich in kolumbianischen Zeitungen und Fernsehnachrichten ständig auf Meldungen von Morden an Indigenen in ländlichen Gebieten, die, wenn sie Bergbau, Landwirtschaft oder Drogenhandel im Weg sind, häufig ermordet werden.

Hat die Konferenz der WRI in den letzten halbwegs friedlichen Wochen in Kolumbien stattgefunden? Das muss sich noch zeigen. Die politische Partei Farc arbeitet weiter. Guerriller@s, die sich nie auf den Friedensprozess eingelassen hatten, hatte es zuvor auch schon gegeben.


Gernot Lennert
ist seit Jahrzehnten regelmäßiger Vertreter der DFG-VK bei WRI-Konferenzen.

Gernot Lennert spricht im Video über Erlebnisse auf der Konferenz und Antimilitarismus in Lateinamerika - abrufbar im Youtube-Kanal der DFG-VK:
https://www.youtube.com/watch?v=7-XNw2jOK4w


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Wiederbelebung von Versammlung und Rat der WRI?

Bei der Konferenzauswertung war ein Kritikpunkt die Kluft zwischen der öffentlichen Konferenz und der WRI-Versammlung. Vermutlich hat man in der öffentlichen Konferenz die WRI kaum wahrgenommen.

Die WRI-Versammlung, eigentlich das Herzstück der Gesamtkonferenz, nicht nur für Wahlen, sondern zur Diskussion der Politik der WRI, war schwach besucht. Früher bildeten öffentlicher und interner Teil der WRI-Konferenzen ein organisches Ganzes. Inzwischen wird bei der Versammlung nur noch rein Organisatorisches besprochen oder nur ratifiziert, sie ist kein Ort mehr für Debatten.

Entscheidung im Konsens und harmonische Atmosphäre sind angenehm. Doch Vermeidung kontroverser Debatten verringert die Attraktivität. Die Situation in Venezuela hätte man zum Thema in der Versammlung machen können. Auch ohne gemeinsame Position hätten wir wenigstens erfahren, welche Einschätzungen dazu es in der WRI gibt.

Die Hundertjahrfeier der WRI 2021 wird nun nicht wie geplant mit einer WRI-Versammlung verbunden, da die Konferenz in Bogotá mit Verspätung stattfand und zwei Jahre bis zur nächsten Versammlung zu kurz scheinen. Also wird die Hundertjahrfeier nun mit einem Ratstreffen der WRI verknüpft. Um einer Abwertung des Ereignisses vorzubeugen, wurde empfohlen, das Ratstreffen möglichst offen zu gestalten, WRI-Mitglieder zu ermuntern teilzunehmen und das Ratstreffen wieder zum Ort von Diskussion zu machen.

Bei aller Freude über die Globalisierung der WRI seit den 1990ern: Die WRI schwächelt in Westeuropa, in Osteuropa gibt es kaum Mitgliedsgruppen. Die Hundertjahrfeier sollte zur Stärkung der WRI in Europa genutzt werden.

Gernot Lennert
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Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 4 / 2019, S. 8 - 9
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Hornbergstraße 100, 70188 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
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Erscheinungsweise: fünf Mal jährlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2019

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